Kapitel 13

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Der Übergang durch das zweite Portal hatte sich anders angefühlt, als durch das Erste. Es kribbelte nicht mehr und auch sonst fiel mir nichts Sonderbares auf. Man könnte es mit einer Nebelwolke vergleichen, durch die man gelegentlich auf der Erde, mit dem Auto fährt. Nach nur einem Schritt waren wir schon auf der anderen Seite und erblickten die klare sonnige Landschaft, die sich vor uns ausbreitete. Mit einer Sache hätte ich jedoch nicht gerechnet. Es gab keine Steinstufen, die nach unten führten. Wir standen auf der Schwelle des Torähnlichen Portals, welches sich ca. fünf Meter über dem Boden befand.

„Und jetzt?", fragte ich. Ohne etwas zu erwidern, hob mich Daren – schon wieder – in seine Arme und sprang.

„Du kannst jetzt loslassen.", sagte er kühl. Wie ein Klammeräffchen hatte ich mich an ihn gekrallt. Langsam öffnete ich meine Augen und lockerte die feste Umarmung. Er stand – mich noch immer in den Armen haltend – auf dem Boden. Mit einer katzenähnlichen Leichtigkeit landete er auf den Füßen, ohne dass ich es einmal bemerkte. Langsam ließ er mich von den Armen gleiten. Die Dankbarkeit, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, konnte ich nicht beschreiben.

„Und ich sag es dir noch mal, das nächste Mal warnst du mich gefälligst vor!", sagte ich wütend. Er sah mich mit einem so liebevollen Blick an, dass meine Wut in der gleichen Sekunde dahinfloss.

„Ich möchte, dass du dir eins merkst.", sagte er ernst. „Egal was passiert, egal was du hörst und egal was auf uns zukommt, ich werde niemals zulassen, dass dir etwas passiert. Das verspreche ich dir Emilia." Diese Aussage berührte mein Herz wie es noch nie zuvor geschah, doch gleichzeitig ließ sie mich aufhorchen. Seine Worte bedeuteten nämlich, dass etwas auf uns zukam, wobei er mein absolutes Vertrauen brauchte. Zum krönenden Abschluss, fiel er vor mir auf ein Knie, als wolle er mir einen Heiratsantrag machen. Ohne, dass ich reagieren konnte, nahm er meine rechte Hand in seine und gab mir einen Handkuss.

„Danke...?" Was sollte ich denn sonst sagen? Mit einem zufriedenen Lächeln stand er wieder auf und ließ meine Hand los.

Ich konnte nicht behaupten, dass sich diese Welt im Allgemeinen von unserer unterschied. Wir befanden uns auf einem staubigen Feldweg, der in einen Mischwald führte. Hinter dem Wald sah man großes Gebirge aufragen. Um uns herum standen einige Bäume, die von Gebüsch umzäunt waren. Hier und da hörte man ein Vogelzwitschern. Der Rest der Landschaft war von grüner Wiese bedeckt. Einen bemerkenswerten Unterschied gab es jedoch. Die zwei Planeten, die ich zuvor im Himmel sah, waren verschwunden. Stattdessen standen die Sonnen hoch am Himmel. Ja richtig. Es waren zwei Sonnen! Plötzlich fiel mir der Satz aus meinem Traum wieder ein: Zwei Sonnen, doch keine gibt uns Leben. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass es da einen Zusammenhang gab. Daren fragte ich jedoch nicht danach. Ich wollte ihm nicht von meinem Traum erzählen. Meine innere Stimme befahl mir es nicht zu tun und ich lernte auf sie zu hören.

Ich sah auf den Boden und stellte fest, dass mein Schatten nicht anders als sonst aussah. Lag wohl daran, dass die beiden Sonnen so nah bei einander standen. Mit der Hand die UV-Strahlen abschirmend, schaute ich wieder hoch in den Himmel. Ein Vogel kreiste über unseren Köpfen.

„Sieh mal, der Vogel wird immer größer!", sagte ich zu Daren, woraufhin er auch nach oben sah.

„Unsere Mitfahrgelegenheit ist da." Er wies mich an, wieder hoch zu schauen. Das war definitiv kein Vogel! Je näher das Ding auf uns zukam, desto größer wurde es. Instinktiv versteckte ich mich hinter Darens Rücken. Ein dumpfes Geräusch erklang, so das ich wusste, dass es gelandet war. Langsam trat ich vor, um zu sehen was das nun für ein Apparat war, welches der Vampir als Mitfahrgelegenheit bezeichnete.

„Du willst mich doch auf den Arm nehmen!" sagte ich trocken. Daren sah mich verwundert an und machte Anstalten, mich - tatsächlich - hoch zu heben. „So habe ich das nicht gemeint!", rief ich aus und schlug seine Hände weg. „Das ist ein gottverdammter Drache! Du hast mir nie gesagt, dass ihr auch noch Drachen habt!"

„Ihr Menschen habt Flugzeuge, Autos, Züge... Und wir haben Drachen." Diese Aussage war so verrückt, dass ich nichts darauf erwidern konnte. Plötzlich schnaubte der Drache, was mich zur Ruckartigen Drehung in seine Richtung verleitete.

Er war schwarz und riesig. Allein eines seiner Flügel, könnte als ein ganzes Zelt, für fünfzig Menschen, fungieren. Seine Schuppen schimmerten wunderschön in der Sonne, als wären sie aus schwarzen Perlen geschliffen worden. Sein Hals könnte einen ausgewachsenen Mann ohne zu kauen verschlingen. Ich wollte gar nicht wissen, womit dieses Monster kaute. Aus seinem Kopf ragten zwei lange, leicht gebogene Hörner. Er sah mich mit seinen schlangenartigen Augen an aber es schien nichts Böses in seinem Blick zu lauern.

„Du kannst näher kommen und ihn streicheln.", bot Daren mir an und trat als erster vor. Der Drache senkte seinen Kopf und ließ sich von dem ihm berühren. Seine Hand wirkte winzig auf der schuppigen Haut. Ich kratzte das letzte Bisschen meines Mutes zusammen und kam näher. Langsam legte auch ich meine Handfläche auf die Nase des Drachen. Zumindest nahm ich an, dass es seine Nase war, denn es sah stark nach Nasenlöchern aus, aus denen leichter Rauch austrat.

„Das ist Ayren.", sagte mir Daren.

„Hallo Ayren.", begrüßte ich mit zitternder Stimme den Drachen. Er schloss seine gelben, Reptilien-Augen und auch ich hatte das Gefühl meine ebenfalls schließen zu müssen. Immer noch lag meine Handfläche auf seiner kalten und doch so angenehmen Haut. Ein wohliges Gefühl breitete sich in mir aus. Ich empfand etwas, was sich stark nach Liebe anfühlte. Liebe zu allen Geschöpfen dieses Planeten und besonders zu Darenar. Bilder strömten durch meinen Verstand. Ich sah wie Daren einen kleinen Drachen bekam, wie er ihn ausgebildet hatte und wie sehr der Drache ihn liebte. Ab da verstand ich was passierte. Es waren nicht meine Gefühle, sondern die des Drachen. Er kommunizierte mit mir und versuchte mir die Angst vor ihm, auf diese Weise zu nehmen. In meinen Gedanken bedankte ich mich bei Ayren und nahm die Hand weg. Er erinnerte mich ein wenig an einen Hund. Vollkommen treu seinem Herrn ergeben.

„Drachen kommunizieren über Gedankenübertragung mit euch?", fragte ich an Daren gewandt.

„Nein, wie kommst du drauf?", fragte er verwundert zurück.

Retzia - Der Blutige PfadWo Geschichten leben. Entdecke jetzt