October 25th

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Es war ein typischer verregneter Dienstagnachmittag in London. Dicke Wolken hingen am Himmel und die Stimmung war eher gedrückt. Die Menschen auf den Straßen beeilten sich um der Nässe und der Kälte zu entkommen. Sie verließen ihre Häuser und Wohnungen nicht, sofern sie nicht mussten. Stattdessen saßen sie in ihren Sesseln oder lagen in ihren Betten, befanden sich in der Küche oder hielten sich im Bad.

Aber manch einer besaß nicht das Glück, dass er sich in den eigenen vier Wänden befand. Er musste ausharren. Auf der Arbeit, im Straßenverkehr, ob öffentlich oder im eigenen Auto. Vielleicht war er beim Arzt oder in einer Behörde. Möglicherweise aber auch und nun kommen wir zum Kernpunkt, befand er sich auch in einem Café.

So wie meine Wenigkeit. Seit gut einer halben Stunde hockte ich hier schon und wartete. Nicht, weil sich jemand verspätete, sondern ich war einfach früh dran. Durch ein paar unglückliche Zufälle - eigentlich hatte ich nur verplant, wann wir uns treffen wollten - war ich eine Stunde zu früh in dieses Cafe gekommen und verbrachte seitdem die Zeit damit aus dem Fenster zu sehen. Menschen eilten daran vorbei. Die Schultern hochgezogen um sich vor dem Regen zu schützen. Es möchte für einige Minuten interessant sein und normalerweise liebte ich es irgendwo zu sitzen um Menschen zu beobachten. An einem regnerischen Tag aber, war dies weitaus langweiliger als sonst. Denn eigentlich sah man immer das gleiche Bild: Menschen, die möglichst schnell ins Trockne wollten.

So hatte sich meine Aufmerksamkeit schnell von der Straße gelöst und richtete sich auf mein Handy, das neben meiner dampfenden Tasse Kakao stand. Ich lehnte mich leicht vor und betätigte den Knopf, der den Bildschirm erhellte. Ein Lächeln glitt über meine Lippen als ich erkannte, dass ich eine ungelesene Nachricht erhalten hatte. Mit wenigen Bewegungen meines Fingers öffnete ich sie und mein Lächeln wurde noch breiter, während unzählige Schmetterlinge in meinem Bauch anfingen zu flattern bei den Worten, die zu lesen waren. Ich nahm das Gerät in die Hand und tippte eine Antwort. Noch immer ein Lächeln auf den Lippen, legte ich das Handy zurück und griff nach der Tasse. Das warme Porzellan umfassend sah ich wieder nach draußen. In meinen Gedanken tauchte der Mann auf, der mir das Herz geraubt hatte. Ich nippte an meinem Kakao. Die Süße breitete sich in meinem Mund aus. Genießerisch schloss ich meine Augen und lehnte mich in meinem Stuhl zurück.

Ich streckte meine Füße von mir und rutschte tiefer in den Stuhl hinein. Mein Blick huschte durch das kleine Cafe, welches seit einigen Monaten zu einem beliebten Rückzugsort geworden ist.

Eigentlich war ich nie der Typ dafür gewesen einen speziellen Ort zu haben, an den es mich immer wieder zurückzog. Ja, ich war ein Gewohnheitsmensch, aber immer am gleichen Ort aufzutauchen empfand ich als unangenehm. Aber seit einigen Jahren hatte sich das geändert und ich verliebte mich in das kleine Cafe. Damit waren unzählige Erinnerungen verbunden, die mich beim bloßen Gedanken daran lächeln ließen.

Ich lehnte mich vor, stellte die Tasse zurück und fuhr durch mein Haar, welches noch immer leicht feucht vom Regen war. Sobald es einigermaßen gerichtet war - den Blick in den Spiegel wollte ich nicht wagen - griff ich in meine Tasche und zog ein Buch hervor um es aufzuschlagen. Es waren noch immer gute zwanzig Minuten bis die verabredete Uhrzeit erreicht war. Zeit genug um sich noch ein wenig zwischen den Zeilen zu verlieren. Zeit für mich, die ich umso mehr genoss. Es war selten geworden, dass ich eine Stunde für mich alleine beanspruchen konnte, denn als Mutter war man nicht mehr nur für sich selbst verantwortlich.

Ich schlug das Buch auf und gleich die erste Zeile ließ mich nicht weiter in die Geschichte eintauchen. Manchmal reichten einzelne Worte um mich aus dem Konzept zu bringen und meine Gedanken in eine ganz andere Richtung zu lenken. Plötzlich befand ich mich nicht mehr in dem kleinen Cafe, sondern an einem anderen Ort, in einer anderen Zeit. Die letzten Jahre zogen an meinem geistigen Auge vorbei und ich stieß langsam die Luft aus an den Bildern, die sich mir boten. Was hatten wir nicht alles erlebt, seitdem wir den Boden hier in London betreten hatten. Unbewusst und ohne das Wissen, dass sich schon bald unsere Wege kreuzen würden, hatten wir den Weg angetreten. Unser Heimatland verlassen um hier das Glück zu finden. Jede von uns auf eine andere Art und Weise, aber doch mit dem gleichen Hintergrund. Wie so oft war es die Liebe, die unser Handeln bestimmte. Wir alle hatten unser Herz verschenkt. Die Gemeinsamkeit bildeten dabei die Herzensmänner, denn sie waren es, die uns schließlich miteinander bekannt machten und den Weg zu einer unvergleichlichen Freundschaft ebneten. Es war nicht immer leicht, aber welche Beziehung war das schon? Ob Liebe oder Freundschaft, selbst Familienbanden waren nicht immer leicht. Dennoch wussten wir, dass aufeinander Verlass war.

Story of our LifesWhere stories live. Discover now