Kapitel 9

100 9 0
                                    


Ich schrie auf. Am ganzen Leib zitternd, suchte ich panisch den Raum  nach meiner Oma und Lana ab. Daren schubste mich zur Seite und lief durch den Flur, der Blutspur folgend. Ich konnte mich nicht bewegen. Was würde passieren, wenn ich sah, wem das Blut gehörte. Ich wollte es einfach nicht herausfinden...

„Emilia!", rief Daren laut und unterbrach somit meine Panikattacke. Seine Stimme kam aus dem Wohnzimmer. Sofort riss ich mich zusammen und lief zu ihm.

Auf dem Boden lag meine Großmutter, in ihrem Nachthemd, das vollkommen mit Blut durchnässt war. Nur an wenigen Stellen, sah man noch weiße Flecken, die vom Blut verschont geblieben waren. Ich fiel vor ihr auf die Knie und schüttelte sie an den Schultern.

„Bitte wach auf Oma!", schrie ich so laut ich konnte. Meine Stimme war dennoch kaum durchdringend, da sie vom ständigen Schluchzen unterbrochen wurde. Tränen flossen über meine Wangen und ein Geschmack von Bitterkeit legte sich tief an meinen Gaumen. So kräftig ich sie auch schüttelte, ihre Augen öffneten sich nicht.

„Bitte hilf ihr!", flehte ich zu Daren. Er war bereits dabei, ihre Verletzung zu untersuchen.

„Jemand hat ihr ein langes und breites Messer in den Bauch gerammt.", sagte er nüchtern. „Sie hat auch viel Blut verloren, hoffentlich ist es nicht schon zu spät."

„Ist es nicht!" Meine stimme klang in dem Moment eher nach einem durchgedrehten Psychopathen, als nach einem jungen Mädchen. Niemand konnte meinen nächsten Schritt ahnen, weder Daren, noch ich selbst.

Ich schob meine Hand in die Tasche meiner Schorts, wo sich immer noch das Messer mit der Schlange befand. Wahrscheinlich hätte Daren sich gewehrt, wenn er wüsste, was ich vorhatte, aber er vertraute viel zu sehr auf ein unschuldiges Mädchen. Ich schnappte mir sein Handgelenk und schnitt ihm die Pulsadern auf. Er schrie auf. Schockiert starrte er mich an und dann das Messer.

„W-wie ist das möglich?", stotterte er. „Woher hast du das Messer?"

Ich ignorierte seine Frage. Meine Gedanken kreisten sich nur darum, dass ich nicht noch einen geliebten Menschen verlieren wollte. Erst viel später wurde mir bewusst, dass ich außer den Jungen in meinem Traum, nie jemanden verloren hatte. In diesem Moment aber, konnte ich nur daran denken Omas Leben, um jeden Preis, zu retten.

Als ich Darens Handgelenk an ihren offenen Mund hielt geschah nichts. Sie schluckte nicht.

„Ihr Herz schlägt noch aber sie ist schon fast tot. Es ist zu spät Emilia. Das tut mir so Leid." Mit mitleidigen Augen blickte er zu mir rüber. Ich jedoch dachte nur daran, dass er sagte, ihr Herz schlüge noch. Ohne über die Konsequenzen nachzudenken, rammte ich mein Messer in seinen Oberschenkel, was er auch nicht erwartet hatte. Wieder schrie er auf:

„Was machst du denn?!"

„Ich lasse sie nicht sterben!", schrie ich und stieß im selben Moment, das mit Darens Blut befleckte Messer, mitten in das Herz meiner Großmutter.


Nach einigen Minuten, die mir wie Stunden vorkamen, holte meine Oma einen tiefen Atemzug und öffnete halb die Augen. Schnell zog ich das Messer wieder aus ihrer Brust.

„Oma!", schluchzte ich. „Wie fühlst du dich?"

„Ihre Wunde hat schon begonnen sich zu schließen.", sagte Daren.

„Es wird schon wieder, Kleines.", sagte sie und versuchte dabei zu lächeln.

„Ich bin ja so froh, dass du lebst! Ich rufe dir sofort einen Krankenwagen!" Freudentränen flossen nun wie kleine Wasserfälle aus meinen Augen. Ich wollte bereits aufstehen und zum Telefon greifen, als Daren mich aufhielt.

„Das wird nicht nötig sein.", sagte er. „Sieh nur. Ihre Wunde hat sich geschlossen und sonst kann ich keine weitere Verletzung entdecken."

„Aber...", setzte ich an und wurde wieder unterbrochen. Großmutter setzte sich auf und nahm meine Hand in ihre warmen Hände.

„Bitte keinen Krankenwagen, Liebes.", sagte sie. „Mir geht es gut, ich fühle mich wie neugeboren, aber... Lana..."

„Was ist mit ihr, wo ist sie?!" meine Stimme war hysterisch.

„Sie haben sie mitgenommen..." 

Retzia - Der Blutige PfadWo Geschichten leben. Entdecke jetzt