Auf dem Main-Tower

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Am nächsten Morgen verkündet Herr Fegebein, dass wir heute den Main-Tower besichtigen werden. Der Turm ist 200 Meter hoch und hat eine Aussichtsplattform. Von der Form her sieht er aus wie eine Keksrolle. Nach dem Frühstück treffen wir uns auf dem Parkplatz. Cäcilie, Anja, Theresa und Nojono haben sich natürlich wieder fein heraus geputzt. Mit dem Bus fahren wir in die Stadt. Es ist ziemlich viel Verkehr und es gibt viele rote Ampeln, an denen wir halten müssen. Aber auf Dauer nervt es einfach. Als wir schon wieder halten, stöhnen alle genervt auf. Nur Susanne scheint das kein bisschen zu stören. „In Singapur war das manchen Tag noch schlimmer", sagt sie, doch das beruhigt uns nur wenig. Dann kommen wir endlich auf dem Parkplatz an. Die Sonne scheint und es ist brütend warm, ziemlich ungewöhnlich für Mitte September. Wir versammeln uns alle auf dem großen Platz, auf dem einige Tauben nach Futter suchen und am Rand viele Häuser mit Cafès stehen. Im Schatten der Sonnenschirme sitzen bereits Touristen. „Bis zum Main Tower müssen wir noch ein Stück laufen", sagt Herr Fegebein. „Auch noch laufen?", jammert Cäcilie. „Bei der Hitze?", stimmt Anja mit ein. „Ich dachte, der Bus würde uns direkt vor dem Turm absetzen!", beschwert sich Nojono. „Das kleine Stück werdet ihr ja wohl überstehen", erwidere ich. „Soweit ist es gar nicht." Einmal über die Straße, ein Nebenstraße entlang und wir stehen vor dem Main Tower. Es gibt ganz schön viele Eingänge. Von unten sieht der Tower ziemlich hoch aus. Man könnte meinen er würde gleich umkippen. Herr Fegebein und Frau Stern rätseln, wo es jetzt zum Eingang zur Aussichtsplattform geht. „Gehen wir einfach hier rein", meint Susanne und stößt eine der vielen Glastüren auf. „Entschuldigung, können Sie mir sagen, wo es hier zur Aussichtsplattform geht?", fragt sie eine Frau in weißer Bluse, die hinter einem großen Thresen sitzt.Rezeption steht darüber. „Durch die Tür da und Sie sind da", erklärt diese. „Danke", bedankt sich Susanne. „Alle mir nach!" Herr Fegebein zeigt der Frau an der Kasse eine Karte. Sie nickt einem Mann zu. Der sagt: „Bitte zieht eure Jacken aus und legt sie hier rein. Eure Taschen bitte auch." „Wofür das denn?", fragt Anja. „Aus Sicherheitsgründen", erklärt der Mann. „Und welchen?", hakt Anja nach. Sie sieht den Mann herausfordernd an. Viele verdrehen die Augen. Geht das schon wieder los! Immer muss sich dieses Mädchen mit irgendwem anlegen, wenn ihr was nicht passt. Auf Dauer nervt das echt. „Falls jemand Bomben oder leicht entzündliche Flüssigkeiten bei sich trägt oder Waffen wie Messer oder Scheren mit dabei hat", antwortet der Mann ruhig. „Warum das denn?", will Anja wissen. „Falls doch etwas brennt, müsste sofort das ganze Gebäude evakuiert werden", antwortet Susanne. „In Singapur war das auch so. In dem Hochhaus, in dem ich gearbeitet habe, warenan manchen Tagen 4500 Leute anwesend. Eh die alle aus dem Gebäude raus und in Sicherheit sind... ." „Deswegen ist es wichtig, dass wir euch kontrollieren", sagt die Frau von der Kasse. „Wir wollen euch nicht unterstellen, dass ihr Terroristen seid. Es geht einfach nur darum, die Vorschriften zu befolgen." „Komm Anja, reg dich nicht auf", meint Cäcilie. „Ich gebe meine Sachen aber nicht her", erwidert Anja. „Wer weiß, ob die hier nicht klauen!" „Ihr kriegt eure Sachen heil wieder, das ist doch klar", sagt der Mann. „Mensch, du bescheuerte Schnepfe, das ist wie am Flughafen", sagt Sofia energisch. „Stell dir vor, du willst nach Ibiza fliegen und bis grad beim Einchecken. Da ist doch auch so eine Sicherheitskontrolle." Anja rümpft hochnäsig die Nase. „Soll ich es dir vormachen?", fragt Sofia. Sie legt ihre Jacke und Tasche in eine von den Boxen und stellt sie auf das Fließband. Die Sachen kommen in einen Kasten, wo sie kontrolliert werden. Auf dem Computer sieht man, was alles drin ist. Das Zeug kommt auf der anderen Seite wieder raus. „Siehst du, alles noch da", meint Sofia. „Jetzt geht es weiter. Du selbst musst durch diese Schleuse hier gehen." Die Schleuse sieht eher aus wie ein verunglückter Rosenbogen, aber damit hat es Anja endlich kapiert. „Wenn nichts piept, ist alles in Ordnung", sagt Sofia, als sie auf der anderen Seite ist. „Jetzt kannst du deine Sachen wieder nehmen und wartest auf die anderen." Der Mann grinst. „Genau so. Super, junges Fräulein. Jetzt kommen die anderen." Timon und ich kommen danach. Es geht eigentlich ganz schnell. Doch Anja hat immer noch ihre Probleme. „Da ist was drin, was du nicht mit hoch nehmen darfst", sagt die Frau hinter dem Computer. Sie sieht so aus, als hätte sie es lieber verschwiegen. Man muss kein Genie sein, um zu wissen, auf was das hinaus läuft. Und was?", fragt Anja bissig. Die Tasche kommt wieder heraus und die Frau macht sie auf. „He, was machen Sie da? Dürfen Sie das überhaupt?", schreit Anja auf. „Ja", antwortet die Frau. Sie holt eine Schere aus der Tasche. „Ich weiß, das ist nur eine Nagelschere, aber trotzdem könntest du damit jemanden erstechen. Diese Creme muss auch hier bleiben. Eigentlich deine ganze Tasche, bis auf dein Portmonee." „Was?", fragt Anja. „Sie können meine Tasche doch nicht einfach beschlagnahmen." „Das dürfen wir", erwidert der Mann. „Wo steht das geschrieben?", will Anja wissen und legt ein siegessicheres Grinsen auf. Wahrscheinlich denkt sie, dass sie damit gewonnen hätte. Die Frau deutet auf eine große Tafel. „Punkt 4: Schönheitsartikel (einschließlich Scheren und Nagelpfeilen) dürfen nicht mit auf die Aussichtsplattform genommen werden und müssen an der Sicherheitskontrolle abgegeben werden", murmelt Anja vor sich hin. „Und ich kriege die auch wieder?", fragt sie. „Sicher doch", antwortet die Frau und legt die Tasche in eine Box. „Du kannst sie nachher wieder abholen." „Gott, wie lange soll denn das noch dauern?", seufzt Anna. „Kann die's nicht endlich kapieren?" „Doof bleibt doof", meint Sofia. „Daran kann man nichts ändern." Ich frage den Mann, ob wir oben auch fotografieren dürfen. Er nickt und gibt mir ein Schlüsselbund, an dem eine Karte befestigt ist. „Fotoerlaubnis" steht darauf. Ich hänge mir das Ding um den Hals und dann geht es endlich los. Eine Treppe hinauf und dann sind wir vor dem Fahrstuhl. „Es gibt nur einen Fahrstuhl?", fragt Theresa. „Da passen wir doch nie alle rein. Wenn ich schon nur daran denke, kriege ich Platzangst." „Simon, Timon, Nico, Phillip und Frederik fahren mit mir. Dann kommt ihr anderen mit Frau Stern und Frau Mohr hinterher. Ich nehme an, du willst heute wieder etwas für euren Film drehen?" Letzteres war wohl an mich gerichtet. Ich nicke. Wenige Zeit später sind wir oben. Der Fahrstuhl fuhr derartig schnell, dass ich Druck auf den Ohren habe. 200 Meter in weniger als 8 Sekunden. „Hier gibt es sogar ein Restaurant", stellt Herr Fegebein fest. Wir müssen noch eine Treppe hinauf gehen und sind dann oben auf der Aussichtsplattform. Hier pfeift der Wind aber ganz schön! Kurz darauf kommen auch die anderen nach. Von hier oben sehen wir ganz Frankfurt. Alle Häuser, Straßen, Autos... „Das sieht man von unten ja alles gar nicht", sagt Nico. „Was denn?", will ich wissen. „Schau' dich doch mal um", antwortet Nico. „Manche Häuser haben einen Dachgarten oder einen Swimmingpool da oben." Stimmt! Sieht eigentlich ganz lustig aus. Frau Stern wagt sich etwas weiter weg ganz langsam an die Glasabsperrung ran. Sie klammert sich am Geländer fest. „Haben Sie Höhenangst?", fragt Susanne. Frau Stern nickt. „Keine Angst, schauen Sie sich die Stadt an, da vergessen Sie Ihre Höhenangst schon." Man kann den Bahnhof sehen, den großen Flughafen, die Alte Oper, den Main und die vielen Brücken, die darüber führen, die Commerzbank-Arena (aber nur ganz klein) und die ganzen anderen Wolkenkratzer von Frankfurt. Die Zwillingstürme der Postbank, den Messeturm, den „Tower 185" und, direkt neben uns (fast zum Greifen nah) der Commerzbank-Tower! Mit 303 Meter bis zur Spitze ist er der höchste Wolkenkratzer in Deutschland, steht auf einer Infotafel. Timon steht an einem der Ferngläser. „Man damit genau sehen, was die Leute im Commerzbank-Tower machen", sagt er. „Hihi, der eine sitzt auf seinem Schreibtisch und isst einen Apfel." „Können wir ein Klassenfoto hier oben machen?", frage ich Herrn Fegebein. „Klar doch", antwortet er. „Alle herkommen", ruft er. „Wir machen ein Klassenfoto." Wir stellen uns auf, im Hintergrund den Commerzbank-Tower. Ich stelle den Selbstauslöser ein und laufe schnell zu den anderen. „Ist gut geworden", sage ich. In der Ferne ziehen Wolken auf, die ziemlich schnell näher kommen. „Ich glaube, da zieht eine Regenfront auf", vermutet Susanne. „Wollen wir nicht lieber runter ins Restaurant gehen?"

Ein paar Minuten später sitzen wir im Restaurant. Wir sind fast ganz alleine. „In den nächsten Tagen wollen wir uns noch den Flughafen anschauen und morgen haben wir etwas ganz Tolles vor", erklärt Herr Fegebein. „Und was?", frage ich. „Wird noch nicht verraten", antwortet Frau Stern. Dann wird es Zeit, dass wir wieder nach unten fahren. Anja holt ihre Tasche wieder ab und muss natürlich sofort kontrollieren, ob noch alles da ist. Zufrieden nickt sie. Die Wolken sind mittlerweile mitten über uns. „Wir müssen uns beeilen, wenn wir trocken im Hotel ankommen wollen", sagt Herr Fegebein. „Also Beeilung." Er fängt an zu rennen. Wohl oder übel müssen wir hinterher. Anja, Cäcilie, Theresa und Nojno haben Mühe auf ihren Absatzschuhen das Gleichgewicht zu halten. Ich filme das mit, warum auch immer. Wahrscheinlich, damit der Film etwas echter wirkt. Uns kommen einige Leute entgegen. Darunter auch ein Mann mit schwarzer Hose und Jacke. Er rennt mitten durch uns hindurch. Plötzlich kreischt Anja auf. „He, du Blödian, gib' mir sofort meine Tasche zurück!", schreit sie. Doch der Mann dreht sich nicht einmal um und rennt einfach weiter, Anjas Tasche unter dem Arm. Die meisten von uns bekommen erst jetzt mit, was passiert ist. Der Mann ist inzwischen hinter der nächsten Ecke verschwunden. „Alles in Ordnung?", fragt Frau Stern erschrocken. „Ja ja", versichert Anja. „Der Kerl hat mir meine Tasche gestohlen." Plötzlich bricht sie in Tränen aus. „Darin war mein ganzes Geld. Fast 300 Euro und meine Kreditkarte, falls das Geld nicht reicht und mein Personalausweiß und ich hatte auch mein Handy mit rein gelegt. Das ist jetzt alles weg!", heult sie. „Wir müssen sofort zur Polizei", meint Cäcilie, „den Diebstahl melden!" „Wo ist denn hier die nächste Polizei?", fragt Herr Fegebein. „Das müssen Sie doch wissen", erwidert Theresa. Irgendwie sind alle ganz plötzlich aufgeregt und reden wie wild durcheinander. „Wir müssen jetzt zum Bus", sagt Herr Fegebein. „Wir können doch vom Hotel aus die Polizei anrufen", stimmt Frau Stern zu. Als hätten wir nicht schon genug Stress, beginnt es auch schon zu regnen. Richtig stark. Anja heult immer noch. Irgendwie tut sie mir inzwischen leid. Auch wenn sie immer so hochnäsig und angeberisch ist, keiner hat es verdient, auf der Klassenfahrt bestohlen zu werden. Wenn der Typ nun das Konto von Anja leer räumt! „Keine Sorge", sage ich zu ihr. „Ich habe alles aufgenommen. Damit können wir eine ziemlich genaue Täterbeschreibung abgeben." Anja lächelt ein bisschen. „Danke", sagt sie. „Ist nett von dir."

Simon und das Großstadtabenteuer (Band 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt