6.Kapitel

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Lilly lief die gleiche Straße entlang, die sie auch hergekommen war, denn sie führte Richtung Stadtmitte. Sie wollte sich eine Landkarte besorgen, oder zumindest irgendwo einen Anhaltspunkt finden, wie sie zu Fuß nach Bradford kam. Sie hatte sich zwar vorher informiert, aber bei der Hektik  ihres Aufbruchs hatte sie den Großteil ihrer Notizen und ihr Handy vergessen. Eigentlich hatte sie in South Shields nach ihrem Bruder suchen wollen, aber wie gesagt, sie wusste die Adresse nicht auswendig. Die Adresse aus Bradford wusste sie zwar auch nicht, aber den Namen des Viertels hatte sie sich gemerkt und so würde sie ihn schon finden. Hoffte sie.

Doch nachdem sie eine Stunde später die nächste Stadtmitte gefunden hatte, entpuppte sich ihr Plan als gar nicht so einfach. Weder ein Informationspunkt, noch ein Touristeninformationsbüro ließ sich irgendwo finden, geschweige denn irgendein Geschäft, indem es Stadtpläne gab. Nach drei Stunden gab sie die Suche auf und sie musste sich eingestehen, dass sie sich verlaufen hatte.

Plötzlich knackte es und wenige Sekunden später fand sie sich mit einem gewaltigen Schmerz im Fuß auf dem Boden wieder. Ihr entfuhr ein lauter Schmerzlaut und sie blieb ein paar Minuten einfach mitten auf dem Weg sitzen, den sie entlang gelaufen war und hielt ihren Fuß mit beiden Händen fest umklammert. Als sie sich halbwegs beruhigt hatte und wieder normal atmen konnte, versuchte sie, ohne den Fuß genauer anzusehen, vorsichtig aufzustehen. Ihre Hände und Ellbogen waren aufgeschürft und bluteten, aber das war zu ertragen. Allerdings sie konnte beim besten Willen nicht auftreten. Ihr Fuß tat unglaublich weh und schien anzuschwellen. In der Nähe war ein kleiner Park, den sie auf dem Weg gesehen hatte und in dem sie sich ausruhen und vor den wenigen Leute fliehen wollte, die mit seltsamen Blicken an ihr vorüber gingen. Lilly humpelte, beziehungsweise hüpfte mehr durch den halben Park, bevor sie sich auf eine Bank an einem kleinen Teich setzte, die von dichten Büschen umgeben war. Jede Bewegung löste ein schmerzhaftes Pochen in ihrem Fuß aus. Sie versuchte es zu ignorieren und stützte den Kopf in die Hände, während sie den See anstarrte. Die Verzweiflung überkam sie wie eine große Welle, die man nicht erwartete. Erst jetzt wurde ihr bewusst, in welche Situation sie sich gebracht hatte: Mutterseelend alleine, in einer fremden Stadt, ohne Geld und ohne Lebensmittel und sie hatte immer noch keine Ahnung, wie sie zu ihrem Bruder kam, da sie sich in der blöden Stadt verlaufen hatte und nun letztendlich gar nicht mehr laufen konnte. Der blöde Fuß lies sie fast auflachen vor Ironie.

Heiße Tränen fingen an, ihr übers Gesicht zu laufen. Sie zog die Knie so gut es ging an die Brust und ließ sie gewähren.

Secret PastWo Geschichten leben. Entdecke jetzt