Kapitel 6: Unauffindbar

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Es waren schon Stunden vergangen und Clara fand nichts über Sankt Mary. Nicht mal etwas über die fünfzehn verschwundenen Personen. Aber da musst doch etwas sein. Doch selbst als sie Mrs. Torres suchte, fand sie nichts als andere Personen, weit weg von hier. Sie holte ihr Handy und wählte Pauls Nummer. Nach einer kurzen Zeit schaltete sich die Mailbox ein. „Hey Paul, hier ist Clara Taylor aus Sankt Mary. Leider bist du nicht erreichbar. Könntest du mir vielleicht einen Gefallen tun und dich mal umhören ob du etwas über die Bewohner, die Entstehung oder sonst etwas über Sankt Mary herausfinden könntest? Melde dich bitte bei mir, wenn du das hier abhörst. Danke.“ Sie seufze und legte auf. Irgendwas musste sich doch machen lassen. Sie hatte nicht mal eine Telefonnummer oder eine Adresse von John Sterling, er schien zwar nicht viel zu wissen, aber immerhin lebte er hier knapp ein Jahr. Sie legte ihren Kopf in die Hände. „Was mach ich bloß? Soll ich abhauen, einfach gehen? Aber dann kommen andere Leute und ich weiß nicht, was mit denen dann passiert. Vielleicht ist auch alles anders. Was, wenn Mephis recht hat und ich einfach nur mit meiner Vergangenheit kämpfe?“ fragte sie sich selbst. Tränen liefen ihr die Wangen runter, als sie an damals dachte.

James kam in den kleinen Kaffeeladen und bestellte wie immer seinen Kaffee. Schwarz, ohne Zucker. Er war so nett und freundlich. Sie war damals so glücklich und aufgeregt, als er sie um eine Verabredung gebeten hat. Wie sie zusammen in Paris waren, diese schöne Stadt mit all ihren kleinen Läden, Kaffees und Seitenstraßen. Wie James damals versuchte auf Französisch den Kaffee zu bestellen. Clara lächelte bei dem Gedanken, es war eine schöne Zeit. Wie Elisabeth auf die Welt kam, diese süße, kleine Maus. Wie sie rumquiekte und lächelte, dass einem das Herz aufging. Wie ihre kleine, unbeholfene Hand nach ihren Finger griff und dabei lachte. James hat sich so liebevoll um sie gekümmert, dass er es manchmal übertrieb. Er hat sie geliebt, vergöttert und wollte sie immer schützen. Seine kleine Prinzessin nannte er sie immer, sein Augenstern, sein Engel. Clara schluchzte und die Tränen bildeten eine kleine Pfütze auf dem Küchentisch. Und dann ging alles so schnell, wieso hat er sie alleine gelassen? Warum ist Eli nur aus dem Kaufhaus gegangen? Sicher weil sie uns gesucht hat. Oh meine kleine, ich hoffe du bist nun an einem besseren Ort. Ich vermisse dich einfach so sehr. Clara wischte sich die Tränen weg und holte ihr Handy. „Hallo Charles, hier spricht Clara.“ Die Stimme von Charles wurde freundlich und schien glücklich zu sein, etwas von ihr zu hören. „Guten Tag Mrs. Taylor. Es ist schön sie zu hören. Sind sie gut angekommen? Geht es ihnen gut?“ „Ja Charles, ich bin gut angekommen. Die Bewohner sind sehr freundlich und haben mich gut aufgenommen. Haben sie etwas Neues von meinem Mann gehört?“ fragte sie. Clara wollte Charles nicht beunruhigen und so verschwieg sie die aktuelle Situation. „Es tut mir leid Mrs. Taylor, ihr Gatte ist noch nicht aus dem Koma wieder erwacht. Gerne reiche ich ihre Telefonnummer an den zuständigen Arzt weiter, damit er sie informieren kann, wenn sich etwas tut.“ Charles war ein wenig besorgt, er spürte, dass etwas nicht stimmte, lies sich aber nichts anmerken. „Bitte tun sie das, mein Guter. Wie geht es ihnen? Ich hoffe doch gut.“ Charles lachte. „Natürlich Mrs. Taylor. Hier ist ja niemand und um das Haus müssen sie sich keine Sorgen machen, es ist in guten Händen. Ich habe jemanden Beauftragt, der es Winterfest macht. Immerhin wird es langsam an der Zeit.“ Clara war ein wenig erleichtert und verabschiedete sich. Sie würde sich wieder melden und hoffte, dass er die Zeit alleine gut rumbekommen würde.

In der drauffolgenden Nacht hatte Clara wieder den gleichen Traum, wie damals. Als sie erwachte, fragte sie sich, ob da etwas ist. Sie ging die Treppe runter und schaute an der Treppenseite nach. Nichts. Nur eine Holzverkleidung war zu sehen. Als sie die Verkleidung abtastete, spürte sie nur das verleimte Holz. Glatt und warm. War es alles nur Einbildung? Sie klopfte die Holzwand ab und hörte nur dumpfe Geräusche. Nichts. Kein Hohlraum dahinter. „Ich bin doch nicht ganz richtig im Kopf.“ Sagte sie zu sich selbst. Sollte sie wirklich zu Pater Mephis gehen? Ihm von ihrer Vergangenheit erzählen? Sie ging hoch und zog sich um, stellte Luna noch fressen und frische Milch hin und verließ dann das Haus. Sie hatte ihren roten Wintermantel an und einen lila Schal zierte ihren Hals. Es ist kalt geworden. Der Herbst färbte den Berg in ein schönes Farbenkleid aus rot und braun tönen, der Nebel stand zwischen den Bäumen, als wenn er auf etwas wartete. Sie ging die Straße entlang und beobachtete die wenigen Menschen, die unterwegs waren. Ein paar Jugendliche spielten irgendwas mit Steinen, vielleicht waren es auch Figuren, sie erkannte es nicht genau. Als sie Clara sahen, grüßte sie die Jugendlichen freundlich, bekam aber keine Antwort. Sie schauten sie nur mit Verachtung an und gingen dann ihrer Beschäftigung wieder nach. Der Sheriff fuhr an ihr vorbei und hob seine Hand zum Gruß, Clara lächelte freundlich zurück. Sie kam an die Hauptstraße und beschloss noch im Dinner einen kurzen Halt einzulegen um sich zu wärmen und noch eine Heiße Schokolade zu trinken. Sie möchte in der kalten Jahreszeit den Geschmack von Schokolade. Es erinnerte sie an früher. Ihre Mutter machte immer ein wenig Zimt und Lebkuchengewürz rein, damit man sich auf Weihnachten und den Winter ein bisschen freuen konnte.

Verträumt und mit ein wenig Vorfreude betrat sie das Dinner, die Türklinge läutete und die Kellnerin lächelte ihr zu. Es war nicht viel los in dem Geschäft, nur ein paar ältere Herren die Karten spielten und sie nicht beachteten, ein junges Liebespaar was sich befummelte und küsse austauschte. Clara schmunzelte wie sie sah, dass die beiden noch so unbeholfen und mit Zurückhaltung sich liebten. Am hintersten Tisch saß Dean Watson und trank seinen Kaffee, während er in einer Zeitung las. Clara ging zu ihm und setzte sich gegenüber hin. „Guten Tag, Mr. Watson.“ Sagte sie mit einem Lächeln. Watson schaute von der Zeitung auf und lächelte. „Guten Tag, Miss. Taylor. Wie geht es ihnen? Haben sie sich schon gut eingelebt? Wie gefällt ihnen das Haus?“ „Es ist ein Traum und die Bewohner sind recht eigen, aber damit komm ich schon zurecht.“ Die Kellnerin nahm ihre Bestellung auf und brachte wenig später ihre heiße Schokolade. „Keinen Kaffee heute?“ fragte Dean verwundert. „Nein, heute nicht. Ich stell mich schon auf den Winter ein.“ Sagte sie und musste dabei grinsen. „Was machen sie hier? Haben sie wieder beruflich hier zu arbeiten?“ fragte sie neugierig und nippte an ihren Getränk. Der Makler räusperte sich kurz und trank dann einen Schluck Wasser. „Ja, das Haus neben ihnen wird heute besichtigt. Eine Familie, ziemlich jung. Sie werden sich mit denen sicher gut verstehen. Sie sind in ihren alter und haben“ er blätterte kurz in seinen Unterlagen. „zwei Kinder.“ Clara überlegte kurz und beschloss dann den Versuch zu wagen. „Sagen sie, sie haben mir doch von den Vermissten Personen erzählt, die vor mir in dem Haus gewohnt haben, nicht wahr?“ Dean schaute aufmerksam. „Ja, gewiss. Was ist damit?“ „Haben sie damals die Verträge abgeschlossen und könnten mir Daten über sie geben?“ fragte sie gespannt. „Leider waren sie die erste, der ich diese Immobilie verkauft habe. Aber ich könnte im Archiv nachschauen und ihnen die Daten zukommen lassen, wenn sie das möchten. Falls ich nichts finde, könnte ich auch die Akten über das Sheriff Büro besorgen. Aber warum wollen sie die haben?“ seine Miene war leicht besorgt. „Neugier“ Sagte Clara und trank ihre Schokolade aus. „Ich danke ihnen, sie haben etwas gut bei mir.“ Lächelte sie. „Ach Miss Taylor, dafür nicht. Wir bleiben in Kontakt.“ Sie stand auf und bezahlte, als sie sich nochmal zu Watson umdrehte, war er schon wieder in seiner Zeitung versunken.

Nach knapp einer halben Stunde, erreichte sie die kleine Kapelle am Berg und trat ein. Es war kühl, schon fast kalt in der Kirche. Ihr Atem kam in kleinen Wolken aus ihr und sie rieb sich die Hände. „Hallo? Pater Mephis?“ rief sie in die Kälte. Schritte hallten und der Priester kam aus seiner Kammer. „Guten Tag, Mrs. Taylor. Wie kann ich ihnen helfen?“ fragte er freundlich. Er hatte sein schwarzes Gewand an, aber seine Beffchen schien er vergessen zu haben. „Pater, ich würde gerne mit ihnen reden.“ Sagte sie leicht verlegen und senkte den Kopf. Mephis lächelte: „Aber mein Kind, dafür müssen sie sich nicht schämen. Kommen sie, setzen wir uns und sie erzählen mir, was sie bedrückt.“ Es dauerte eine Zeitlang, bis Clara erzählt hat, was passiert war und wie sie hier her kam. Der Priester lauschte jedem Wort gespannt und musterte sie dabei. Als Clara fertig war, schaute er sie durchdringend an. „Clara, es ist gut dass sie sich das von der Seele geredet haben. Es muss ja eine ungeheure Belastung für sie sein.“ Langsam verflogen die schlechten Gedanken von ihr und sie war sich sicher, dass alles vielleicht wirklich nur Einbildung war. Mephis berührte ihre Hand. „Seien sie unbesorgt, von mir erfährt niemand etwas. Wir werden auf sie aufpassen und dafür sorgen, dass sie ihren Frieden finden.“ Er lächelte und Clara stand auf. „Danke Pater, das weiß ich zu schätzen.“ Sie ging zur Tür und verschwand dann im Nebel, der sich um die Kirche gelegt hatte. Mephis stand auf und schaute zum Altar rüber. „Ist sie eine Gefahr?“ fragte eine Stimme aus Richtung des Altars. Der Priester schüttelte den Kopf. „Nein. Sie wird zwar nicht leicht zu bekommen sein, aber eine Gefahr wird sie nicht sein. Behalt sie einfach im Auge und wenn sich etwas tut, informiere mich oder Mrs. Hollow.“ Die Person am Altar nickte und verschwand durch eine Nebentür, gegenüber von den Gemächern des Priesters.

Der Herbst machte Platz für den Winter und der erste Schnee fiel. Mount Pray sah wie gezuckert aus und die Bewohner schmückten ihre Häuser für Weihnachten. Claras neue Nachbarn zogen ein, die Gallahands, aber sie hatte wenig Kontakt zu ihnen. Sie waren alle sehr Religiös und es kam ihr vor, als ob sie mit ihr nichts zu tun haben wollten. Paul hatte sich gemeldet und versprach sie wieder anzurufen, wenn er was gefunden hat. Mr. Watson ließ die Daten über die fünfzehn Personen Clara zukommen, doch auch dort fand sie nichts Interessantes. Sie ließ das Thema ruhen und tat es als Hirngespinst ab. Es lief alles ruhig von statten, ein wenig zu ruhig. Der kalte Wind wehte durch die Straßen und ließ die Stadt zum Stillstand kommen. Die Straße zur Stadt war durch den Schneefall gesperrt worden und würde wahrscheinlich erst wieder im Frühjahr aufgemacht werden. Das Dorf war nun auf sich gestellt, was im Winter in Sankt Mary passiert, wird für immer hier begraben sein und in Sankt Mary bleiben.

Die Mordokai Trilogie: Das DorfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt