Sie sitzt da auf ihrem Felsen, wie jeden Tag.
Schaut abwesend und konzentriert zugleich aus das weite Blau, wie jeden Tag.
Dieser Moment sieht aus wie Einsamkeit. Sieht aus, als würde sie fliehen. Aber allein ist nicht gleichbedeutend mit einsam.
Sie weiß wie sie wirkt. Es liegt in ihrer Natur. Sie sieht so traurig aus, man will sie trösten, doch die Meisten überleben diesen Versuch nicht.
Aber sie hat aufgegeben zu hoffen, etwas anderes sein zu können, sie hat ihre Natur akzeptiert.
Gedankenverloren fährt sie sich mit ruhigen Bewegungen durch ihr goldglänzendes Haar. Die warme Sonne hat es längst getrocknet, doch es glitzert noch immer als hätten sich Abermillionen kleine Wassertröpfchen darin verfangen.
Auch das liegt in ihrem Wesen. Unverfälschte Schönheit. Schönheit, die den Verstand ausschaltet, die Vernunft verdrängt, bei der ein Blick genügt um mehr Wärme zu empfinden, mehr Liebe als man jemals für möglich halten würde.
Bei dem Gedanken daran beginnt sie zu lächeln. Aber es ist ein kaltes Lächeln. Wie gerne würde sie die Wärme spüren, die ihr Antlitz anderen schenkt. Aber so funktioniert ihre Welt nicht.
Sie bemerkt, wie sich ihr innerer Frieden langsam verabschiedet. Mit jeder Bewegung des Ozeans um sie herum, fließt er langsam aus ihr heraus und sie spürt, wie die altbekannte leere Kälte zurückkehrt.
Sie hat diese Kälte selbst erschaffen, zu ihrem Schutz. Die Wahl zwischen Schuldgefühlen und Traurigkeit oder nüchterner Akzeptanz fiel ihr nicht schwer. Die Entscheidung schenkte ihr diesen Moment jeden Tag.
Diesen Moment des Friedens, der jeden Tag aufs Neue ein wunderbarer Augenblick ist. Er kommt dem Gefühl von Wärme und Liebe am nächsten. Ihre Schwestern verstehen sie nicht, wollen sie immer wieder mit ihren kalten nassen Krallen davon abhalten auf diesen sonnenwarmen Felsen zu steigen. Sie wollen, dass sie Spaß daran hat, zu sein, was sie ist.
Sie seufzt auf, als sie seinen Blick spürt. Heiße Gier macht sich in ihr breit und sie versucht verzweifelt mit ihrer vertrauten Kälte dagegen anzukämpfen.
Sein Blick wird stechender und in ihr Fechten Feuer und Eis einen Kampf, der keinen Gewinner hervorbringen wird.
Eine einsame Träne der Verzweiflung rinnt ihre rosige Wange hinab und fällt auf eine violett schimmernde Schuppe.
Sie verabschiedet sich von ihrem Moment der Glückseligkeit, denn glücklich ist, wenn sie hier auf ihrem Felsen die Sonne im Meer verschwinden sieht.
Das Wasser um sie herum kräuselt sich, ihre Schwestern warten. Also ist auch er gesprungen, auch er konnte ihrem Sog, der ihm das Herz zu brechen drohte, ihn in Abgründe der Verzweiflung zu ziehen drohte, nicht widerstehen. Langsam gleitet sie jetzt zurück ins kalte Blau.
Ihren schillernden Fischschwanz sieht er zuletzt, schillernd in allen Farben des Korallenriffs. Dann wird er hinabgezogen und erliegt ihren hungrigen Küssen.
DU LIEST GERADE
mondscheinzeilen
PoetryBloß ein paar Gedankenfetzen, niedergeschrieben bei Kerzenschein an Regentagen, bei Mondlicht in warmen Sommernächten auf zeilenloses Papier oder bunte Pappdeckel.