Der Klient

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Ein leises Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht, als ich den Mann sehe. Nicht, weil sein Anblick so lustig oder freundlich wäre; das ist er nicht. Er ist sehr ernst und wichtig, der Mann. Im Sturmschritt eilt er durch die Straße, dem nächsten Termin, mit viel Glück einem Geschäftsabschluss, entgegen.

Sein Leben tickt, sein Herz stottert. Er schluckt Pillen dagegen, die den Blutdruck hochtreiben. Den halten die Tropfen im Zaum, die er immer in seiner Tasche bei sich trägt. Natürlich nimmt er diese Medikamente heimlich, am Waschbecken irgendeiner Toilette. Schließlich ist er das Zugpferd seiner Abteilung. Idol der jüngeren Mitarbeiter – oder eher Ziel? Lebt allein, seit seine Mutter gestorben ist. Und nur für seinen Job.

Van Veen singt:
"... und morgen ist der Zwölfte – und der wird wie der Elfte – und der war wie der Zehnte..."
Besser kann man dieses Leben nicht beschreiben.
Mit offenem Mantel kommt er angeschnauft, seinen Dokumentenkoffer in der verschwitzten Hand. Noch zwanzig Meter, fünfzehn, zehn ... Ich greife neben mich.

***

'Da sitzt wieder so ein Straßenmusikant. Lächelt vor sich hin und greift sich seine alte Gitarre. Der Korpus ist fleckig, zerkratzt, mit abgeplatzten Kanten. Wie lange ist das eigentlich her, dass ich meine Gitarre zur Hand genommen habe? Das war 1995, als wir mit Cordula und der Clique am alten Badeteich gezeltet haben. Da war dieses Lied, das ich mir – extra für sie - ausgedacht hatte.'

***

Jetzt ist er da. Die Spannung will mich fast zerreißen. Die Vorfreude. Das ist der Moment, den ich besonders liebe.
Ich schlage den ersten Akkord an ...

"It's true, that I'm a nobody,
without your smile around.
That's why this simple melody
is all that could be found
in my heart.

By you
and through you
and for you
alone ... "

***

'Was singt der Mann da? Das ist doch mein Song! Woher kennt der den? Was ist aus der Clique geworden, nachdem wir das Studium beendet hatten? Und Cordula? Wir waren befreundet. Waren wir mehr? Hätten wir es sein können, sollen?'

***

Da. Er nimmt sein Adressbuch heraus, blättert, findet die Nummer. Sein Termin ist eben geplatzt. Er hat einen anderen, wichtigeren.
Jetzt schaut er mich an, zückt seine Brieftasche.
"Nein, danke. Dieses Lied gehört ihnen ... und Cordula".

***

'Der will kein Geld? Wieso kennt der Cordula? Ein alter Bekannter? Egal, ich rufe gleich bei ihr an, danach kann ich ihn immer noch fragen.'

"Hallo, hier ist Jürgen Berklandt. Spreche ich mit Cordula Hansen? Cordula. Ich freue mich, dass ich dich erreiche. Hör mal, wir haben uns ja seit ewiger Zeit nicht gesehen. Aber ich würde dich gern treffen, wenn es dir recht ist. - In einer Viertelstunde? Im Restaurant 'Zum Goldenen Eck'? Ich könnte dich abholen. Du wohnst noch in der Gluck-Straße? Nummer 57? Ja, gern. Ich bin in zehn Minuten da."

"Entschuldigen sie, woher ..."
'Wo ist der denn hin? Er saß doch eben noch hier...'

***

Einen einzigen schwingenden Akkord lasse ich noch leise in Jürgen Berklandts Gehörgang gleiten, ehe ich ganz verschwinde, zum nächsten Platz, anderen Klienten.

Es gibt Tage, an denen liebe ich es besonders, ein Engel zu sein.

Aufschreiber


KonfettiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt