Kapitel 39

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Zyko verließ 47 ätzende Minuten später - nicht, dass ich die Minuten gezählt hätte - die Wohnung und ließ uns in Ruhe. Anfangs hatte ich ihn als nett empfunden, doch als er anfing mich auszufragen, stempelte ich ihn als Nervensäge ab. Bitte, ich war keine sechs mehr! Man konnte auch normale Gespräche mit mir führen und musste nicht Dinge fragen wie: "Gefällt dir der Herbst?" Fehlte noch die Frage, wie ich die Spielplätze in dieser Umgebung fand. Mit Smalltalk kannte ich mich reichlich wenig aus, aber ich konnte mit Sicherheit sagen, dass der anders verlief. Nach dem Gespräch mit seinem Bruder, verabschiedete sich Grant sofort um sich schlafen zu legen. Ich tat es ihm nach. Ehrlich gesagt reizte mich ein weiteres Gespräch nicht, selbst wenn es wichtig war. Ich hatte bereits viel zu viel Energie an diesem Tag verbraucht. Erst die Sache mit Dustin, danach Niall und seine Pistole, das Footballspiel, und der Abend mit Zyko rundete das ganze perfekt ab. Also legte ich mich so wie ich war ins Bett und schlief direkt ein.

Am nächsten Morgen war Grant nicht daheim. Er hatte einen Zettel auf dem Küchenthresen hinterlassen mit der Aufschrift: "Bin mit Wodka im Wald. Wenn du wach bist, frühstücke was und komm dann zum Park. GGG." Unwillkürlich bahnte sich ein Lächeln den Weg auf mein Gesicht. Er dachte allen ernstes, ich würde den Weg alleine finden? Aber es nützte ja alles nichts, also stopfte ich ein paar Haferflocken - das einzig Essbare in der Wohnung - in mich hinein, duschte mich und trat dann frisch angezogen aus dem Gebäude, in dem wir lebten. Eisige Kälte umhüllte mich und ich fragte mich, ob die dicke Winterjacke, die ich trug, reichen würde. Sie musste, beschwor ich mich, bevor ich los stapfte. Die Straßen waren wie ausgestorben. Kein Wunder, um diese Uhrzeit, 8:49 am Morgen, lagen die meisten Menschen noch in ihren gemütlichen Bettchen und schliefen tief und fest. Ich hatte es verlernt, länger zu schlafen als sieben Uhr. Irgendwann hatte es in der Stadt, in der das Waisenhaus lag, einen Hahn gegeben, der pünktlich um sieben krähte. Seitdem schien es unmöglich für mich auch nur eine Sekunde mehr zu schlafen. Einige Katzen huschten an mir vorbei, gefolgt von einem streunenden Hund, der Wodka nicht unähnlich sah. Vielleicht war er Grant weggelaufen. Das wäre ein Ding gewesen. Ich hätte mich riesig gefreut.

Ich ging um mehrere Ecken, lief Straßen hoch und wieder runter, bis ich zu dem Platz kam, an dem Grant vorigen Samstag seinen Wagen geparkt hatte. Stolz wie Oskar wanderte ich weiter. Ich hatte doch einen funktionierenden Orientierungssinn. Jetzt musste ich nur noch den Eingang zum Park finden und evoila. Wie sich herausstellte lief ich mehrere Male um den Park herum, ehe mir auffiel, dass die vielen Bäume und Bänke nicht einfach so zum Spaß da rum standen, sondern den Park höchstpersönlich bildeten. Ich eilte noch zwei Mal im Kreis. Dann entdeckte ich den Eingang und schlüpfte hindurch. Ich sah Grant und Wodka schon von Weitem. Sie standen dort, wo Kim und Wodka Ball gespielt hatten. Ironie des Schicksals oder Absicht? "Morgen", rief ich. Sie drehten sich zu mir um. Wodka fing an zu knurren. Schade. Er war also nicht weggelaufen. "Was machst du hier?", rief Grant zu mir zurück. Hä? Er hatte mich doch herbestellt. "Der Zettel in der Küche...", sagte ich, als ich bei ihnen ankam. Wodka hörte nicht auf zu knurren. Erst als Grant ihm die Schnauze zuhielt, befand der Hund meine Anwesenheit als okay. Obwohl ich bezweifelte, dass wir uns gegenseitig jemals als okay abstempeln würden. "Welcher Zettel?" Oh Gott.

"Na der Zettel, den du mir geschrieben hast. Du meintest, ich solle herkommen, sobald ich gefrühstückt und mich fertiggmacht habe." Er runzelte die Stirn. "Sicher, dass du dir das nicht eingebildet hast?" Schnaubend wandte ich mich ab. "Wäre ich hier, wenn der Zettel meiner Einbildung entspräche?" Nein. Definitiv nicht. "Keine Ahnung", GGG hob schulterzuckend eine kaputte Zigarette vom Boden auf und warf sie in den nächsten Mülleimer. Tat er das, um verantwortungsbewusst zu wirken, oder setzte er sich tatsächlich für die Umwelt ein? "Hör mal, wenn ich schon hier bin, könnten wir wenigstens... na du weißt schon." Ein kehliges Seufzen verließ meinen Mund. Ich brannte förmlich darauf, den Rest zu erfahren. "Erzählst du mir, was es mit diesem Ring auf sich hat?" Ich fischte den roten Ring aus meinem Ausschnitt, bemerkte erst zu spät, dass er gar nicht mehr rot war. Hä? "Und warum ich besonders bin? Und was Niall-", doch Grant unterbrach mich bereits mit einem: "Was ist mit Niall?" Er klang auf einmal aufgebracht. "Nicht so wichtig", flunkerte ich. Womöglich verlief das Gespräch runder, wenn ich Niall erst mal aus dem Spiel ließ. Auch ohne ihn hatten wir reichlich Themen zu beplaudern.

"Also schön", sagte GGG. Er spannte die Hundeleine enger um sein Handgelenk, ehe er voraus zu einer der Parkbänke ging. Ich würde mir eine Blasenentzündung holen, schoss es mir durch den Kopf. Das hatte ich ausnahmsweise nicht aus einem Buch, sondern am eigenen Leib schon mal erfahren, als wir ein mal im tiefsten Winter mit dem Waisenheim nach draußen durften. Damals war ich sieben, naiv und winzig. Ich hatte keine Ahnung gehabt, welche Schmerzen mich erwarteten. Ich ging trotzdem mit Grant mit und setzte mich, obwohl ich eigentlich hatte stehen bleiben wollen. Mir sagte etwas, dass es hier nicht mit rechten Dingen zu ging. Es lag so ein bestimmter Geruch nach... Verrücktem in der Luft. "Zeig mal her", meinte Grant. "Darf ich?" Er wollte ihn in die Hand nehmen? Nach kurzem Überlegen überließ ich ihn ihm. "Interessant." Der Ring, der sich nun in seiner Hand befand, schien, genau wie bei Niall, diese zu erleuchten. Doch anders als Niall, begann Grant dabei zu strahlen. Ich musterte ihn und seine Gesichtszüge und mir fiel auf, dass seine Wangen einen rosigen Ton annahmen. Seine Handfläche hätte eine eigene Laterne abgeben können, so stark leuchtete sie. Fassungslos entriss ich ihm den Ring wieder. Eindeutig. Hier ging etwas ganz und gar nicht mit rechten Dingen zu.

Crazy. xxx   


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