16. Kapitel

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Die Tasten des Telefons klangen ungewöhnlich laut, als Lilly die Nummer ihres Vaters wählte. Sie saß auf einem Stuhl am Tisch in der Küche, daneben Perrie, Jesy und neben ihr Leigh. Jade saß ihr gegenüber und kritzelte mit einem Kulli  auf einen Block, der eigentlich für Einkaufslisten gebraucht wurden. Bevor sie den grünen Knopf drückte, zögerte sie kurz und sah zu Jesy, die ihr ermutigend zu nickte. Also drückte sie! Es tutete ein paar mal und Lilly vermutete, dass ihr Vater nicht direkt dran ging, weil er die Nummer nicht erkannte und versuchte, heraus zu finden, wer am anderen Ende war. Das tat er immer. Als sich seine tiefe Stimmer schließlich mit einem knappen 'Barrow' meldete, hielt sie den Atem an. Sie war so perplex, dass sie zuerst einfach nicht antwortete.

,,Hallo, ist da jemand?"

Ihre Stimme zitterte leicht und es war Totenstill in der Küche, als sie ihm endlich antwortete: ,,Daddy? Ich bin es, Lilly." ,,Lilian? OMG, Hey, meine Kleine. Wo bist du? Geht es dir gut? Ist alles in Ordnung? Wieso sagst du denn nichts?"

Wenn man von der Tatsache absah, dass ihr Vater sie durch seine ganzen Fragen nicht zu Wort kommen ließ, war Lilly mit der ganzen Situation vollkommen überfordert. Sie wusste einfach nicht, ob es ihr gut ging, weil sie sich zwar verletzt hatte, aber sie im Moment keine Schmerzen hatte, oder ob es ihr schlecht ging, weil sie ihren Vater vermisst hatte und sie so ein schlechtes Gewissen hatte. Aber gleichzeitig war sie in diesem Moment auch unglaublich froh, dass sie mit ihrem Dad sprechen konnte und er nicht all zu sauer klang. Außerdem wusste sie zwar, in welchem Ort sie sich aufhielt, aber sie kannte weder den Namen des Viertels, noch den Straßennamen oder die Hausnummer. Hilfesuchend sah sie zu Perrie, die ihr den Hörer abnahm:,, Hallo, hier ist Perrie Edwards. Ihre Tochter geht es gut, sie ist hier bei uns in South Shields."

Während Perrie Lillys Vater ihre Adresse nannte, stiegt dieser in New Castle bereits in sein Auto und machte sich auf den Weg. In den letzten zwei Tagen, in denen er keine Ahnung hatte, wo seine Tochter sich aufhielt, hatte er seine Praxis geschlossen. Die gelöschten Daten hatte man einfach wieder herstellen können  und er selber war mit einer Gehirnerschütterung und einer kleinen Platzwunde am Hinterkopf davon gekommen, die von dem Sturz auf den Boden kamen, aber der Streit mit seinem kleinen Mädchen hatte ihn so belastet, dass er arbeitsunfähig gewesen war. Die anfängliche Wut, die er während des Streits verspürt hatte, und der Zorn, den er hatte, als er keine seiner Daten mehr vorfinden konnte, wurden schnell von Traurigkeit und Verzweiflung abgelöst, als ihm klar wurde, dass er zum Teil an dem Verhalten seiner Tochter mit Schuld trug. Natürlich war er nicht für ihr Temperament verantwortlich und so einen Wutanfall mit solchen Folgen hätte sich auch nicht jeder erlaubt, aber wenn er nicht so ein Feigling gewesen wäre, wäre es vielleicht gar nicht so weit gekommen.  Christian Barrow war sich folglich nicht sicher, ob er wütend auf seine Tochter sein sollte, weil sie weggelaufen war und ihm alles gelöscht hatte, oder ob er sie einfach nur umarmen wollte, weil er so unglaublich froh war, sie wieder zu sehen. Auf der halbstündigen Fahrt hatte er entweder mit Perrie oder mit Jesy durchgehend gesprochen und so bereits von Lillys Verletzung erfahren. Als erfahrener Arzt konnte er die Fraktur sofort einschätzen und kam zu der Erkenntnis, dass Dr. Avery richtig gehandelt hatte und, dass das wieder werden würde. Jetzt hielt er vor dem weißen Haus und ordnete seine Gedanken, bevor er aus dem Auto ausstieg. Auch ihm fiel der Name auf dem Klingelschild auf, als er am Gartentor ankam, aber im Gegensatz zu seiner Tochter, erkannte er den Namen durch seine öffentliche Arbeit.  Die beiden wohnten so weit am Rand von New Castel und damit abseits von der Öffentlichkeit, dass sie von modernen Bands und Sängern meistens nichts mitbekamen. Klar, über Social Media erfuhr man viel, aber da waren beide nicht sonderlich aktiv. Etwas über die Welt erfuhren sie nur über Nachrichten, Beruf oder Lillys Schule, die sie mittlerweile seit drei Tagen schwänzte. Langsam ging Barrow über den Kiesweg Richtung Haus und drückte auf die Klingel .

Nachdem Perrie aufgelegt hatte, konnte Lilly nicht mehr ruhig sitzen. Sie wippte mit den Fingern, dem Fuß und rutschte auf dem Stuhl herum, bis alle im Raum sie entweder verstört oder genervt ansahen. Leigh versuchte, sie zu beruhigen:,, Das wird schon gut gehen. Ich fand, er klang gar nicht so wütend am Telefon. Eher erleichtert, oder?" Sie sah in die Runde und alle, außer Lilly, nickten zustimmend. Diese lies sich nicht so einfach von ihrem schlechten Gewissen abbringen:,, Vielleicht wollte er nur höflich sein und wenn er hier ist, gibt es die richtige Abreibung." Aber auch Jade begann, Leigh- Anne zu unterstützen:,, Ich kenne deinen Dad nicht, aber ich schätze ihn nicht als jemanden ein, der aus Höflichkeit Wut verdrängt und das so authentisch rüber bringen kann. Er kommt mir wie ein ehrlicher Mensch vor und wenn er wirklich richtig sauer wäre, dann hätte er das gezeigt." Perrie nickte und nahm Lillys Hand:,, Ich weiß, du hast Angst, aber das wird schon. Er hat jede Information über dich aus mir heraus gequetscht und hat sich tausend Mal erkundigt, ob es dir gut geht. Bestimmt ist er auch sauer, aber er wird dich nicht umbringen." Zögernd nickte Lilly, aber sie war noch immer nicht ganz beruhigt.

Alle fünf blieben eine Weile still sitzend. Keiner sagte einen Ton. Das Klingeln ließ Lilian zusammen zucken. Jesy sah Leigh eindringlich an:,, Na dann..." Sie stand auf und ging, gefolgt von Perrie zur Tür. Dort warf sie dieser noch einen schnellen Blick zu, bevor sie ihre Hand auf die Klinke legte und die Tür öffnete. Chris Barrow sah ziemlich genau so aus , wie sie ihn sich vorgestellt hatte. Groß und gut gebaut, hellbraune, kurze Haare, die zur linken Seiten gekämmt waren, dunkelblaue Augen, die von kleinen Sorgenfältchen umgeben waren. Auch auf seiner Stirn hatten sich Fältchen gebildet, die aber schnell verschwanden, als er die beiden erblickten und sie freundlich anlächelte und erst Jesy und dann Perrie die Hand entgegen streckte. Jesy schüttelte diese:,, Sie müssen Dr. Barrow sein, Jessica Nelson, freut mich sehr!" ,, Bitte, nennen sie mich Chris."  Dann wand er sich zu Perrie:,, Hallo, sind sie Perrie Edwards?" Diese nickte und schüttelte ebenfalls seine Hand:,, Nur Perrie. Kommen sie doch rein." Sie trat einen Schritt zurück, um Mr. Barrow ins Haus zu lassen. Im Flur zog er seinen dunklen, grauen Mantel aus und hängte ihn, ordentlich wie er war, auf einen Haken. Dann folgte er den beiden in die Küche.

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