Allein in der Großstadt

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Herr Andersson hat uns erlaubt seinen Computer zu benutzen. Wir gucken uns das Video vom Überfall an. „Stop", sagt Anja. „Da sieht man ihn ganz deutlich." „Ein Glück, dass der seine Kapuze nicht aufhatte", meint Sofia. „Sonst hätte man ihn gar nicht erkannt und dann wäre meine Tasche mit allem auf nimmer Wiedersehen verschwunden", seufzt Anja. „Wir rufen jetzt die Polizei an", erklärt Herr Fegebein, „die kommen vielleicht her und helfen uns weiter." Er geht an die Rezeption zum Telefonieren. Eine halbe Stunde später fährt der Streifenwagen der Polizei vor. Anja und Herr Fegebein erklären den beiden Polizisten was passiert ist. „Viel können wir da jetzt nicht machen", sagt der eine. „Aber Sie müssen doch irgendwas tun!", erwidert Anja. „Wir können eine Beschreibung des Täters an alle Stationen hier in der Umgebung schicken", meint der zweite Polizist. „Für den Fall, dass du deine Tasche nicht zurück bekommst, seid ihr doch hoffentlich gut versichert." Das war's auch schon. Unser Freund und Helfer kann im Moment auch nicht mehr für Anja tun. Jeder sagt einen Satz, füllt ein Formular aus und schon fahren wieder. Fast wie bei Pippi Langstrumpf. „Dafür brauche wir dann das Formular für gestohlene Taschen", sagte Klang. „Oder fällt das nicht eher in die Kategorie für entwendete Wertsachen in der Großstadt?", fragte Kling. „Dann bräuchten wir nämlich das Formular." So ähnlich ist es auch hier. „Toll", sagt Anja trocken. „Was sollte das denn?" „Hast du etwa erwartet, dass sie einen Großeinsatz einberufen und sämtliche öffentliche Einrichtungen gesperrt werden?", erwidert Sofia. „Das nun nicht", erklärt Anja. „Aber ein bisschen mehr." „Vielleicht triffst du den Kerl ja noch mal wieder", meint Susanne zuversichtlich. „Obwohl das in so einer Stadt wie Frankfurt so gut wie unmöglich ist."

„Heute, an unserem zweiten Tag, machen wir etwas ganz Besonderes", verspricht Herr Fegebein beim Frühstück. „Wir fahren gegen 10 Ur nach Frankfurt zum Opernplatz", ergänzt Frau Stern. „Und was soll daran so besonders sein?", entgegnet Carlotta. „Is'n Platz wo 'ne alte Oper dasteht." „Es kommt ja drauf an, wie es dann weitergeht", erwidert Susanne. Anscheinend weiß sie mehr als wir. „Ihr dürft heute allein Frankfurt angucken", verkündet Herr Fegebein schließlich. „Nicht ganz allein", stellt Frau Stern richtig. „In kleinen Grüppchen, von denen jede mindestens ein Handy dabei hat." „Falls ihr euch verlauft, könnt ihr uns anrufen", erklärt Susanne. „Ist das nicht toll?", fragt mich Timon. „Allein in Frankfurt. Das wird klasse!" „Es gibt da allerdings ein paar Regeln", unterbricht Frau Stern unser Volksgemurmel. „Ihr habt eure Ausweiße dabei und kauft keinen Alkohol oder Drogen. Geht nicht mit fremden Leuten mit und lasst euch möglichst nichts klauen." Alle nicken, Anja ganz besonders.

Punkt um 10 Uhr steigen wir am Opernplatz aus. Neben uns steht die berühmte Alte Oper. Ich mache gleich ein paar Fotos. „Dann treffen wir uns um 13Uhr wieder hier, keine Minute später", ruft Herr Fegebein uns hinterher. Die Klasse hat sich bereits in kleine Gruppen aufgeteilt, die jetzt in alle Himmelsrichtungen wandern. „Was machen wir jetzt?", fragt Nico. Er hat einen Stadtplan mit. „Vielleicht sollten wir erstmal gucken, wo wir heute überall hinwollen", schlägt Phillip vor. „Ich würde mir ja gerne mal den 'Hammermann' beim Messeturm angucken", sagt Sofia. „Wir könnten auch noch mal zum Commerzbank-Tower gehen", meint Timon. „Wir können mit der U-Bahn zum Messegelände fahren", schlägt Nico vor. „Dann kommen wir auch irgendwie zurück zum Commerzbank-Tower und der Main ist auch nicht weit."

Gesagt, getan. Doch ich hatte mir U-Bahn fahren irgendwie anders vorgestellt. Zuerst müssen wir uns Tickets kaufen. Das erweist sich schon als erste Schwierigkeit. „Ich kauf' am besten 'ne Tageskarte", schlägt Sofia vor. „Dann krieg' ich jetzt von jedem von euch 6,50€." Timon reicht ihr einen 10€-Schein. Doch der Automat will das Stück Papier nicht annehmen. Hinter uns hat sich schon eine Schlange gebildet. Die meisten scheinen es sehr eilig zu haben. Sofia hat es mittlerweile hingekriegt, mit ziemlich viel Kleingeld allerdings, für jeden von uns eine Karte zu kaufen. Auf den Bahnsteigen ist sehr viel los. Männer und Frauen in Anzügen mit Krawatte und Aktenkoffer warten auf den nächsten Zug. Zwei ausländisch aussehende Frauen studieren den Fahrplan, auf den Bänken sitzen Leute und lesen Zeitungen. Ich kann drei deutsche, eine russische und zwei französische erkennen und dann ist da noch eine mit komischen Schriftzeichen, entweder Japanisch oder Chinesisch. „Der nächste Zug kommt in zwei Minuten", erklärt Nico. Als die Bahn kommt, steigen ziemlich viele Menschen aus, doch mindestens genau so viele wollen einsteigen. Es ist ein einziges Gedrängel. Man muss aufpassen, dass man hier nicht zerquetscht wird. Schließlich stehen wir in der total überfüllten U-Bahn. Die Türen schließen sich und der Zug braust davon. Es ist in den Tunneln stockfinster und man hat das Gefühl, als würde man irgendwo ins Nichts schweben. Wir fahren ein paar Stationen weiter, bei denen überall Leute ein- und aussteigen. „Ist das immer so in einer Großstadt?", frage ich Sofia. „Klar", antwortet Anna. „Oder denkst du, das ist in anderen Städten anders?" „Dass es so voll ist, hätte ich aber auch nicht gedacht." „An der nächsten Station müssen wir raus", sagt Nico. Ich sehe ihn zwar nicht, aber er scheint irgendwo an der Tür zu stehen. Als die Bahn hält, drängeln wir uns nach draußen. Auf dem Bahnsteig laufen beinah nur Leute in Anzügen rum. Ein bisschen komme ich mir hier komisch vor. Wir wollten heute eigentlich an unserem Film weiterdrehen, aber die U-Bahn Stationen lasse ich lieber aus bei so vielen Menschen.

Draußen angekommen atme ich erstmal tief durch. Schön, wieder an der frischen Luft zu sein. Vor uns stehen der „Hammermann", daneben der Messeturm und dahinter die Festhalle. Der Hammermann ist eigentlich nur eine Art Statue, die einen Mann zeigen soll, der irgendwas mit einem Hammer bearbeitet. Das Besondere daran ist, dass er sich bewegen kann und beinah dreifach so groß ist wie ich. Riesig also. Nachdem wir uns ein bisschen auf dem Platz vor der Festhalle umgesehen haben, fahren wir zurück zum Commerzbank-Tower. Von da aus gehen wir zum Main. Mittlerweile ist es Mittag und ziemlich warm. „Hat jemand Lust auf ein Eis?", fragt Anna und zeigt auf ein Eiscafé. „Klar doch", stimmt Nico zu. Eine halbe Stunde später sitzen wir an einem Tisch und essen unser Eis. Die Zeit ist ziemlich schnell vergangen. Bald müssen wir zurück zum Opernplatz. „Schaut mal da", sagt Timon plötzlich. „Ist das nicht der Mann, der Anja gestern die Tasche geklaut hat?" „Sieht so aus", stimmt Phillip zu. „Rote Haare, groß, schwarz gekleidet." „Da gibt es viele in so einer Stadt wie Frankfurt", meint Sofia trocken. „Gebt es zu: die Tasche ist auf Nimmer-Wiedersehen verschwunden." Ich nehme die Kamera und zoome den Mann heraus. Das ist beinah wie bei einem Fernglas. Doch... „Das ist er!", sage ich. „Ehrlich! Und ich glaube er hat sogar die Tasche von Anja dabei. Das war doch so eine schwarze, oder?" „Glaube schon", antwortet Timon. „Und was machen wir jetzt?", fragt Nico. „Irgendwie müssen wir doch die Tasche wiederbekommen. Selbst, wenn sie Anja gehört." „Hast recht", meint Sofia. „Aber was sollen wir schon tun können?" „Jedenfalls müssen wir hinterher", sage ich. Wir bezahlen, schnappen unsere Taschen und laufen dem Mann hinterher. Eigentlich ziemlich unauffällig. Zum Glück dreht er sich nicht um. Wir folgen ihm über eine Brücke über dem Main. Irgendwann landen wir in einer Fußgängerzone. Hier sind so viele Menschen, dass wir den Mann beinah aus den Augen verlieren. Bald müssen wir rennen, was bei vielen Leuten nicht gut ankommt. Doch wir kümmern uns gar nicht darum. „Toll!", sagt Sofia enttäuscht und bleibt stehen. Die Fußgängerzone mit einkaufswütigen Menschen liegt hinter uns, der Mann ist jedoch wie vom Erdboden verschwunden. „Mist", flucht Anna, "wir hatten ihn fast." Plötzlich taucht er vor uns wieder auf. Die Tasche hat er jedoch nicht dabei. Als er uns sieht, rennt er plötzlich weg. „Er kam aus der Gasse da", stelle ich fest. Doch die Gasse ist eine Sackgasse, in der Mülltonnen stehen und Gerümpel rumliegt. Timon öffnet eine der Mülltonnen. „Was machst du denn da?", fragt Anna. „Irgendwo muss er doch die Tasche gelassen haben", erklärt Timon und guckt in der nächsten Tonne nach. „Da ist sie doch!" Triumphierend hält er Anjas schwarze Tasche hoch. „Schnitt", sage ich leise zu mir selbst und drücke auf ‚Aufnahme Stop'. „Guck mal rein, ob noch alles da ist", sagt Nico. Timon zieht den Reißverschluss auf. „Das Handy ist noch drin, das Portmonee auch und", sagt er, „ach du Schiete!" Er hält ein Päckchen mit weißem Pulver in den Händen. Erschrocken sehen wir uns an. „Ich glaube nicht, dass Anja Zucker oder Mehl mit sich spazieren trägt", meint Sofia. „Denkt ihr auch was ich denke?" Ich nicke. „Damit sollten wir unbedingt zu Herrn Fegebein gehen", stimme ich zu. „Aber wirklich ganz schnell", sagt Anna erschrocken. „Schaffen wir es in 5 Minuten zum Opernplatz?" – „Dann nehmt die Beine in die Hand!"

Simon und das Großstadtabenteuer (Band 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt