Kapitel 7

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Ein dumpfes Geräusch erklang aus der Höhle. Ich hob ein wenig meinen Kopf und musste zugeben, dass ein kleiner Hoffnungsschimmer auf Rettung in mir aufkeimte. Diesen Hoffnungsschimmer ließ ich augenblicklich fallen, als ich sah, dass ein weiterer großer, muskulöser Mann in Schwarz aus der Höhle auf uns zulief. Ich fing an zu schreien, obwohl ich wusste, dass bei Nacht mich hier niemand hören würde.
Der dritte Kerl stand plötzlich vor mir und mein Schrei erstickte, als hätte man mir die Luft aus den Lungen gesaugt. Er sprang direkt vor meinem Gesicht hoch in die Luft und in unglaublicher Geschwindigkeit, verpasste er dem Mann - dessen Fuß mich immer noch am Boden hielt - mit dem Knie einen heftigen Hieb ins Gesicht. Noch unglaublicher fand ich, dass ich bereits unter dem Mondlicht erkennen konnte, was für ein hübsches Gesicht dieser Mann hatte. Er hatte keine Kapuze an und auch keinen Mantel. In seinem schwarzen ritterlichen Anzug und dem Umhang sah er aus wie ein Märchenprinz. Nur die Tatsache, dass seine Haare so hell waren, wie fließendes Silber, ließ ihn wie ein Geschöpf, der Fantasie eines pubertierenden Mädchens entsprungen, wirken.
Nachdem ich aufhörte ihn anzuschmachten, merkte ich erst, dass der schwere, gestiefelte Fuß nicht mehr auf meinem Rücken ruhte. Abrupt drehte ich mich um und sah, dass der Kerl, durch den Tritt ins Gesicht, meterweit geflogen ist. Der andere half ihm bereits auf und beide stürmten davon, ohne mich oder meinen Retter eines weiteren Blickes zu würdigen.
„Kannst du aufstehen?", fragte eine verdammt attraktive Stimme hinter meinem Rücken.
„Äh, ja. Danke!" Ich versuchte mich aufzurappeln und spürte, wie zwei starke Hände mir unter die Arme griffen und mich aufstellten, als wäre ich leicht wie eine Feder.
„Zeig mir dein Handgelenk, es sieht nicht gut aus." Ohne meine Reaktion abzuwarten griff er nach meiner Hand. Wo die Handfläche endete, war ein tiefer Kratzer. Der komplette Arm schmerzte höllisch aber ich wollte nicht jammern, also biss ich die Zähne zusammen.
„Er ist gebrochen", sagte er ganz sachlich, „aber ich kann ihn heilen, wenn du mir vertraust." Er sah mir in die Augen und ein wohliges Gefühl überkam mich. Seine Augen schienen aus purem Gold zu sein, genau das Gegenteil zu seinem silbernen Haar. Sie leuchteten, als würden sie aus jeder noch so kleinen Lichtquelle Energie schöpfen und sie direkt wieder Ausstrahlen.
„Es wäre nicht sehr klug von mir meinem Retter zu misstrauen, aber wie willst du einen gebrochenen Arm heilen?", fragte ich, nachdem ich wieder zur Besinnung kam.
„Vertrau mir einfach, es wird nicht weh tun." Die Worte verließen seine vollen Lippen, wie zarte Blüten, einer roten Rose, langsam zu Boden gleitend.
„O-ok", stotterte ich und ballte die andere Hand zur Faust. Ein Reflex, der auf meine Nervosität hindeutete. Er schmunzelte und hob mein gebrochenes Handgelenk an seinen Mund. Dann schob er langsam seine Zungenspitze zwischen die Zähne und bis hinein, bis es blutete. Mit der blutigen Zunge leckte er über den Kratzer, aus dem auch mein Blut entrann. Ich sah, wie die Wunde sich zu schließen begann, bis keine Spur mehr davon übrig war.
Ich riss meine Augen auf. Das war doch unmöglich! Er leckte das restliche Blut ab, das sich um den noch vorher dagewesenen Kratzer gesammelt hatte. Ein tiefes Knurren entsprang seiner Kehle und er sah mich wieder mit seinen, diesmal blutroten Augen an. Mein Handgelenk immer noch festhaltend, strich er mit dem Daumen seiner anderen Hand über meine Lippen. Ich konnte nichts tun, außer in seine Augen zu blicken und starr dazustehen. Langsam beugte er sich zu mir und öffnete seinen Mund. Zwei scharfe Fangzähne blitzten aus seinen Mundwinkeln, ich schnappte nach Luft und trat einen Schritt zurück. Das war bestimmet der Schock und ich bildete mir das ganze nur ein, versuchte ich mir panisch einzureden.
Der Mann richtete sich wieder auf, seine Fangzähne waren verschwunden und seine Augen hatten wieder das vorherige Gold angenommen.
„Tut mir leid, fast hätte ich die Beherrschung verloren," sagte er im belustigten Ton und streichelte mir dabei mit der Rückhand die Wange. „Hier hast du deinen Arm wieder. Er sollte jetzt wieder vollständig regeneriert sein."
Ich zog meine Hand zurück und merkte, dass ich überhaupt keinen Schmerz mehr verspürte. Vorsichtig kreiste ich mit meinem Handgelenk und es stimmte. Es war alles verheilt und tat kein bisschen mehr weh.
„Wie hast du das gemacht?" Ich konnte in dem Moment mir selbst nicht trauen. Alles um mich herum fühlte sich schwammig an und ich merkte, dass meine Knie nachgaben. Er fing mich rechtzeitig auf und schloss mich in seine Arme.
„Ich bin ein Vampir. Mein Blut kann einen menschlichen Körper innerhalb von Sekunden heilen, es sei denn, das Herz schlägt nicht mehr. Dann kann auch mein Blut nichts ausrichten. Du bist doch ein durchschnittliches Erdenmädchen und solltest dich mit Vampireigenschaften eigentlich auskennen. Ich habe gelernt, dass Vampire in vielen Erdlingsbüchern vorkommen und bis auf einige Details genau unsere Fähigkeiten beschreiben. Außerdem hat man mir gesagt, dass diese Bücher ganz besonders bei Menschen-Mädchen, wie dir, sehr beliebt sind." Beim letzten Satz grinste er mich an, als hätte er ein peinliches Geheimnis aus mir entlockt.

„Wir sind hier nicht bei Twilight du Lackaffe, die Cosplay Convention hast du leider verpasst", sagte ich ziemlich genervt.  Wie konnte man, binnen einiger Sekunden, sich so unbeliebt machen?

„Lass mich los ich kann alleine stehen!" Mit einem Schubs befreite ich mich aus seinen Armen und trat ein Paar Schritte rückwärts.
„Wie Bitte? Ich habe was verpasst und wir sind nicht wo? Du hast mich doch nicht etwa gerade in deinem Erdlingsdialekt beleidigt? Das wäre sehr unhöflich dem Obersten Wächter der Königsfamilie gegenüber." Er zog die Augenbrauen zusammen, als würde er tatsächlich darüber grübeln was ich gerade von mir gegeben hatte.
„Was soll die Scheiße? Meinst du das ist lustig? Ich wurde gerade angegriffen und man hat mich stark verletzt! Und du willst mir ein Märchen über Vampire auftischen? Außerdem hast du dich leider getäuscht, ich stehe nicht auf Fantasy und habe keine Ahnung was du mit deinem dämlichen Blut anrichten kannst. Ich bin dir dankbar, dass du mir geholfen hast aber verarschen kann ich mich selber!" Vielleicht stand ich unter Schock und vielleicht war ich dumm und naiv, aber ich würde eher glauben, dass ein kranker Blutfetischist vor mir stand, als an seine Aussage. Dies wäre nämlich viel wahrscheinlicher gewesen, als ein Vampir, der aus dem Nichts auftaucht, mir das Leben rettet und mich mit seinem Blut heilt. Andererseits ist er über meinen Kopf, aus dem Stand gesprungen und allein mit seinem Knie, den anderen Bastard fünf Meter weit durch die Luft befördert. Ach was dachte ich da bloß! Jeder andere mit einwenig Training hätte das auch gekonnt.
„Du solltest auf deine Umgangssprache achten, solch ein schönes Fräulein sollte sprechen wie eine Lady und nicht wie ein Schuhmacher." Sagte er so liebevoll, dass jede andere dahingeschmolzen wäre. Im gleichen Moment verspürte ich eine Schwäche im unteren Teil meines Körpers.
Meine Knie gaben nun endgültig nach und wenn er mich nicht wieder aufgefangen hätte wäre ich umgefallen. Na ganz toll. Jetzt dachte er bestimmt, dass sein Kompliment mich umgehauen hätte. Vielen Dank auch Beine!
Ich beschloss, dass es Zeit wurde nachzugeben, diesen Kerl wollte ich nicht wütend machen, was nicht hieß, dass ich ihm nun glaubte.
„Danke, ich verstehe zwar immer noch nicht, wie du meinen Arm geheilt hast aber du hast mich gerettet und wie es aussieht kann ich nicht mehr gehen." Sagte ich halb keuchend. Mein Atem stockte und ich fühlte mich schwach. Als hätte mir jemand die ganze Energie geraubt. „Was ist nur los mit mir?", hauchte ich im letzten Moment, bevor ich in Ohnmacht fiel.

Ich fühlte die Wärme seines Körpers, als ich wieder zu mir kam. Mein Kopf lehnte an seiner muskulösen, Brust und ich spürte, wie seine Arme mich umschlossen. Ganz besonders seine starke Hand an meinem nackten Oberschenkel, die sich bei jedem Schritt tiefer in meine Haut zu graben schien, fühlte sich gut an. Ich schaute nach Oben in sein Gesicht. Er trug mich. Wir waren nicht mehr bei den Höhlen, sondern auf einer Kreuzung im Wald.
„Genau im richtigen Moment bist du aufgewacht.", sagte er, die Mundwinkel leicht zu einem Lächeln verzogen und schaute zu mir runter. „Ich weiß nicht wo du Wohnst, in welche Richtung müssen wir?"
„Du trägst mich nachhause?", fragte ich noch immer mit schwacher und schläfriger Stimme.
„Natürlich, ich kann dich doch hier nicht einfach liegen lassen.", schnaubte er.
„Danke..." Ich legte meinen rechten Arm um seine schultern und zeigte mit der linken, in welche Richtung wir mussten.

Ich bat darum, alleine gehen zu dürfen aber er lehnte sofort ab, mit der Begründung, er wolle nicht, dass ich wieder umfalle. Nach einigen Wehrversuchen sah ich es ein und ließ mich tragen. Ich musste zugeben, dass es ziemlich warm und gemütlich in seinen Armen war. Er trug mich als hätte ich keine Gravitation. Der kalte Wind des nächtlichen Waldes wehte uns entgegen, dennoch fror ich nicht. Ich war ihm dankbar dafür, dass er mich gerettet hatte und dafür, dass er mich nun nachhause brachte aber etwas stimmte an der ganzen Situation nicht. Ein mulmiges Gefühl saß tief in meiner Brust, nur war ich noch viel zu benebelt um klar denken zu können. Plötzlich traf mich der Geistesblitz und ich stellte die entscheidende Frage, deren Antwort all die Vermutungen bestätigen könnte, die meine Oma und ich aufgestellt hatten.
„Woher kommst du? Bitte sag mir die Wahrheit!", sagte ich und versuchte meine Stimme dabei fest und standhaft klingen zu lassen, obwohl ich Angst vor seiner Antwort hatte.
„Warum sollte ich lügen? Wenn du morgen aufwachst wirst du sowieso denken, dass alles nur ein Traum war. Ich komme vom Planeten Retzia und bin durch das Portal gesprungen. Ich verfolge die entlaufenen Häftlinge, auf die du gestoßen bist. Und was hast du, mitten in der Nacht, im Wald zu suchen, junges Fräulein?"

Retzia - Der Blutige PfadWo Geschichten leben. Entdecke jetzt