vierzehn

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Marley

"Ja, jetzt mal kurz Arbeit beiseite."

Wir diskutierten schon Stunden über Tims neuen Server, sammelten Ideen, überlegten deren Umsetzung.
Ich hörte das Klicken eines Kugelschreibers und hatte bereits Tims Finger vor meinen Augen, die nervös die Mine des Stiftes rein und raus drückten.
Wie ich ihn kannte, war er voller Vorfreude auf das neue Projekt, in das er sich stürzen würde. Und mit stürzen meinte ich wirklich stürzen. Er war ein klassischer Arbeitsmensch, hinzu noch eifriger Perfektionist.
Seine Arbeiten konnten sich aber auch wirklich blicken lassen.

"Dominik hat Geburtstag und die Party muss geplant werden."

"Arbeit beiseite", äffte ihn Patrick nach.
"Partys organisieren macht doch Spaß"
Ich konnte nur grinsend den Kopf darüber schütteln.

"Niemand hat darauf jetzt groß Lust, Tim"
"Stimmt"
"Hab' den Faden verloren. Über was reden wir hier?"
"Inflation in Griechenland."
"Oh, weißt du noch Simon, als wir beim Griechen waren? Der war lecker."
"War das nicht der, der dir ins Essen gespuckt hat?"
"Ja, das war der letzte Pfiff Würze auf meinem Tzaziki. Herrlich!"
"Wisst ihr was noch Pfiff ist? Bayern gegen Schweiz 2:1."
"Die Bayern können's halt. Warte - mögen wir Bayern?"
"Ja-ha. Oder? Keine Ahnung."
"Ich dachte wir mögen Madrid?"
"Stimmt, Spanien ist schön."
"LEUTE."

Tim schien kurz vorm Ausflippen.
"Ja, Herr Lehrer?"
Seine kurze Wut ließ er mit einem belustigen Schnaufen aus und war somit auch schon wieder vergessen. Er gluckste.

Unser Gespräch war schon wieder völlig ausgeartet. Ich konnte nachvollziehen, wieso ich nie vom Teamspeak loskam.
Ich erinnerte mich mit Freude an die langen Gespräche, die völlig verschiedenen Themen, die Meinungen der anderen. Ich liebte unsere Chat-Gelage.
Doch er fehlte.
Auch heute, wie eigentlich immer.
Er war nur noch selten online, und wenn, hörte er nur zu.
Er war kaum zu erreichen.

Manuel antwortete nicht auf Anrufe, er öffnete nicht die Tür.
Er war in sich gekehrt und sprach nicht.
Und es fehlte mir, mit ihm zu reden.

Auch wenn ich ihn ein paar Mal die Woche besuchte. Nie führten wir irgendein längeres Gespräch.

Ich vermisste es, mich mit ihm bis spät nachts zu unterhalten. Egal, über was.
Hauptsache, er sprach.

Es war nicht mehr dasselbe, aber wie sollte es das auch sein?

Nach alldem.

Er meldete sich kaum. Ich schrieb ihn immer an, versuchte mit ihm zu telefonieren. Doch früher, wo er gern mit mir geredet hatte, ließ er sich nun jedes Wort aus der Nase ziehen.

Ich vermisste einfach schrecklich, wie er früher war.
Offen, immer für einen Spaß zu haben und einfach immer für alle und jeden da.

Tim riss mich aus meinen Gedanken.

"Kommt, lasst uns wenigstens Mal einen Tag anpeilen."

"Nächste Woche Mittwoch?"
"Nope, hab' ich Besuch."
"Und ich hab' am nächsten Tag 'nen Termin. Sollte da nicht hirntot ankommen"
"Vielleicht den Dienstag davor?"
"Auch schlecht. Freitag?"
"Optiker"
"Bürokram"
"Geschäftsreise auf Ibiza"
"Freddie, kurz serious bleiben."
"Sorry."
"Montag?"
"Synchronschwimmkurs"
"FREDDI"
"Samstag? Bitte?"
"Ja, sollte hinhauen."
"Passt gut."
"Ahm... da bin ich bei Manuel."

Und plötzlich kippte alles.
Es schien sich jeder blitzartig zu verkrampfen, und ich konnte mir nicht erklären, wieso.

"Kommt er nicht mit?"
"Er möchte nicht. Aber kein Problem. Ich setz' dieses Mal aus."
"Nein, sicher nicht. Wir haben uns schon lange nicht mehr alle zusammen getroffen."
"Ist schon okay."
"Wir wollen dich dabei haben."
"Er lässt sich nicht überreden. Ihr wisst, was letztes Mal passiert ist."
"Und was ist mit dir?"
"Was soll mit mir sein?"
"Du machst nichts mehr mit uns, weil du nur mehr mit ihm beschäftigt bist."
"Es ist halt nunmal so... Das geht vorbei."
"Und wie lange dauert das noch? Wie lange läuft das jetzt überhaupt schon? 5 Monate?"
"Das geht zu weit."

DunkelschattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt