Kapitel 14

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Grant trug Niall in die Wohnung, während Kim Wodka zu sich brachte. Damit ging es nicht nur Niall, sondern auch mir besser. Ich mochte diesen Hund überhaupt nicht. "Wann ist das passiert?", fragte Grant. Er musterte die Wunde und verzog nicht mal das Gesicht. Ich im Gegensatz kämpfte gegen die Ohnmacht an. Niall stöhnte unaufhaltsam und hielt sich das Bein. Doch nicht so cool wie er sonst tat. "Kannst du irgendwas dagegen tun?" Kim klang ernsthaft besorgt. "Den Krankenwagen rufen?", meinte ich. Nialls Stöhnen wurde lauter. "Bitte nicht!" Er riss die Augen weit auf und starrte mich an. Seine Augen schienen meine Brillengläser zum Schmelzen zu bringen. Er durchbrach meinen Schutzwall und zwang mich quasi dazu, ihm in die Seele zu schauen. Ich erstarrte und sackte zu Boden. Im nächsten Augenblick war alles schwarz.

Ich saß nicht, ich stand nicht, ich schwebte in der Luft. Meine Gliedmaßen konnte ich nicht fühlen. Genauso wie alles andere gehörte ich zur Dunkelheit dazu. Das Licht, das ich bei meinem letzten Aufenthalt hier gesehen hatte, war weg. Vermutlich hatte ich es mir nur eingebildet. Da ich mein Herz nicht spürte, konnte ich nicht spüren, wie wild es klopfte. Aber ich war mir sicher, dass es noch nie zuvor in meinem Leben so stark gearbeitet hatte. Etwas war anders, jedes Mal wenn ich in seinen Seelenraum abtauchte. Dieses Mal hatte die Bewusstlosigkeit mich übermannt. Er hatte mich förmlich von selbst hierher geschickt. Das war schier unmöglich. Ich fragte mich, wie er es geschafft hatte. Etwas setzte sich in Bewegung. Die Dunkelheit bekam Wände. Zwar waren die Wände immer noch schwarz, doch sie existierten. Ich existierte ebenfalls wieder. Und richtig, mein Herz schlug einen Purzelbaum nach dem anderen. Die Wände bewegten sich und ich wusste instinktiv, dass sie auf mich zukamen. Eine Hand packte meinen rechten Unterarm. Dann fiel ich.

Schreiend fuhr ich hoch und stürzte in der nächsten Sekunde von meinem Bett. Ich hielt mir die Hand vor den Mund, um die Schreie zu dämpfen - doch da kamen garkeine Schreie. Dann blinzelte ich mehrmals und blickte mich um. Die Sonnenbrille hatte man mir abgenommen, aber anders als am Sonntag trug ich weiterhin die Klamotten, in denen ich in Ohnmacht gefallen war. Ich war allein. Außer meinem lauten Atmen hörte man nur den Wecker auf meinem Nachtkästchen leise vor sich hin ticken. Langsam stand ich vom Boden auf. Meine Beine wackelten. Schon wieder war ich gefallen. Wieder hatte mich das Dunkle in Nialls Seele ausgetrickst. Verdammt. "Wie geht es dir?" Ich hielt in der Bewegung inne. Meine Zimmertür stand einen spaltbreit offen. Grant saß an der Couch und reichte Niall eine Tasse. Aus der Tasse stieg Dampf empor. Tee? Niall nahm einen Schluck, ehe er antwortete. "Mir geht es gut." Tatsächlich hörte er sich kein bisschen angeschlagen an. Als ich einen Blick auf sein Bein warf, erschrak ich zu Tode. Die Wunde fehlte. Was zum Teufel...

"Denkst du, sie wird Fragen stellen?", wollte Niall wissen. Er kippte sich den Inhalt der Tasse in den Mund. Sein Adamsapfel bewegte sich dabei auf und ab. "Sie kommt nach ihrer Mutter." Grant zuckte mit den Schultern. Wie oft hatte er das an diesem Abend schon getan? Auf Nialls Lippen erschien ein Grinsen. "Natürlich wird sie fragen", schlussfolgerte er. GGG nickte. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich inzwischen die Luft angehalten hatte. Mit schnellen Schritten stolperte ich zurück in Bett. Redeten sie von mir? Wenn ja... Ich kam nach...wem? Die beiden kannten die Frau, die mich geboren hatte? Und ich war wie sie? Vielleicht befand ich mich in einem Ohnmachtstraum. Ja, genau, das musste es sein. Ich zwickte mich in den Arm, aber nichts passierte. Ich wachte nicht auf. "Ruh dich aus, Niall", sagte Grant. Als seine Schritte lauter wurden, schloss ich die Augen und stellte mich schlafend. Sie verschwiegen mir etwas. Ich würde erfahren, was. "Und du auch", flüsterte er durch den Türspalt. Danach zog er die Tür zu und ließ mich allein. Allein mit meinen Gedanken, die sich längst nicht mehr um Nialls Seelenraum kreisten.

Am nächsten Morgen hatte ich für ganze drei Minuten vergessen, was am Abend geschehen war. Womöglich hatte ich es einfach verdrängt. Als ich ins Wohnzimmer lief, kamen die Ereignisse zurück. Nialls offenes Bein, das Gespräch in der Nacht. Ich starrte sein Bein an. Keine Wunde, ich hatte mich letzte Nacht nicht getäuscht. Wo war sie bloß abgeblieben? Während ich einfach da stand und mich fragte, wie mein Leben innerhalb von vier Tagen so kompliziert hatte werden können, reckte Niall sich. Er wackelte mit dem eigentlich verletzten Bein und öffnete die Augen. "Morgen", sagte er. Schnaubend ging ich an ihm vorbei zur Toilette. "Ein echter Morgenmuffel", hörte ich Grants Stimme. Nein, normalerweise besaß ich die Fähigkeit, morgens freudestrahlend aus dem Bett zu hüpfen. Es sei denn, ich erfuhr mitten in der Nacht aus Zufall, dass der Typ, der mein Pflegevater sein wollte und der beste Freund seines Neffen meine Mutter kannten. Dann fiel meine gute Laune verständlicherweise komplett aus. Ich wusch mir das Gesicht, verrichtete mein Geschäft, putzte mir die Zähne und zog mich an - alles, ohne den beiden Kerlen jegliche Beachtung zu schenken.

Ich wunderte mich, ob Kim meine Erzeugerin ebenfalls kannte. Oder ob er von dem verstörend schnellen Heilen von Nialls Wunde wusste. Fragen über Fragen und doch keine Antworten. Wenigstens konnte ich die Gefühle der Hauptfiguren in meinen Lieblingsromanen nun besser nachvollziehen. Es war zum verrückt werden. "Ich fahr euch zur Schule", meinte Grant, als ich fertig angezogen aus meinem Zimmer trat. "Danke, aber nein danke", sagte ich. Gestern hatte er mich auch nicht gefahren und ich hatte den Weg gut gefunden. Ich wusste nicht, worin er die Notwendigkeit sah, uns beide zu kutschieren. "Ruby." Niall seufzte. Warum seufzte der Idiot? "Sei einfach ruhig", murrte ich. Er schloss den Mund, den er zuvor geöffnet hatte wieder. "Ruby, ich fahre euch. Ohne Widerrede." Durfte ich nicht mitbestimmen? Wollten sie mich zu allem zwingen, so wie gestern Abend, als Niall mich irgendwie in seinen Seelenraum geschickt hatte? "Ich kann selbst entscheiden, was ich tue." Und dabei starrte ich absichtlich direkt neben Nialls Kopf. Hoffentlich fühlte er sich angesprochen.

Hrhrh, irgendwelche Kommentare? Tell me your opinions. xxx     


In Seinen Augen #Wattys2017 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt