Kapitel 5

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Wir sahen Kimberley und Wodka schon von Weitem. Die beiden spielten mit einem kleinen Ball. Irgendwie süß. Sie gaben ein tolles Team ab. "Bis später. Komm dann einfach mit Kim heim", sagte GGG zum Abschied. Ich nickte nur, fragte mich trotzdem, woher er dieses Vertrauen zu uns beiden nahm. Im Waisenheim hatte man uns jegliche Dinge untersagt. Hah, wir durften es ja nicht mal wirklich verlassen! Ich rückte die Sonnenbrille zurecht und ging auf die Spielenden zu. "Hol den Ball, Wodka", rief Kim dem Hund gerade zu. Einige Fußgänger blieben verblüfft stehen, ehe sie erkannten, mit wem er redete. Dann sahen sie kopfschüttelnd zu, dass sie weiter kamen. Mir selbst entfuhr ein Kichern. Da drehte Kim sich zu mir um. "Hey", sagte er. Ich lächelte verhalten. Im Geiste erschien mir der Kim im weißen Anzug. Es war so surreal, ihn hier in Jeans und T-Shirt stehen zu sehen.


"Du bist tatsächlich in der Öffentlichkeit. Nicht zu fassen!", entfuhr es ihm, als ich neben ihm Halt machte. "Tja, ich kann es selbst nicht so ganz glauben." Das stimmte. Für die Sekunde überschritt diese Situation die Tragweite meiner Vorstellungskraft. Ich stand in einem Park, in einer riesigen Stadt, neben einem Jungen, den ich wahrscheinlich als einen Freund bezeichnen konnte und lächelte stärker als jemals zuvor. Fehlte noch der Duft von einer frischgemähten Wiese und meine künsten Träume wurden war. Ich durfte leben. "Wo ist GGG? Er hat dich doch nicht etwa alleine raus gelassen?!" Wodka kam zurück, den Ball im Maul. Er sprang an meinen Beinen hoch. Ich schreckte zurück. Hunde waren mir nicht geheuer. Erst zwei, dann drei, schließlich vier Schritte trat ich nach hinten. Ein Glück hielt Kim Wodka am Halsband fest, als  dieser mir gerade folgen wollte.

"Nein, eigentlich hatte ich vor, mit ihm einkaufen zu gehen. Dann hat er beschlossen, mich hier abzusetzen", erklärte ich und beobachtete dabei, wie Kimberley ausholte und den Ball erneut in die Ferne warf. Seine Armmuskeln verdienten einen Preis. Im ernst, ich wusste, dass er regelmäßig trainierte, aber die Muskeln, von denen er im Internet geprahlt hatte, in echt zu sehen, war Wahnsinn. Überhaupt war es wahnsinnig toll, ihn in echt zu sehen. "Eine Frechheit." "Genau." Er wandt den Kopf in meine Richtung. Schnell schaute ich weg, widmete mich einer Bank, auf der ein altes Ehepaar saß. Sie wirkten glücklich. Die Frau blätterte in einem Buch, während ihr Mann sie beobachtete. Aus dieser Entfernung, noch dazu mit meiner Sonnenbrille, konnte ich seinen Gesichtsausdruck nicht ganz erkennen, aber ich war mir sicher, dass er grinste. Liebe war sicherlich etwas schönes. Auch, wenn man nie wissen konnte, ob der andere einen tatsächlich liebte. Was sagte der Frau, dass ihr Mann sie nicht in Wahrheit abscheulich fand und bloß an ihr Geld wollte? Wusste sie es? Oder lebte sie mit der Ungewissheit?

"Ruby? Bist du bei mir?" Kims Stimme drang an mein Ohr. "Tut mir leid. Das alles ist nur ein bisschen seltsam für mich." "Ich weiß." Nein, das tat er nicht. Er konnte sich nicht vorstellen, wie ich mich fühlte. Für ihn war diese Welt normal. Für mich keineswegs. Ich kannte das alles von Bildern, die riesigen schemenhaften Hochhäuser, der Park, lachende Menschen, belebte Gassen, an deren Enden Gastronomien hausten. Aber in Echt war das alles viel schöner wie im Internet. Weiter hinter der Bank mit dem alten Pärchen ragte die Schule in den Himmel empor. Wieder wurde mir bange zumute. Da fiel mir etwas ein. "Hey, auf die Schule schickt GGG mich!", sagte ich. Und weiter: "Vielleicht kannst du am ersten Tag darauf achten, dass ich nicht verloren gehe?"

Kim hatte einmal kurz in einem unserer Chats erwähnt, dass er auf eine bestimmte Schule ging. Ich hoffte so sehr, dass sich dies inzwischen entweder geändert oder als falsch herausgestellt hatte. "Ich...uhm, du erinnerst dich bestimmt nicht daran. Aber ich habe dir mal davon erzählt, dass ich nicht auf die örtliche Schule gehe." Schade. Die Hoffnung war genauso schnell verschwunden wie das Pärchen. Auf einmal saß da niemand mehr auf der Bank. "Die ist speziell für Technikfreaks, du weißt, Computer und so'n Kram. Ich werde dir also keine große Hilfe sein können." Ich nickte. "Aber Niall geht auf die Brookes, vielleicht kann er dich rumführen." Wieder nickte ich. Dabei tat ich diesen Gedanken direkt ab. Nie im Leben. Ich kannte Niall genauso wenig wie alle anderen Jugendlichen auf der Brookes. Er wäre mir keine große Hilfe gewesen. "Lass mal", sagte ich dann. Ich spürte seinen Blick auf mir. Womöglich fragte er sich, weshalb ich so eine Abneigung gegen seinen Freund hegte. Einfach. Er war seelen- oder herzlos. Mit solchen Leuten ließ man sich nicht ein - die gab es ja nicht mal. Aber das konnte ich ihm nicht sagen.

"Okay, darf ich dich was fragen?" Er räusperte sich. "Schieß los!" Wodka kam angetrottet. Dieses Mal jedoch steckte in seinem Mund kein Ball. Kimberley hatte wohl zu weit geworfen. "Warte, das haben wir gleich", sagte er und setzte sich in Bewegung. Ich hielt mit ihm Schritt, als wir dem kleinen Hund in die Richtung folgten, in die der Ball verschwunden war. "Was wolltest du mich fragen?", erwiderte ich nach ein paar Minuten. "Hast du...", mehr sagte er nicht, weil wir im nächsten Augenblick den Ball fanden. Er war in einer Blutlache gelandet. Neben der Blutlache und dem Ball befand sich ein Busch. Ich ahnte übles. Nicht nur das ganze Blut, sondern auch Wodka bereiteten mir schreckliche Sorgen. Der Hund bellte laut und wedelte wie verrückt mit dem Schwanz. Kim wollte hinter den Busch lunsen, aber ich packte ihn am Arm. "Was, wenn das jetzt echt gefährlich ist? Hast du schon mal einen Horrorfilm geguckt?", brabbelte ich drauf los. Er schüttelte lachend meine Hand ab. "Du spinnst." Leider stellten wir keine Sekunde später fest, dass ich ganz und gar nicht spinnte. Die Blutlache führte um den Busch herum. Mein Instinkt hatte uns nicht getäuscht. Dort lag, blutüberströmt und halb nackt, ein Mann. Ich hielt mir die Augen zu. Der Mann war tot. 

Nein, eigentlich hatte ich nicht vor, eine Art Thriller aus dieser Geschichte zu machen. Aber wie es das Schicksal nun mal will, ...ich glaube nicht an Schicksal. Tja, deshalb... Bildet euch eure eigene Meinung haha(und teilt sie mir mit) xxx


In Seinen Augen #Wattys2017 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt