Die zarteste Versuchung ...

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(Vorsicht! Mystische Horrorgeschichte!)

„Na toll", stöhnte Ernst Haft, der neue Dezernatsleiter der ebenso frisch zusammengestellten Abteilung für dauerhaft Ungeklärtes. Der vierzigjährige, sportlich attraktive und als sehr  tüchtig bekannte Hauptkommissar der Knoffelner Polizeidirektion war beruflich bisher stets geradlinig aufgestiegen. Allerdings hatte es da diese kleineren Affären mit Kolleginnen gegeben, die ihn auf diesen eher unliebsamen Posten befördert hatten.

Immerhin hatte er nun ein eigenes Büro im neuen Gebäude und seine Assistentin war nicht ohne. Er legte die Fotos beiseite und schüttelte erneut den Kopf.
Irgendwie beschlich ihn, gestandener Mann, der er war, immer ein Gefühl der Peinlichkeit, wenn er, außerhalb seines eigenen Sexuallebens mit Präservativen zu tun hatte. Schon diese schamlose Werbung: „Unentbeehrlich" - unter einer kondomverhüllten Erdbeere. Und ein im Gummi ersticktes Haustier half dem Widerwillen nicht ab.
Einen Moment lang schaute er noch die kleine, laminierte Karte an, die wohl nur ein Scherz sein konnte, denn man las:

'Traumhaft gut, der Milkamann, schlafe süß, bald bist DU dran!'
Und umseitig fand sich ein Telefoncode: 0190-SCHOKOLADE ...

Wie aus den Dokumenten ersichtlich, hatten die damaligen Ermittler alles versucht, den Fall zu klären. Doch jegliche Spur hatte in die Irre geführt. Auch die Telefonnummer war nie vergeben gewesen.
Haft schlug den Ordner zu und warf einen kurzen, halb verschämten Blick – in den Ausschnitt seiner Sekretärin, die gerade dabei war, die Stapel der „Ungelösten" in die noch stinkenden Schränke zu sortieren.
Sie schaute auf und lächelte, als sie seine Blickrichtung bemerkte. Das versprach interessant zu werden, denn im Gegensatz zu dem emanzigen Drachen, der zuletzt die Schreibarbeiten für ihn und seinen Raumteiler Guido Schnüffelmann erledigt hatte, zeigte sich dieses Weibchen nicht konsterniert oder auch nur beunruhigt. War sich ihrer Wirkung auf Herren offenbar wohl bewusst.
Und die war garantiert: Traumfigur südländischer Prägung, mit warmen braunen Augen und einem Schopf langen schwarzen Haares, das bis zu den Hüften hinab wallte.

„Ich denke, wir machen Schluss, für heute", beeilte sich der Ertappte vorzuschlagen.
„Fein", samtete ihr Alt, „ich wollte heute ein wenig ausgehen" ...

Es wurde ein schöner Abend, der nahtlos von Bar zu Bett führte. Dort allerdings erwartete ihn, kaum war er, nach gemeinsam genossenen Freuden, eingenickt, ein entsetzlicher Alptraum.

Ein lilafarbener Milchlaster verfolgte ihn, gesteuert von dem im violetten Johannisbeer-Präser erstickten Zwerghamster, dessen Fallunterlagen er am Nachmittag studiert hatte. Wie ein Gartengnom sah der aus, den Rand der Gummihaut nach oben gerollt, so dass die Spitze zipfelartig wippte. Ein dämonisches Grinsen entblößte zwei riesige Schneidezähne.

Haft rannte los, versuchte, Haken schlagend, dem querfeldein hoppelnden Gefährt zu entkommen. Vergeblich; näher und näher donnerte der Brummi, bis der Flüchtling erkannte, dass am Fahrerhaus des Trucks zwei riesige nackte Brüste hingen, die wie ein Wasserwerfer die im Tank befindliche Milch nach allen Seiten verspritzten. Gerade noch konnte sich der gejagte Mann im Hechtsprung seitwärts vor dem Überrollen bewahren.

Mit tosendem Motor rollte der Lastkraftwagen vorbei, um wenige Meter entfernt eine scharfe Kehre zu vollführen, wie bei einem mittelalterlichen Lanzenturnier. Doch halt, da war kein Tank, sondern eine gigantische lila Kuh, die Melkmaschine am wogenden Euter.
*Klatsch, Klatsch*, schlug die Milchfontäne auf ihn ein...

Er erwachte durchnässt – glücklicherweise nur vom Schweiß, den der Traum in wahren Strömen hatte fließen lassen.
Durch das geöffnete Fenster drangen leise die ersten morgendlichen Verkehrsgeräusche von der zwei Etagen unterhalb liegenden Straße herauf. Sein Blick glitt zur grün leuchtenden Anzeige des Radioweckers. *5:23*, las er und ließ sich auf das Kissen zurücksinken. Aus dem Nachbarbett kam die tastende Hand der Sekretärin herüber, die, wusste er nun, Liane Rank hieß; sehr passend, fand er.

Eine Runde Kuscheln konnte jetzt nicht schaden, entschied er und rutschte keck hinüber. Seine Hände begannen, den Körper der scheinbar Schlummernden zu erkunden, tasteten sich die Schulter hinauf, über die Schlüsselbeine und fanden ...
die rhythmisch zuckende Melkmaschine! Er riss die eben noch genüsslich geschlossenen Augen weit auf, die Hände zurück und fuhr hoch, bemüht, im trüben Licht beginnender Dämmerung Einzelheiten auszumachen.

„Waaass issst?", zischelte eine kehlige, raue Stimme, die nicht ihre sein konnte. Auch sie richtete sich auf und er starrte in die unnatürlich hervorgequollenen Augen eines Hamsterkadavers. Ein unglaublicher Gestank verbreitete sich um die beiden bewegungslosen Gestalten. Pures Grauen ließ Ernsts Nackenhaar drahtig abstehen.

Heißes Verlangen überkam ihn plötzlich und unwiderstehlich. - Wegstoßen, nein, Erstechen, Meucheln, Zerstückeln...! Völlig seiner Umgebung unbewusst griff er den Radiowecker und schmetterte ihn auf den haarigen Schädel.

Der Nachbar, den er sonst allmorgendlich mit dem Auto ein Stück mitnahm, rief die Polizei, als auf sein Klingeln und Klopfen niemand reagierte. Er erinnerte sich, von einer Art Kampflärm erwacht zu sein, dem Totenstille gefolgt war.

Man fand den Wohnungsinhaber allein, in einer Ecke seines Schlafzimmers kauernd, wild vor sich hin stierend und „Milkamann" murmelnd. Der Einsatzwagen brachte Haft, der sich willenlos führen ließ, in die geschlossene Abteilung der örtlichen psychiatrischen Klinik. Die Zusammenhänge konnten nach dem Protokoll der Hypnotherapie rekonstruiert werden, die Prof. Dr. M. Orpheus durchgeführt hatte.

Wie der Vorgesetzte, Oberkriminalrat Erwin Mittler, der Presse mitteilte, bemühte man sich redlich, den geschätzten Kollegen wieder zu stabilisieren. Der Junggeselle werde nach der Entlassung aus der Anstalt eine Weile bei seiner Verwandtschaft wohnen, erklärte er. Ob er den Dienst bei der Kriminalpolizei irgendwann wieder aufnehmen konnte, war noch ungeklärt.

Von der Sekräterin fehlte jede Spur, ebenso, wie eine Akte betreffend einen im Kondom verendeten Hamster nirgends entdeckt werden konnte.

...

Mittler schaute traurig drein, legte die Personalakte in die kleine Ablage, wo bereits zwei ganz ähnliche Dokumentationen ruhten. In beiden Fällen handelte es sich um erfolgreiche Komissare, die einen Hang zu ihren weiblichen Untergebenen erkennen lassen hatten. Und immer hatten sie durchgedreht, nachdem sie zu „Ungeklärtes" versetzt worden waren.

Babette trat mit dem Nachmittagskaffee herein, ein Bild von einem Weib. Ihr volles Haar umspielte das Natur gebräunte Gesicht mit vollen, knallrot geschminkten Lippen. Einziger Makel waren die etwas zu groß geratenen Schneidezähne. Aber das machten andere Partien ihres Körpers mehr als wett.
Während sie den Kaffee eingoss versank sein Blick in ihrer leicht klaffenden Bluse. Was für ein Glück, dass er die Scheidung von Ulla im vergangenen Monat über die Bühne gebracht hatte. Damit war er frei, für ein kleines bisschen Spaß. Der etwas korpulente Polizist erhob seine Tasse und nickte seiner Assistentin leicht zu, die sich verführerisch lächelnd zurückzog.

„Ahhh", seufzte er, als der heiße Sud die Kehle hinab rann. Sein Blick senkte sich auf den laminierten Tassenuntersatz auf dem Schreibtisch und ließ ihn erstarren.

'Traumhaft gut, der Milkamann, ...'

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