Die Stimme meiner Mutter riss mich aus dem Schlaf. Sie stand in meinem Zimmer und sah mich etwas besorgt an. "Ist dir immer noch schlecht oder möchtest du mit uns zu Abend essen?" ,fragte sie leise. Ich sah auf die Uhr. Ich hatte den ganzen Tag geschlafen. Es war schon 19:00 Uhr. Ganz verschlafen blickte ich zu meiner Mutter und murmelte: "Ich komme gleich." Sie lächelte und ging wieder zur Küche. Als ich aufstand dachte ich über das nach, was heute beim Mittagessen war. Sollte ich jetzt wirklich noch etwas essen? Hunger hab ich eh nicht. Und außerdem nimmt man schneller zu, wenn man spät abends isst, glaubte ich. Einmal werde ich das Abendessen ausfallen lassen. Denn noch so einen Spruch von meiner Schwester ertrag ich heute nicht mehr. Darauf verzichten ich gerne.
Ich ging in die Küche, zu meiner Mutter. Ich erklärte ihr kurz, dass ich lieber doch Nichts esse, weil es mir immer noch nicht so gut ging. Daraufhin bat sie mich darum nur eine Kleinigkeit wenigstens zu essen. Ich winkte ab und meinte, dass ich bis morgen früh locker durchhalte. Schließlich gab sie nach und ich schlich wieder in mein Zimmer.
Nachdenklich setzte ich mich an meinen Schreibtisch. Was könnte ich tun, damit ich möglichst schnell Gewicht verliere? Vielleicht sollte ich einen Ernährungsplan aufstellen. Dann würde es mir bestimmt leichter fallen abzunehmen. Ich legte mich auf mein Bett, schnappte mir ein Blatt Papier, einen Kugelschreiber und mein Handy. Ich hatte mir das irgendwie leichter vorgestellt. Ich weiß eigentlich gar nicht so genau wie man sich richtig gesund ernährt. Im Internet suchte ich nach Abnehmtipps, Ernährungsweisen und verschiedenen Diätplänen. Ich schrieb alles auf, was mir wichtig erschien. Ich wollte morgens viel essen damit ich Energie für den Tag hab um Sport zu machen. Mittags normale Portionen und abends möglichst keine Kohlenhydrate. Und viel Obst und Gemüse. Das konnte doch nicht so schwer sein oder?
Plötzlich hörte ich die Glocke von dem Kirchturm bei uns in der Nähe leuten. Es war schon 23:00 Uhr. Ich hatte noch keine Hausaufgaben gemacht. "Shit, das gibt Ärger!" Aber jetzt kann ich Keine mehr erledigen. Dafür bin ich viel zu müde. Und außerdem merkte ich wie ich langsam Hunger bekam. Ich legte mich lieber schnell schlafen, bevor ich noch mitten in der Nacht mir was zu Essen holte. Bald werde ich nicht mehr so dick sein, dachte ich mir und schloss meine Augen.
Am nächsten Morgen schaltete ich pünktlich meinen Wecker aus und stand direkt auf. Beim Umziehen bemerkte ich wie mein Magen knurrte. Heute Abend muss ich was essen. Das mach ich nicht nochmal mit. Ich hatte nicht gut geschlafen. Ich zog ein weites T-shirt und dazu eine Leggins an. Diesmal spannte nichts. Hoffentlich geht mir das mit der Jeans auch bald so.
In der Küche roch es wie immer nach Kaffee und Gebäck. Ich liebte diesen Geruch. Meine Schwester war bereits fertig mit dem Essen. So konnte ich wenigstens ungestört frühstücken. Aber was esse ich jetzt eigentlich? Müsli sollte ja ganz gesund sein und lange satt halten. Zumindest hab ich es so im Internet gelesen. Haben wir überhaupt Müsli? Ich fragte meine Mutter. Sie schüttelte den Kopf und sah mich etwas verwirrt an. Ich bat sie darum, das nächste Mal Eins im Supermarkt mitzunehmen. Da fiel mein Blick auf unseren Brotkorb. Vollkornbrot ist auch gesund. Ohne lange zu überlegen schnappte ich mir die zwei größten Scheiben und legte sie auf meinen Teller. Mein Vater schob das Glas Nutella am Tisch zu mir. Ich schob es zurück und schüttelte den Kopf. "Viel zu ungesund", sagte ich. "Aber du liebst doch Nutella zum Frühstück?", fragte mein Vater. "Heute mal nicht. Ich will mich absofort gesünder ernähren", gab ich etwas stolz zur Antwort. Meine Mutter starrte mich merkwürdig an. Mein Vater grinste nur und griff nach seiner Kaffeetasse. Wahrscheinlich dachte er auch, dass ich abnehmen muss, überlegte ich. Na warte... Das werde ich schon, dachte ich mir siegessicher.
Auch auf den Kakao verzichtete ich heute als mir meine Mutter einen anbot. Ihr merkwürdig besorgter Blick hielt an. Doch ich ließ mich davon nicht stören. Ich nahm mir ein paar Scheiben Wurst und Käse. Keine Salami. Die hat zu viel Fett. Und die Butter musste auch wegbleiben.
Nach dem Essen stellte ich meinen Teller beiseite und holte mir ein Apfel und ein paar Erdbeeren aus dem Obstkorb. Auf einmal stand meine Mutter vor mir als ich mich umdrehte und hielt mir ein Stück Streuselkuchen hin. "Aber ein Stück Kuchen magst du doch bestimmt noch oder?", fragte sie lächelnd. Oh nein... Bitte nicht meinen Lieblingskuchen. Ich darf ihn nicht essen. Ich muss stark bleiben. Er sieht so lecker aus. Aber Kuchen und Diät? Das passt nicht zusammen. Ich wurde wütend. "Ich will jetzt keinen Kuchen!", motzte ich sie an und lief an ihr vorbei, in mein Zimmer. Ich schloss die Tür hinter mir etwas zu laut.
Erst als ich mich nach ein paar Minuten beruhigt hatte, fiel mir auf was ich getan hatte. Ich hab meine Mutter angemotzt. Obwohl sie es nur lieb gemeint hat. Ich bekam ein schlechtes Gewissen. Wieso hab ich das getan? Ich hatte keine Zeit mehr länger darüber nachzudenken. Ich musste zur Schule. Schnell aß ich die Erdbeeren auf, putzte mir die Zähne und machte mich auf den Weg. Eigentlich könnte ich auch zur Schule joggen, dachte ich unterwegs. So weit ist es ja nicht. Während dem Laufen wurde mir warm. Draussen hatte es eh schon knapp 20 Grad. Sommer eben. Bei der Hälfte des Weges gab ich jedoch auf. Ich hatte keine Puste mehr. Ich musste unbedingt mehr Kondition aufbauen. Ich nahm mir vor ab sofort immer zur Schule zu joggen. Irgendwann könnte ich bestimmt ganz durchlaufen.
An der Eingangstür wartete Sophie bereits auf mich. Wir schlenderten durch die Aula und ich klärte sie über meinen Ernährungsplan auf. Sie war begeistert, dass ich so motiviert war. Das gab mir ein gutes Gefühl.
In der Pause aß ich meinen Apfel während Sophie nicht widerstehen konnte und am Pausenverkauf für einen Donut anstand. Sie drückte dem Verkäufer Münzen in die Hand und kam mit dem Donut zu mir. Als sie von dem Donut abbiss kam die Füllung zum Vorschein. Beinahe tropfte sie beim zweiten Biss heraus. Mir lief das Wasser im Mund zusammen. "Darf ich mal abbeißen?", fragte ich. "Bist du dir sicher?", meinte sie. Ich nickte und biss ein großes Stück von dem Donut ab. Die Füllung schmeckte so schokoladig. Das liebte ich. Ich hielt ihr den Donut hin und sie aß weiter. Was war das denn gerade? Bin ich wirklich so schwach, dass ich nicht auf einen Donut verzichten kann?! Für einen kurzen Moment wurde mir schlecht.
Nach der Pause hatten wir wieder Mathe. Ich konnte mich einfach nicht konzentrieren, da ich ein schlechtes Gewissen hatte wegen dem Donut. Naja, aber eigentlich habe ich ja nur einmal angebissen... Das kann doch nicht so schlimm sein oder? Ich versuchte mich selbst auf andere Gedanken zu bringen. Aber das war gar nicht so leicht.
Der Schultag war so unnötig. Den ganzen Tag konnte ich mich nicht konzentrieren und hab nur Ärger von unserer Lehrerin bekommen als ich einmal nicht aufgepasst habe. Wenigstens bin ich jetzt endlich zu Hause und kann weiter an meinem Ernährungsplan feilen. Gut, dass wir heute keine Hausaufgaben bekommen hatten. So hatte ich viel Zeit.
Im Wohnzimmer fand ich einen Zettel von meiner Mutter. Sie musste spontan in die Arbeit fahren, weil es einen Zwischenfall gab. Meine Schwester und mein Vater würden erst abends kommen. Die sind nämlich einkaufen gefahren und ich sollte mir etwas zu essen kaufen. Neben dem Zettel lagen 20€. Ich nahm das Geld und steckte es in meine Hosentasche. Essen kann noch warten. Der Plan ist jetzt wichtiger. Und ein bisschen Sport könnte ich vorher auch noch machen.
Ich verschwand wieder in meinem Zimmer. Während ich über meinen Ernährungsplan nachdachte, erkannte ich, dass ich mir eine Zahl aufschreiben müsste wie viel ich pro Woche oder pro Monat abnehmen möchte. Somit würde ich mein Ziel nicht so schnell aus den Augen verlieren. Dazu müsste ich aber auch mein Startgewicht wissen... Auf einmal bekam ich wieder ein richtig ungutes Gefühl. Der Gedanke an die Waage löste Angst in mir aus. Das letzte Mal als ich mich gewogen hatte war schon mehr als 1 Jahr her. Aber daran kam ich nicht vorbei. Ich musste es wissen. Sonst würde ich ja nie wissen, wie ich am besten oder am schnellsten abnehme.
Mit zittrigen Beinen betrat ich unser Badezimmer. Aus dem Schrank holte ich unsere Waage. Ich stellte sie auf den Boden und stieg kurz darauf damit sie sich anschaltete. Zuerst zeigte die Waage "0000". Ich wartete einen kurzen Moment bis die Waage auf "00" stand und stieg wieder darauf. Ich bekam ein mulmiges Gefühl. Die beiden Nullen flimmerten kurz auf dem kleinen Bildschirm und verschwanden dann für eine Sekunde. Und schon blinkte die neue Zahl auf. Ich hielt den Atem an. Mein aktuelles Körpergewicht. Ich wiege...
DU LIEST GERADE
Stop eating - You must be beautiful!
Roman pour AdolescentsLilly Maren - ein noch damals glückliches Kind in einer normalen Familie mit einer großen Schwester. Doch mit 13 Jahren begann ihr Kampf gegen sich selbst. Ein Albtraum wurde zum Alltag. Warum musste das passieren? Wäre es überhaupt soweit gekommen...