Kapitel 25

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Am Nachmittag war ich alleine in Grants Wohnung, was mir ziemlich gefiel. Ich hatte keine besondere Lust auf noch mehr Lügen. Wenn er nicht bald mit der Sprache rausrückte, drohte ich vor Anspannung zu platzen. Ich hasste Lügen mindestens so sehr wie Kaffee. Weil mir langweilig war, durchsuchte ich die Küchenschränke nach einer Beschäftigung. Was sich dort alles versteckte, überraschte mich nicht wirklich. Von Gürteln, über Kugelschreiber, bis hin zu einem alten Nokia, das vermutlich älter war als ich. Aber ich entdeckte nichts, was mir die Langeweile hätte nehmen können, weswegen ich beschloss, mir noch mal den Staubsauger zu besorgen. Rein aus Protest, versuchte ich mir einzureden, und nicht, weil ich am Samstag nicht fertig geworden war oder darauf hoffte, eine Möglichkeit geboten zu bekommen, jemandem die Handschuhe zu klauen. Ich hatte vielleicht mit dem Dieb-sein aufgehört, doch das bedeutete lange nicht, dass ich nicht mehr in der Lage war, so etwas billiges wie ein Paar Handschuhe mitgehen zu lassen. Sie würden prima zu dem Kleid passen, das GGG mir am Samstag geschenkt hatte.

Aus Kims Wohnung dröhnte Krawall. Jemand schimpfte sehr laut, eine Frau. Kims Stimme herrschte sie an. Mich hätte es nicht gewundert, sofern die Nachbarn vor ihren Türen gestanden und gelauscht hätten. Ich kam mir vor wie ein Stalker, als die Tür zu Kims Wohnung geöffnet wurde. Verblüfft hielt ich einen Moment inne. Vor mir stand nicht Kim. Es war eine Frau in Grants Alter, mit wallenden rotbraunen Locken, die von grauen Strähnen durchzogen waren. Sie trug ein wunderschönes blaues Kleid mit schwarzen Punkten, das ihre schmale Taille und die Breite Hüfte wunderbar betonte. In ihr Gesicht blickte ich nicht, obwohl ich seit der Situation mit Niall am Morgen bezweifelte, so bald wieder eine Seele zu besuchen. Ich musterte ihre Schuhe, die perfekt zum Kleid passten. "Entschuldigung", murmelte ich. Die ganze Zeit über war ich irgendwie davon ausgegangen, Kim hätte keine Eltern. Keine Ahnung, wieso. Er war nicht volljährig und durfte gar nicht alleine wohnen. Also war es nur logisch, dass er bei seiner Mutter lebte. Trotzdem fand ich, es passte nicht zu ihm. Sie war doch seine Mutter, oder? "Ich wollte zu Kimberley", erklärte ich und kratzte mich dabei am Hinterkopf. Kims Mum, ich nahm einfach an, dass sie seine Mum war, klatschte in die Hände und lief mit einem: "Warte, warte", zurück in die Wohnung. Sie hatte wohl vergessen, weshalb sie zuvor einen solchen Lärm gemacht und die Wohnung verlassen hatte. Sei's drum gewesen.

"Da steht so ein hübsches kleines Mädchen, das aussieht wie ein Igel, und möchte dich sehen." Ein Igel. Sie verglich mich mit einem Igel? "Mum, das ist nur Ruby." Seine Mutter war vollkommen aus dem Häuschen, weil ihr Sohn Besuch von einem Mädchen bekam. Ach nein, wie süß! Dennoch fand ich es ein wenig gemein von ihr, zu sagen, ich sähe aus wie ein Igel. Und Kim wusste auch sofort, von wem sie sprach! Gemeinheit. "Grants Ruby?", wollte seine Mutter wissen? Ihre Stimme klang hell und begeistert. Ihre kindliche Begeisterung schien anzuhalten. Auf den ersten Eindruck hatte Kim eine nette Mutter. "Genau, Grants Ruby." Kim erschien im Türrahmen, dicht hinter ihm seine Mutter, die die Hände faltete und jeden Moment anfangen wollte erneut zu klatschen. Ich lächelte in mich hinein. "Darf ich vorstellen, das ist meine Mum." Kim wies in ihre Richtung, als sei sie bloß eine lästige Fliege. So musste Mutterliebe sein. Ich wünschte, ich hätte auch eine Mutter gehabt. Meine richtige Mutter. Früher hatte ich nie viel an meine leiblichen Eltern gedacht. Wozu auch, man hatte mir versichert, dass ich sie niemals treffen würde. Damit war für mich alles gegessen gewesen. Doch nun in der wirklichen Welt wurde ich natürlich mit Dingen wie Familie und Eltern konfrontiert. Kim konnte sich glücklich schätzen, eine Mutter zu haben. Er sollte sie nicht behandeln wie eine Fliege. Ich warf seinem Kinn einen bösen Blick zu und hielt seiner Mum meine Hand hin.

"Freut mich", sagte ich zu ihrem Kleid. Lieber ging ich auf Nummer sicher. Anhand ihrer Stimme hörte ich, dass sie lächelte. "Grant ist mein Bruder. Es hat mich wahnsinnig gefreut, als er vor drei Wochen davon erzählte, dass er eine Tochter bekäme!" Vor drei Wochen? So lange hatte er schon mit dem Gedanken gespielt, mich zu befreien? Für einen Augenblick überdachte ich, ob ich ihm weiterhin sauer sein wollte. Aber es war wie es war. Er hätte mich noch so früh holen können, trotzdem log er. "Willst du nicht reinkommen?", fragte Kims Mum weiter. "Mum, ich denke nicht, dass Ruby..." Doch ich schnitt ihm das Wort ab. "Sicher, sehr gerne." Ich hatte sowieso nichts besseres zu tun. Das Staubsaugen konnte warten. Grant scherte sich ja gar nicht darum. Kims Mum zog mich in die Wohnung und Kim schmiss die Tür hinter mir zu. Im Vorbeigehen warf ich ihm einen zweiten bösen Blick zu. Bei Gelegenheit wollte ich ihm sagen, was ich von seiner Einstellung hielt. "Also Schätzchen, erzähl mal, wie gefällt es dir hier?" Sie schob mich in die Küche. Ich sah mich um. Alles war so sauber, das komplette Gegenteil zu Grants Wohnung. Stand es fest, dass sie verwandt waren? "Eure Küche gefällt mir", sagte ich. Kim kam hinter mir in den Raum. Er lachte. "Mum meinte die Stadt." Oh.

"Ach so. Es ist nett hier. Viel größer als ich mir erträumt hätte." In der Tat. Diese Stadt hatte nicht um sonst den Titel 'Großstadt'. "Möchtest du etwas trinken?", fragte Kim. Er wartete meine Antwort nicht ab, sondern öffnete einfach einen Schrank und fischte ein Glas heraus. Seine Mum seufzte. "Ja, diese Stadt muss total anders sein, als das, was du gewohnt bist. Grant hat mir ja so viel von diesem Waisenheim erzählt!" Ich spürte ihre Aufrichtigkeit, verkrampfte aber bei diesen Worten. Grant hatte sich innerhalb seines kurzen Aufenthalts kein richtiges Bild machen können. "Was denn zum Beispiel?", hakte ich nach. Kim stellte das Glas mit einem lauten Geräusch auf der Küchentheke ab. "Ach, er meinte, es sei stickig und eng gewesen. Vor allem dein Zimmer sei der reinste Alptraum gewesen. Du hattest keine Mitbewohnerin?" Ich zuckte mit den Achseln. Kim füllte indessen mein Glas mit Wasser. "Das war niemandem gestattet." Und selbst wenn, hätte ich vermutlich auf Knien darum gebettelt, dass man mich alleine ließ. "Schrecklich. Es muss hart gewesen sein, täglich auf sich alleine gestellt zu sein." Abwesend nickte ich. Eigentlich war es recht angenehm gewesen. Alles, was ich dort erlebt hatte war schlimmer gewesen, als die Tatsache, dass ich mein Zimmer für mich hatte. Kim reichte mir das Glas Wasser. "Ich entführe sie, Mum. Du siehst sie bestimmt bald wieder!"

Er zog mich aus der Küche. Aus dem Raum, den ich als Wohnzimmer vermutete, ertönte ein Knurren. Wodka, der Mistkerl. Zum Glück führte Kim mich sechs Türen weiter. Die Wohnung war größer als anfangs gedacht. An den Wänden hingen mehrfach Gemälde und Familienfotos. Kim hatte sowohl zwei kleinere Brüder als auch einen Vater - zumindest nahm ich an, dass der ältere Mann sein Vater und die zwei gleichaussehenden Jungs seine Brüder waren. Wieso hatte ich sie bis jetzt noch nie im Gebäude gesehen? Nachdem ich eingehend einige der Bilder betrachtet hatte, gelangten wir zu einem Raum am Endes des Flures. Die Tür sah anders aus als die restlichen Türen im Flur und wies einige Kratzer auf. Dennoch fand ich sie schön. Wir traten ein. Die Einrichtung passte perfekt zu Kim. Vom riesigen weißen Stockbett, bis hin zum weißen Tischkicker. Kim hatte nicht nur einen weißen Seelenraum, plus Seele, er wohnte auch in einem völlig weißen Zimmer. Ich ließ mich auf dem weißen Schreibtischstuhl, der vor dem weißen Schreibtisch stand, nieder. Nun würde ich ihn mit Fragen bombardieren. Es interessierte mich nämlich plötzlich brennend, ob er sich genauso wenig an den gestrigen Nachmittag erinnerte wie Corine.

25. Jey, Jubiläum. Let's party. Okay spaß beiseite. Ihr dürft zwar tanzen, aber mir dabei einen Kommentar hinterlassen. Einverstanden? Gut. xxx

In Seinen Augen #Wattys2017 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt