18. Kapitel

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Am nächsten Tag wiederholen wir die Übung von gestern gleich noch einmal, denn Pferde merken sich eher etwas, wenn sie es öfter gemacht haben. Ich freue mich, dass es so gut klappt. Auch Katja lobt uns. „Fritzi ist ein sensibles Pferd, deswegen klappt das sehr gut, aber er kann es dir dadurch auch sehr schwer machen. Besonders bei der nächsten Aufgabe musst du auf deine Körpersprache achten, sonst weiß er nicht was du von ihm willst". „Okay, was soll ich machen?", frage ich. „Du bleibst in der Mitte stehen und sagst ihm von da aus was er tun soll. Konkret heißt das, dass du dich groß machst und er ganz außen laufen soll. Guck ihm dabei, die ganze Zeit auf die Schulter und nicht in die Augen". Als das schon ganz gut auf beiden Seiten klappt, ruft Katja mir etwas Neues zu. „Streck deine Arme aus und stell dir vor dein innerer Arm wäre eine Verlängerungslinie zu seiner Schulter. Lauf immer mit ihm mit. Wenn er schneller gehen soll drehe deinen inneren Arm ein Stück nach vorn, so schiebt ihn der imaginäre Balken nach vorn. Zum Anfang kannst du auch deine Stimme einsetzen. Zum Anhalten drehst du deinen Arm, der zur Pferdekruppe zeigt, nach hinten und den Arm, der dann zum Pferdekopf zeigt, bremst ihn. Versuch es einfach mal". Ich fühle komisch als ich mit ausgestreckten Armen auf Fritzi zu gehe. Zuerst ist er verwirrt und weiß nicht was ich von ihm will. Doch nach ein paar Versuchen klappt es immer besser. Es ist immer wieder dasselbe. „Für heute ist erst mal Schluss, denn ich muss die Pferde noch für das Turnier vorbereiten, aber wenn du mir morgen beim Ausmisten hilfst können wir am Nachmittag ein Gelassenheitstraining beziehungsweise ein weiteres Vertauenstraining aufbauen", schlägt sie mir vor. „Okay abgemacht". Den restlichen Tag helfe ich Melike beim Sattelzeug putzen und Bandagen aufrollen, es fühlt sich wieder ein bisschen an wie früher, doch da habe ich mein eigenes Turnierzeug vorbereitet.
Am nächsten Morgen verabschiede ich Tim, Niklas, den Aknefrosch, Mama und Melike zum Turnier und miste zusammen mit Katja die Ställe aus, weil Heinrich und Stani Urlaub haben. Katja und ich erzählen über den neusten Tratsch, unsere Kindheiten und veranstalten sogar einen kleinen Tanzwettbewerb, ich hab wirklich lange nicht mehr so viel gelacht. Als ich uns dann was von der Pizzeria bestelle, baut Katja schon mal den Parcours auf. Ich sehe sehr viele Stangen auf dem Boden liegen, Hütchen, Absperrband, einen Autoreifen und einen Regenschirm. Nach dem Essen putzen wir Fritzi ausgiebig und betreten dann den Platz. Fritzi wird gleich aufmerksamer, hat aber keine Angst. „Es ist wichtig, dass du selbstbewusst auf jede Station zugehst, damit er sieht, dass du keine Angst hast. Lass ihn aber immer vorher alles genau untersuchen, dann dürfte nichts schiefgehen", lautet Katjas Aufgabenstellung. Wenn Papa wüsste was wir hier machen, würde er uns für Verrückt halten. Aber ich habe das Thema Bodenarbeit einmal gegoogelt und es ist sehr verbreitet. Zuerst führe ich Fritzi ohne Probleme durch ein aus Stangen gelegtes L, eine Aufwärmübung, die wir ohne Anstrengung meistern. Danach geht es im Slalom um die knall orangen Hütchen, auch kein Problem. Schwieriger wird es schon bei dem Autoreifen, in den er treten soll, doch nach mehreren versuchen, schaffen wir auch das. Als nächstes liegt eine blaue plane vor uns und laut Fritzi liegen da ganz sicher Gespenster drunter, manchmal bringt mich dieses Pferd echt zum Lachen. Ich befehle Fritzi stehen zu bleiben und gehe selber über die Plane, als er sieht, dass nichts passiert ist, lässt auch er sich dazu überreden drüber zu gehen. Danach wird er erst einmal ausgiebig geknuddelt und gelobt. Unsere nächste Aufgabe besteht daraus, dass Katja einen Stock mit angeknotetem Absperrband hochhält, unter dem wir durchgehen müssen. Im ersten Augenblick ist das Absperrband natürlich wieder ganz gefährlich, doch irgendwie meistern wir auch diese Aufgabe. Als letztes kommt der Regenschirm zum Einsatz, doch den müsste Fritzi kennen, denn als er noch ein Fohlen war, hab ich das immer mit ihm geübt. Und tatsächlich zuckt er beim zweiten Mal Öffnen nicht mal mehr mit den Ohren. „Du hast ein tolles Pferd", bemerkt Katja. „Oh ja", gebe ich stolz zurück. „Aber ein Pferd ist immer nur so toll und gut, wie der Reiter, der das Pferd ausbildet, oder der Mensch, der das Pferd liebt". „War das jetzt ein Kompliment?", frage ich ein wenig schüchtern. „Ein sehr großes sogar". „Aber du hast mir doch geholfen". „Nein, das haben du und Fritzi ganz alleine geschafft. Und wie du heute gesehen hast, vertraut er dir zu 100%, jetzt ist es an der Zeit ihm dein Vertrauen entgegen zu bringen. Jetzt liegt es an dir, ob du dich traust wieder aufzusteigen". „Aber..." „Nichts aber, du kannst jetzt aufsteigen oder morgen oder in einer Woche oder nie, es ist ab jetzt deine Entscheidung". „Ich glaube ich kann das nicht". „Warum?" „Wegen den Erwartungen, denke ich". „Aber hier geht es um dich und deine Liebe zu Pferden. Ich will jetzt nicht böse klingen aber ich denke du wirst heute nicht mehr aufsteigen, deshalb schlage ich vor Fritzi mit den anderen Pferden auf die Weide zu bringen".
Den nächsten Tag lasse ich mich nicht auf dem Hof blicken, natürlich weiß ich, dass Katja ganz allein ist, aber ich schäme mich irgendwie. Natürlich vermisse ich den Pferderücken, aber andererseits habe ich Angst alles verlernt zu haben, habe Angst ein Pferd im Notfall nicht unter Kontrolle zu haben und Angst Papa ein weiteres Mal zu enttäuschen, wenn ich ihm sage keine Turniere mehr gehen zu wollen. Verzweifelt suche ich im Internet nach Erfahrungsberichten, wie es so ist nach einem Unfall wieder aufs Pferd zu steigen, denn keiner aus meiner Familie versteht mich, außer Mama vielleicht, aber sie macht sich immer zu große Sorgen. Ich höre wie der Transporter auf den Hof fährt, aber ich traue mich nicht ihnen unter die Augen zu treten, wenn Katja ihn von meinem Fortschritt berichtet hat. Also beobachte die Szene aus dem Fenster, alle sehen etwas kaputt aber sehr glücklich aus. Tim, Niklas und Papa laden die Pferde aus. Währenddessen Mama und Melike die Sättel wegräumen. Ich sehe, dass Melike die Decken heruntergefallen sind und so fasse ich mir ein Herz und renne nach unten um ihr zu Helfen. „Hey, warte Melike ich helfe dir beim Zusammenlegen", rufe ich ihr entgegen. „Ach du lebst auch noch?", fragt sie leicht eingeschnappt. „Nur weil ich nicht mitgefahren bin?" „Nein, auch weil du dich komplett zurück gezogen hast". „Das stimmt nicht, in den letzten Wochen war ich jeden Tag im Stall". „Ja wegen Katja". „Das ist also dein Problem, du fühlst dich vernachlässigt". „Wie würdest du dich denn an meiner Stelle fühlen?!" Ich schweige. „Siehst du genau das ist das Problem, du versuchst jedem möglichen Problem aus dem Weg zu gehen. Du wusstest wie ich mich fühle und bist nie vorbei gekommen. Oder führst hier wochenlang Pferde herum und redest dir ein, es wäre ein riesiger Fortschritt. Vielleicht ist das aber auch nur ein Floh den dir Katja ins Ohr gesetzt hast!", wirft mir Melike vor. „Als erstes lass bitte Katja aus dem Spiel, sie hat mich verstanden. Ich weiß, dass ihr alles versucht habt um mir zu helfen, aber dabei konntet ihr mir leider nicht helfen. Und auch jetzt stehe ich allein da, alle kennen und lieben mich als Elena auf dem Pferderücken, vielleicht will ich das aber gar nicht mehr sein. Ich will nicht nur die Elena sein, aber ihr gebt mir das Gefühl nur so in eurem leben Platz zu haben und das macht mich verdammt traurig. Ich bin nicht zu dir gekommen, weil... Weil ich schäme nicht den Mut zu haben da weiter zu machen wo ich aufgehört habe. Katja kannte mein altes Ich nicht und das war erfrischend, was nicht heißt, dass ich dich wahnsinnig vermisst habe". Als ich die letzten Worte ausspreche, kommen alle Emotionen in mir hoch, die ich versucht hatte zu unterdrücken. Ich merke wie die Tränen an meinen Wangen herunter rollen und wie erleichternd das ist, alles einmal auszusprechen. „Komm her", ruft Melike mit roten Augen und breitet ihre Arme aus. So umarmen wir uns bestimmt minutenlang. „Wir alle wollten, dass du wieder reitest, weil wir wissen wie viel Spaß du daran hattest und nicht um irgendwem etwas zu beweisen", flüstert sie in mein Ohr. „Danke", flüstere ich zurück und drücke sie noch ein bisschen fester. Langsam lösen wir uns aus unserer Umarmung. „Wenn ihr noch lange so rumsteht, sind die Decken bald angefroren und die Pferde vor Hunger gestorben", ruft Papa uns entgegen. Er hat heute wirklich gute Laune. „Was hast du gewonnen?", frage ich ihn. „Wieso?" „Du hast so gute Laune". „Hab ich sonst immer schlechte Laune?" „Er hat so gut wie alles gewonnen, was man auf dem Turnier gewinnen konnte", mischt sich Melike ein, „Tim und Niklas übrigens auch". „Super!!!", freue ich mich und renne sofort in den Stall um Tim zu beglückwünschen. „Da ist ja mein Sieger", renne ich Tim stürmisch entgegen. Er fängt mich ab und schleudert mich einmal im Kreis, weil ich so viel Schwung habe, doch dann hält er inne. „Du hast ja geweint", stellt er mit besorgter Miene fest. „Halb so schlimm", winke ich lächelnd ab. „Krieg ich jetzt meinen Behlonungskuss?", fragt er stattdessen. Natürlich bekommt er ihn, deswegen bin ich schließlich zu ihm gelaufen.
Am Abend sitzen wir alle gemütlich in Omas Biergarten zusammen, denn auch sie sind von ihrem Ausflug zurückgekehrt. Bis auf Heinrich und Stani sind alle da. Selbst Lajos und Katja, die auf Christians Schoß sitzt, so viel zum Thema nur Freunde. Und dann kommt Mama mit einem großen Pappkarton an den Tisch, wie sich herausstellt sind es alles alte Fotoalben und Zeitungsartikel von mir. Es gibt Bilder, wie ich als Baby mit Papa zusammen auf dem Pferd sitze oder von ersten Reitstunden mit Opa. Danach die Bilder sind alle von Sirius und mir, den armen Kerl habe ich Ewigkeiten nicht mehr besucht. Es gibt Bilder von meinen ersten Turnieren, wie ich stolz die Schleife hochhalte und in die Kamera lächel. Manchmal ist sogar Christian mit drauf. Es folgen Bilder von Fritzi als Fohlen, im Stall, auf der Weide, auf Turnieren und sogar in Zeitungen. Als sich alle zusammen mit mir die Bilder anschauen, wird mir ganz warm ums Herz. „Wessen Idee war das?", es soll wie ein Vorwurf klingen, weil manche Bilder echt peinlich sind, aber eigentlich möchte ich demjenigen danken. „Meine", meldet Melike sich stolz, „Die Idee ist mir vorhin gekommen, um dich daran zu erinnern, was du früher erreicht hast und wofür du alles gegeben hast. Tut mir leid, wenn es eine blöde Idee war". „Nein das war es nicht, nur fürchte ich, wird das nichts ändern". „Das heißt du willst nie wieder reiten?", platzt es Tim raus. Es tut weh in seine traurigen Augen zu sehen, in ihnen sehe ich alle Hoffnung zerplatzen. Wahrscheinlich ist er nicht der einzige, aber ich bringe es nicht übers Herz, mir mehr solcher Gesichter anzusehen. Also stehe ich auf und renne hoch in mein Zimmer. „Toll du hast alles versaut", höre ich noch von Melike an Tim gewandt. Ich schmeiße mich in mein Bett und beginne zu heulen, denn es ist genau das passiert, was ich nie wollte, diese traurigen Gesichter. Doch als ich mich etwas beruhigt habe, höre ich immer wieder wie Tim sagt: Das heißt du willst nie wieder reiten? Der Satz beschäftigt mich und ich frage mich, wie dann meine Zukunft aussehen soll. All meine Pläne hatten bisher mit Pferden zu tun und plötzlich wird mir klar, dass ein Leben ohne auf dem Pferderücken zu sitzen nicht für mich in Frage kommt und ich das Reiten schrecklich vermisst habe. Wie von einer Tarantel gestochen springe ich aus dem Bett und renne zum Kleiderschrank um meine Reithose und Helm von ganz hinten hervorzusuchen. Plötzlich kann es nicht schnell genug gehen, mich auf den Pferderücken zu schwingen. Unbemerkt gehe ich in den Stall in dem Fritzi jetzt steht und von da aus in die angrenzende Halle. Zuerst hat er komisch geguckt als ich mit der Trense ankam, doch dann hat er gewiehert, als wüsste er was jetzt kommt. Manchmal sind Pferde einfach die schlausten Tiere die es auf der Welt gibt. Als ich dann vor der Aufstiegshilfe stehe wird mir doch etwas mulmig und mir wird bewusst wie leichtsinnig das ist was ich hier tue. Zuerst steht Fritzi ganz geduldig doch er scheint meine Unsicherheit zu spüren und stupst mich leicht mit der Nase an. Noch einmal gucke ich in die treuen braunen Augen und dann springe ich ab und lande auf einem Pferderücken, wer hätte es gedacht! Vor Freude beuge ich mich herunter und umarme Fritzis Hals. Danach reite ich im Schritt los und habe das Gefühl vor Glück zu platzen. Fritzi scheint es genauso zu gehen und galoppiert erst mal an. Aber ich habe keine Angst, es scheint als sei der Knoten geplatzt und alles ist wie früher. Die kraftvollen Galoppsprünge von Fritzi habe ich wirklich schrecklich vermisst. Auf einmal höre ich klatschen und Pfiffe, ich pariere Fritzi durch und sehe meine ganze Familie am Eingang der Halle stehen. Wenn ich das über die Entfernung richtig sehe, hat mein Papa Tränen in den Augen.


Elena ein Leben für PferdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt