Kapitel 52

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Als ich die Hand wieder von den Augen nahm, kamen mir vor Erleichterung beinahe die Tränen. Inmitten des immer schwächer werdenden Lichtes stand mein Pflegevater. Zwar wirkte er erschöpft und das Lächeln in seinem Gesicht nicht allzu fröhlich, aber er war da. Es ging ihm gut und was noch viel wichtiger war, er lebte noch. Ein Glück. Er bewegte seine Lippen, schimpfte anscheinend über seinen Hund - hah, dem hatte ichs gezeigt -, ehe er einen Blick nach draußen warf. War er zuvor noch müde und ausgelaugt gewesen, so strahlte er nun pure Fassungslosigkeit und vor allem eines aus - Neugierde. Und, Belustigung. An seiner Stelle hätte ich mir vor Lachen ins Hemd gemacht. Ich mied es wie sonst, ihm in die Augen zu schauen, wusste jedoch trotzdem, dass sein Lächeln an Freude gewann. "Ich glaub, ich träume", wisperte Niall, als Grant uns die Balkontür öffnete. "Dito", sagte ich.

Ich stolperte in die Wohnung, die im Gegensatz zu draußen so wohlig warm war, dass ich mich bemühen musste, es rechtzeitig zur Toilette zu schaffen, bevor ich stehen blieb und die Wärme in ich aufsog. Gleich darauf, als ich mein Geschäft verrichtet hatte, rannte ich förmlich in die Küche, griff mir das nächstbeste Essbare, was sich als Apfel herausstellte, und biss hinein. Der Apfel schmeckte fabelhaft und ich genoss ihn so sehr, dass ich mich unwillkürlich fragte, wieso ich mir zuvor noch nie aufgefallen war, dass Äpfel köstlich schmeckten. Fast wäre ich verhungert. Während Niall und ich uns gleichermaßen hungrig auf Grants Schränke stürzten, beobachtete dieser uns. "Soll ich euch nun fragen, was das auf sich hat oder verschieben wir dieses Gespräch?" Ich stopfte mir den Strunk des Apfels in den Mund und erntete nach dem Zweiten. "Sch-päter", meinte ich mit vollem Mund und Niall gab ein zustimmendes Grunzen von sich. Mein eigenes Zittern ignorierend, aß ich, was ich in die Finger bekam. Danach schmiss ich die Decke irgendwo auf die Couch, damit ich es warm hatte und holte mir zusätzlich gleich zwei Pullover aus meinem Zimmer. Als ich zurück ins Wohnzimmer kam, saß Niall bereits, eingehüllt in eine andere Decke auf der Couch und unterhielt sich mit GGG. Die ganze Situation erleichterte mich so sehr, dass ich Gefahr lief, in Tränen auszubrechen.

"Was ist passiert?", fragte ich GGG. Ich unterbrach ihre Unterhaltung einfach und ließ mich neben Niall plumpsen. Völlig egal, wie nah wir uns dadurch waren. Nähe bedeutete Wärme und Wärme benötigte ich gerade ganz dringend. Er schien sich ebenso wenig daran zu stören. "Der Verband hat mich angeklagt", sagte Grant, als wäre das nur eine Kleinigkeit. "Und weiter?", wollte ich wissen. "Ich hätte eine Waffe des Ministeriums gestohlen, meinte der Richter." Oh Herrje. Konnte die Pistole gemeint sein? Scheiße, es war ja absolut die Rede von der Pistole! Mir blieb fast das Herz stehen. Ich schloss unauffällig die Augen. Deine Schuld, flüsterte mein Gewissen. Weder Niall noch ich weihte Grant ein. "Irgendwann konnte ich sie genug von meiner Unschuld überzeugen, dass sie mich gehen ließen. Man, wie lange wart ihr dort draußen?" Dankbar dafür, dass er das Thema wechselte, antwortete ich: "Bestimmt zehn Stunden." Niall reckelte sich. "Minimum. Mir kommt es vor wie Jahre." Stimmt. Ausnahmsweise gab ich ihm recht. "Ihr wärt umgekommen, wenn ich nicht solches Glück gehabt hätte und den Richter überzeugt hätte", behauptete Grant. "Vermutlich." Niall seuzte laut. "Ich bin längst tot", scherzte ich, aber keiner lachte. Eigentlich war diese Aussage reichlich unangebracht.

"Sorry", murmelte ich. Beide nickten nur. Es traf sie genauso sehr wie mich. Grant, weil er seit einer Woche als mein Pflegevater um mich sorgte. Und Niall, weil er, wenn er richtig lag, genauso dem Tode geweiht war wie ich. "Wie spät ist es?", hakte ich nach. GGG betrachte seine Uhr. "Sechs Uhr in der Früh. Ich schlage vor, ihr ruht euch aus. Das mit der Schule und Niall kläre ich." In diesem Moment war ich ihm unglaublich dankbar. Trotz seiner eigenen Erschöpfung, kümmerte er sich zuerst um uns. Einen besseren Pflegevater konnte ich mir nicht vorstellen. Meine Gedanken schweiften zu dem Bild meiner leiblichen Eltern. Ich schätzte, nicht mal mein leiblicher Vater hätte es besser machen können. "Aber dann gehst du auch schlafen", befahl ich und klopfte ihm spielerisch auf die Brust. "Versprochen." Und ich wusste, Grant hielt sein Versprechen. Schließlich war er heim gekehrt. Niall übernahm die Couch, ich verschanzte mich in meinem Zimmer. Während GGG sowohl in der Schule, als auch bei Niall Zuhause anrief, übermannte mich der Schlaf. Das letzte, das ich wahrnahm, war der rote Ring auf meiner Brust, der zu glühen begann.

Es war später Nachmittag, als mich die Türklingel aus dem Schlaf riss. Ich fühlte mich elend, meine Nase lief und noch dazu kratzte mein Hals wie verrückt. Vermutlich hatte ich mir draußen eine Erkältung eingefangen. Relativ verständlich. Wenigstens hatte mein erfrorener Zeh überlebt. Ich wollte nicht unbedingt erfahren, wie es sich ohne Zeh lebte. Gerade war ich im Inbegriff, aufzustehen um dem Besucher die Tür zu öffnen, da bekam ich mit, wie jemand: "Geht es ihm gut?", fragte. Die Stimme klang feminin und freundlich und..jung. Viel zu jung für meinen Geschmack. Ich beschloss nachzusehen, von wem sie stammte. Während ich den dritten Pullover auszog, mir durch die Haare strich und dann auf die Tür zu ging, warf ich einen kurzen Blick in den Spiegel. Ich sah elendig aus, ziemlich krank um genau zu sein.

Bereits öfters hatte ich es ausprobiert, meinen eigenen Seelenraum zu betreten, indem ich meinem Spiegelbild direkt in die Augen blickte. Leider ohne Erfolg. Ich wusste, wie jeder andere Mensch, nicht, welche Farbe er hatte und wie meine Seele aussah. Das führte dazu, dass ich nur noch neugieriger wurde. Ich war neugierig auf mehrere Seelen, aber auf keine so sehr wie auf meine eigene. Würde sie womöglich ganz anders aussehen als ich? Würde sie dieselben kurzen braunen Haare haben, die in Stacheln von ihrem Kopf abstanden? Würde sie ebenfalls mit riesigen Puppenaugen in der Farbe eines Kieselsteins zu dumm und naiv wirken um einem anderen Angst einjagen zu können? Auch in diesem Augenblick, als ich vor meinem Spiegel stand und mir angriffslustig in die eigenen Augen starrte, erreichte ich nichts als ein zurückstarrendes Spiegelbild. Ich hatte mich früher darüber aufgeregt. Was brachte mir diese Gabe schon, wenn ich nicht wusste, was ich für eine Seele hatte? Genau. Rein gar nichts. Ich konnte aus meiner Begabung keinen Eigennutzen ziehen. Heute gab ich mich zufrieden. Womöglich war es sogar besser so. Vielleicht war meine Seele ja ein Monster - oder gar nicht da.

Uh it's late. Ich hab keinen Bock mehr ey, die letzten Tage waren so ungewohnt stressig und vollbepackt und ich bin überhaupt nicht in meiner Routine. Montag habe ich nichts geschrieben, Dienstag habe ich nichts geschrieben und heute habe ich bisher bloß einmal über dieses mini-Etwas von einem Kapitel drüber gelesen. Nanowrimo total im Eimer. Egal, ich bin mal wieder zu pessimistisch unterwegs. Nix neues. xxx




In Seinen Augen #Wattys2017 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt