Erwin und die moderne Medizin

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Erwin war krank. Er fühlte sich hofhundsgemein übel und schlecht. Noch nicht einmal die Nougat-Crisp-Feinfrost-Schokopralinen, die ihm Tante Hilda speckbäckig grinsend überreicht hatte, konnten ihn verlocken. Matt und schlaff hing er auf seinem Sofa herum, zappte sich
durch die elfundneunzig kabelgebundenen Fernsehkanäle und litt.

Als die Mammi heimkam, rief sie sogleich Dr. Med. Wurst an, den Haus- und Hofarzt, also den einzigen in der ganzen Gegend, der daher sowohl für menschliche, als auch für alle Arten tierischer Patienten zuständig war. Dummerweise gewitterte es donnerrollend, weshalb die
Verständigung nicht sonderlich gut klappte. Mühsam einigte man sich, dass der liebe Doktor sogleich vorbeikommen würde.

Das tat er dann wohl auch, gelangte aber nicht sofort ins Haus, weil er, sicher wegen der schlechten Telefonverbindung, dem Irrtum aufsaß, der Patient sei Waldi, der preisgekrönte Riesendackel - und Mammis ganzer Stolz. Dieser nun, vom inzwischen ferner rollenden Donner und den begleitenden Entladungen verschreckt, hockte bedeppert in seiner
Hütte und machte somit auch einen angemessen kranken Eindruck.

Der gute Doktor schnappte sich also das Hundilein, kehrte es um und klistierte es, um die Verdauung, deren Versagen er dem Geprassel aus der Telefonleitung entnommen hatte, auf die Sprünge - oder besser - in die Flüsse zu helfen. Die Wirkung war ebenso durchschlagend, wie überraschend, was eine rechtzeitige Deckungnahme des Mediziners erfolgreich vereitelte.

So stand der gute Doktor denn ziemlich beschissen im Niesel und betätigte letztendlich den Knopf zur Einwohneralarmierung, was in diesem Fall auch angebracht erschien, denn der Effekt, den sein Anblick auf eine unverhofft austretende Person gehabt hätte, verdient
die Bezeichnung "unbeschreiblich".

Ein Vollbad später saß der - nun wieder rückstandsfreie - Arzt dann auch am Lager seines tatsächlichen Patienten und konstatierte die eigene Unzulänglichkeit bei der Therapie des bedauernswerten Kindes.

Er wies es in die Klinik über - und darauf hin, dass ein mehrtägiger Beobachtungsaufenthalt unerlässlich sei, zumal das Kichertaler Hospital im Rufe stand, eine ganz unglaublich moderne und heilsame Einrichtung zu sein, deren Methoden jungen und jüngsten Erkenntnissen der Medizin Rechnung trügen.

Flugs telefonierte man also, nun auch weniger fehlerträchtig, dem örtlichen Krankentransportunternehmen, dem Obermeyer-Sepp, der auch sogleich sein "Patientobil" flott machte und in diesem Erbstück seiner Vorfahren am Grundstück vorgefahren kam.

Juppheidi, ging es durch Tal und über Hügel nach Kichertal, so fröhlich, dass man fast hätte denken können, der malade Erwin hätte schon dadurch nicht nur verkehrstechnisch übern Berg sein müssen, was aber nicht zutraf.

Schon an der Aufnahme zeigte sich die zeitgemäße Ausstattung und Einrichtung des Heilungstempels. Der Anmelde-Computer war überraschend blau, nämlich am Bildschirm und die Fehlernummer, die er nebst einer Reihe von Speicherregistern noch zum Besten gab, konnte weder erheitern, noch erleuchten.

Blieb also nur die manuelle Datenerfassung, die mit dem Griff nach einem Schreibwerkzeug begann, beziehungsweise zu der Stelle, an der eins hätte befindlich sein sollen, wäre nicht an genau diesem Morgen der Privatpatient Graf Adolar von den Eichbirken - nach einer Nasenbegradigung - entlassen worden. Diesem war nämlich ein Kichertaler Krankenhaus Erinnerungspäckchen überreicht worden, welchem man mangels besonderer Gimmicks den nun folglich abwesenden Werbe-Kuli einverleibt hatte.

Während die Schreibutensil-Ersatzbeschaffung vorankam, konnte auch der Anmelderechner wiederbelebt werden, was in allgemeiner Freude und der letztendlichen Aufnahme des bereits erwähnten Erwin gipfelte. Versehen mit dem Hinweis, dass die IT der Einrichtung der allerletzte Schrei sei und die Software das absolute Hai-End, machte sich der Sepp auf den Heimweg, während der Neuankömmling in ein Zimmer expediert wurde, das auch wirklich futuristisch anmutete.

Schon allein die Heimkinoanlage, natürlich 7.1 surround-besounded und mit einem 234 cm Plasma-Wandversteckschirm, entlockte dem - schon ein wenig leidensärmeren - Erwin ein "Boooaaaaah", wie man weiss ein gutes Zeichen gesunder deutscher Sprachkultur.

Aber ehe sich der Knabe die volle Dröhnung aus dem Video-Archiv in Aug und Ohr streamen durfte, musste er natürlich ein wenig untersucht werden. Der Chefermittler, Dr. Hans Wurst (nicht verwandt oder verschwägert mit dem bereits bekannten Mediziner), nahm ihn dann auch gleich ordentlich unter die Lupe, erleichterte ihn um einen Schluck Blutes und schickte ihn hinaus zum Stuhlgang. Natürlich im Rollstuhl, denn wenn man die Erkrankung des  Patienten noch nicht kennt, sollte man keine Risiken eingehen.

Bis zum Wiedereintritt Erwins hatte das Labor bereits die Werte fertig analysiert, was für einige Aufregung sorgte, denn der Zentralrechner schlug sfortige Stillegung des linken Beines vor und folgerichtig erschien kurz darauf die Gips-Schwester, die man schon an ihrer weißlichen Gesichtsfarbe erkannte.

Ehe man sich dessen versah, waren beide Beine eingegipst, nämlich, weil der Computer es versäumt hatte, anzugeben, ob LINKS aus Sicht des Patienten oder der Schwester gemeint sei. Und solange die Erkrankung des Patienten noch nicht klar ist, sollte man keine Risiken ...

Der Bluttest erbrachte dann ebenfalls überraschende Ergebnisse. Irgendwie hatte es bei der übertragung der Patientennummer einen keinen Irrtum gegeben, so dass jetzt die Erwin zugeordnete Probe einen Alkoholgehalt von 3.3 Promille auswies, was mit der Anweisung zur sofortigen Magenentleerung quittiert wurde. Man legte also schleunigst den Verdauungstrakt trocken, denn solange die Erkrankung noch nicht klar ist, ...

Nachdem die akuten Gefahren abgewendet schienen, fuhr man mit der Erkundung des patientischen Gesundheitszustandes fort. Dabei stiess man - anhand des Röntgenbildes - auf  die Ursache Erwin'schen Leidens. Die Aufnahme zeigte deutlich einen Joghurtbecher nebst Löffel, die sich im Magen befinden mussten.

Nun brach Panik aus. Eilends anästhesierte man den Knaben, lieferte einen fachgerechten Aufschnitt seines Bauches und fand eine verschämte Röntgenschwester, die mit zittriger  Stimme zugab, ihren Joghurtbecher beim Plattenwechsel im Halterungsfach für dieselben vergessen zu haben.

Verflickt und zugenäht also, den Erwin - und zwar pronto! - Doch halt, was blinkte da? Ein Euro! Welch Fund am Ende des Magens und der OP! Da half nur Neueröffnung des Patienten. Sieh da, der war ja ein richtiger Goldesel! EUR 4.95 erbrachte die Aktion - und natürlich einen vollen Erfolg der modernen Medizin.

Wie war aber nun der Knabe zum Sparschwein geworden? Zuerst einmal: langsam. Als zeitgenössischer Genussmensch hatte er sich angewöhnt, immer zwei Portionen italienischen Eises gleichzeitig seinem Körper oral zuzuführen. Das führte zu Wechselgeldproblemen, denn  die Entgegennahme desselben zeitgleich mit der Haltung zweier gigantischer Eiswaffeln erwies sich als unmöglich, weshalb der - nicht auf den Kopf gefallene - Erwin einfach Luigi, dem Gefrierkost-Dealer, seine Zunge hinstreckte, was den zu einer finanziellen Auflage auf dieselbe veranlasste.

Verursacht durch die Kompliziertheit dieses Verfahrens begann allerdings die Frostmasse damit, einer beschleunigten Verflüssigung anheim zu fallen, was den Knaben wiederum zu hastiger und beidseitiger Konsumption bewegte, einer nicht wirklich wohlüberlegten Tat, da mit dem Eise auch das Wechselgeld Versenkung fand...

Dennoch wiederholte sich der Vorgang, wie der Endbetrag nahelegt, wohl mehrfach, was nicht nur dem Eis-Sparschwein Erwin zu Unwohlsein, sondern auch dem Kichertaler Hospitale, so wie der modernen Medizin überhaupt zu einem Zuwachs an Reputation verhalf.

Ende gut, alles gut. Und Erwin, der noch immer gern an die Horrorstreifen in Breitwand- Stereo zurückdenkt, hat die EUR 4.95 an Brot für die Welt gespendet und prahlt nun vor seinen Freunden mit der Narbe:

"Seht ihr, so sieht ein Sparschwein nach der Plünderung aus."


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