Kapitel 8

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Ich schluckte. Genau wie ich es befürchtet hatte. Schon die zweite Person, die das Wort Retzia aussprach. Dabei standen meine Großmutter und dieser Kerl in keiner Verbindung zu einander. Zumindest ging ich davon aus. Es hatte keinen Zweck mehr die Wahrheit zu leugnen. Mich eingeschlossen waren wir nun zu dritt. Zeugen, die bestätigten, dass in diesen Höhlen etwas vor sich ging, was nicht so einfach zu erklären war.

Bewusst ignorierte ich seine Frage und versuchte mich zu konzentrieren, was mir durch das ständige Wippen auf seinen Armen, ziemlich schwerfiel. Oh man, warum musste er nur so wahnsinnig heiß sein? Er hat mich etwas höher angehoben, damit ich mich besser festhalten konnte. Meine Nase befand sich nun in unmittelbarer Nähe seiner Halsmulde. Er roch nicht genau definierbar und gleichzeitig so gut, dass es jedes weibliche Wesen um den Verstand gebracht hätte. Ich meinte Honig und Zedernholz vernommen zu haben, sicher war ich mir aber nicht.

Ich wollte mich doch konzentrieren, verdammt! Schnell kratzte ich die wichtigsten Punkte zusammen. Erstens wurde ich gerade mitten im Wald überfallen. Ich wusste nicht was die Typen von mir wollten, war aber froh, dass sie keine Gelegenheit dazu bekamen, es mir zu zeigen. Wem hatte ich das zu verdanken? Ganz genau, einem geilen Hengst, der behauptete ein Vampir von einem anderen Planeten zu sein. Das schlimmste an der Sache war, es ließ sich alles nachweisen. Er – ein Vampir – heilte mein Handgelenk mit seinem Blut. Dass in der Höhle ein Portal war, hat mir Oma versichert und er soeben bestätigt. Retzia hing mir schon zum Hals raus. Bei den Typen habe sogar ich bemerkt, dass sie viel zu stark für normale Menschen waren. Einfach nur abartig. So viel konnte mein gesunder Menschenverstand nicht verkraften. Eine andere Wahl blieb mir aber nicht übrig, also beschloss ich so viele Fragen wie möglich zu stellen, solange er mich nachhause trug. Vielleicht hatte ich Glück und es würde sich rausstellen, dass alles nur ein Scherz von Oma war und der hier, ein engagierter Schauspieler.

Zunächst aus reiner Höflichkeit (ich konnte ihn ja nicht Mister Vampir nennen): „wie heißt du?"

„Mein Name ist Darenar von dem Clan Ragonar."

„Aha, und was machst du so Darenar?" Ich widerholte seinen Namen, um darauf hinzuweisen, wie lächerlich ich ihn fand.

„Ich trage dich, junges Fräulen", stellte er fest.

„Ich meine, was du beruflich machst oder was deine Hobbys sind." Erst Smalltalk, dann die ernsten Fragen, war die Strategie.

„Meine oberste Priorität ist es die Königsfamilie zu schützen und meinem Land zu dienen.", sagte er feierlich. „Und was machst du so, junges Fräulen?" Diesmal lächelte er und sah zu mir herab.

„Hör auf mich so zu nennen, ich heiße Emelie!", sagte ich ziemlich genervt.

„Den Namen kenne ich nicht, ich werde dich Emilia nennen, das ist ein bekannter Name auf Retzia. So hieß die verschwundene Prinzessin. Du siehst ihr sogar ähnlich." Sein Blick wanderte wieder nach vorn auf die Straße. Wir waren schon fast da. Zwei Blocks bis zu unserem Haus und ich hatte noch keine richtige Information erhalten. Bis jetzt.

Somit konnte ich eins und eins zusammenreimen. Er sprach von meiner Ur-Ur-Großmutter Emilia. Nach kurzer Überlegung entschied ich mich nicht dafür, es ihm zu verraten. Wer wusste denn schon, in welchen Schlamassel mich diese Blutsverbindung bringen würde. Ich versuchte von meinem kurzen Stillsein abzulenken:

„Du kannst doch nicht einfach jemanden umbenennen! Na schön, dann nenne ich dich ab sofort Daren. Es ist ein gängiger Name in England." Zum Unterstreichen meiner Empörung schnaufte ich noch - etwas zu laut.

„Du kannst mich nennen wie du willst, Emilia."

„Schön Daren, dann sag mir doch bitte, warum diese Männer mich angegriffen haben." Die erste wichtige Frage. Hoffentlich würde die Antwort etwas Licht ins Geschehen bringen.

„Das waren die Häftlinge, die ich verfolge. Sie haben das Portal entdeckt und machen Jagd auf Erdenmädchen, um sie zu versklaven."

„Oh, deshalb haben die mich zurück zur Höhle geschleppt, wo das Portal ist, richtig?"

„Das ist richtig", sagte er nur knapp.

„Sind die Typen genau wie du? Vampire?" Lächerlich, dass ich diese Frage auch so ernst meinte, wie ich sie stellte. Sein Körper spannte sich kurz an, lockerte sich aber sofort wieder. Trotzdem ist es mir aufgefallen. Diese Frage ging ihm unter die Haut und er versuchte es zu verheimlichen. Ich war also auf dem richtigen Weg.

„Nein, es sind Werwölfe. Unser Land führt Krieg mit den Leeran, dem Clan der Werwölfe..." Gerade als er wieder ansetzen wollte etwas zu sagen, unterbrach ich ihn:

„Es gibt auch noch Werwölfe?!", schrie ich laut auf. Was zu viel war, war zu viel.

„Nicht auf eurem Planeten, aber auf meinem schon. Und nicht nur. Es gibt viele Wesen, die du nur aus Märchen kennst."

„Auch Einhörner?", fragte ich sarkastisch.

„Was sind Einhörner?"

„Wow", sagte ich entnervt. „Es gibt Werwölfe und Vampire aber "Einhorn" sagt dir nichts? Es sind Pferde mit einem Horn auf der Stirn"

„Nein, ich kenne mich nicht mit allen irdischen Wesen aus aber ich kann mit Gewissheit behaupten, dass bei uns keine Einhörner gesichtet wurden." Erstaunlich wie er das sagte. Als würde er ein Bericht seinem Vorgesetzten erstatten.

Etwas entging mir. Ich hatte es ganz tief im Gefühl. Was war es bloß? Wenn ich ein wenig mehr nachgedacht hätte, wäre ich darauf gekommen, doch leider blieb mir dafür keine Zeit mehr. Wir waren schon da und als ich sah, dass die Haustür meiner Oma sperrangelweit offenstand, überkam mich Panik. Schnell sprang ich aus Darens Armen auf den Boden und die Benommenheit verflüchtigte sich im gleichen Augenblick,  als ich über die Schwelle trat. Daren war direkt hinter mir. Vor uns breitete sich eine riesige Blutlache auf dem Holzboden aus.

Retzia - Der Blutige PfadWo Geschichten leben. Entdecke jetzt