Weihnacht

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Aus Richtung Weihnachtsmarkt dudelt, vom Fenster gedämpft, das Gemisch aus Tradition und Volks-Pop-Schlager. Der Mann schaut sich um. In der Ecke steht der bequeme Sessel mit dem kleinen Tischchen. Trutzig breiten sich die Schrankwandelemente aus, die Wand entlang.
Er geht zum neuen Sofa hinüber, lässt die Hausschuhe von den Füßen gleiten und sich auf das Ruhemöbel sinken. Die Zehen wackeln auf dem kuscheligen Teppich, der sich angenehm an die Fußsohlen schmiegt.

Aus der Küche dringt ein scharfes Klacken; der Wasserkocher hat abgeschaltet. Mit einem leisen Schnaufen erhebt sich der Mann und schlendert hinüber, in die kleine Küche. Er gießt sich einen Zimt-Tee auf und legt einige Lebkuchen auf einen Teller. Im Vorbeigehen nimmt er die Fernbedienung vom Schränkchen, drückt ein paar Knöpfe. "Als ich noch allein war, ein Junggeselle mit einer eignen Bude war", singt van Veen. Der Mann singt mit: "Einsam, zweisam, dreisam - und am Ende ganz allein." Er lässt sich wieder aufs Sofa plumpsen, greift sich das Buch, das - lesebezeichnet - dort vor sich hin geträumt hat.

Die Nachbarn zur Linken bekommen Besuch. Freudiges Murmeln dringt durch die Wand, die Kinder jubeln. Langsam, andächtig fast, nimmt der Mann einen Schluck aus der hohen Tasse, lässt ihn genießerisch die Kehle hinab rinnen. Van Veen singt. Der Mann greift einen Lebkuchen und kaut.

Aus der Wohnung unter dem Dach klingt Weihnachtsgesang. Der Mann liest.
"Fröhliche Weihnacht ...", singt die Familie oben. Nein, Weihnachtsduft gibt es bei ihm nicht.
Eher Lufterfrischer "Blaue Brise"- gegen den Tabak-Tapetenleim-Geruch, den der Vormieter hinterlassen hat.

Die Ecklampe spendet gerade genügend Licht, um den Raum anzuheimeln, ohne dass das Lesen zur Qual wird. Unten auf der Straße gibt es Streit. Offenbar hat der Mann wieder zu lange auf seine Gattin warten müssen und ist nun sauer. "Aber es ist doch Weihnacht!", gibt sie zu bedenken. "Genau", kontert er, "deshalb hättest Du ja wenigstens dieses eine Mal pünktlich fertig sein können."
Die Stimmen entfernen sich, verschmelzen mit dem Marktrummel.

Van Veen singt: "Es hat doch auch was für sich, ganz für sich zu sein". Der Mann schaut auf das Foto an der Wand. Vier Kinder und eine Frau lachen ihm entgegen. Er schüttelt den Kopf, trinkt von seinem Tee. Dann schaltet er die Anlage ab.

Oben singen sie: "Christ der Retter ist da." Er lächelt. An der Wohnungstür hört man Scharren. Es klingelt. Der Mann erhebt sich, stellt seine Tasse weg und geht, um zu öffnen. Ein kleines Mädchen steht vor der Tür und schaut ihn mit großen Augen an.
"Meine Mama sagt, dass sie nicht so allein sein dürfen, wo doch Weihnacht ist. Wollen sie mit zu uns kommen?"
Der Mann nickt und geht in die Küche. Er legt mehr Lebkuchen auf einen Holzteller. Dann folgt er der Kleinen über den Flur.
Als sie die Wohnung betreten, kommt eine junge Frau angelaufen und begrüßt den Mann. "Schön, dass sie mit uns feiern. So allein zu sein ist nicht gut. - Nicht heute."

Von oben klingt es: "Vom Himmel hoch". Ein paar Minuten später sind die Sänger oben verstummt.

Aus der rechten Nachbarwohnung aber klimpert eine schlecht gestimmte Gitarre und drei Stimmen singen: "Ich steh an Deiner Krippen hier".

Und wenn man genau hinhört, meint man, es stimmten - ganz zart - ein paar Engel mit ein.

  Aufschreiber  

KonfettiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt