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Hermine erklärte Ron gerade den Ernährungsplan ihres Diricawls, als Ginny aus den Jungenschlafsälen gestürmt kam. Sie hatte Tränen auf den Wangen und war ganz offensichtlich rot vor Wut.
»Ginny!«, rief Ron. Er sprang auf und lief seiner Schwester hinterher.
›Was hat Harry getan?‹, schoss es Hermine durch den Kopf und sie ging in die Richtung, aus der Ginny gekommen war.
Harry stand mit dem Rücken zu ihr und schaute aus dem Fenster. Hermine hörte ihn nicht mal atmen.
»Harry?«, murmelte sie. Er drehte sich zu ihr um.
Harry weinte nicht. Er hatte nicht mal Tränen in den Augen. Aber er sah trotzdem traurig aus.
»Du hast mit ihr Schluss gemacht?«, fragte Hermine.
»Nein, also ich wollte. Aber ich habe es irgendwie nicht über die Lippen gebracht. Und dann hat sie es mir vorweggenommen. Sie war unglaublich wütend. Sie hat gesagt, dass ich mich zu gut für sie fühlen würde und sowas. Ich fühle mich so schlecht, aber Hermine, es war einfach nicht mehr das Richtige. Und irgendwie fühle ich mich jetzt auch viel besser.«
»Ach Harry«, sagte Hermine mitfühlend und nahm ihren besten Freund in den Arm. Sie strich ihm über den Rücken.
Sie standen lange so da und schwiegen.
»Danke Hermine«, sagte Harry irgendwann.
»Darf ich dir eine Frage stellen, Harry?«
»Natürlich«
»Du und Ginny, ihr habt auf mich wie das perfekte Paar gewirkt. Ich kenne dich, ich weiß, dass du nie ein Mädchen lieber gehabt hast, als Ginny. Was gibt es, das sich zwischen euch stellen kann? Ich möchte dir nichts vorwerfen, Harry, wirklich nicht! Aber ich weiß, dass du dich in letzter Zeit verändert hast. Ich meine nicht, dass du eine andere Person geworden bist, du bist immer noch Harry, so wie ich ihn liebe, aber einige Sachen haben sich verändert und das wissen wir beide. Seit du dieses schlechte Gewissen hast, wegen all der Menschen, die gestorben sind... Ich möchte dir wirklich nur helfen, Harry!«
»Ich weiß«, sagte er und ging nicht weiter auf ihre Worte ein. »Ich habe gestern Nacht wieder von Remus geträumt.«
»Den Traum am Großen See?«, fragte Hermine besorgt.
»Ja. Aber diesmal war es anders«
»Was?« Hermine runzelte verwundert die Stirn. Harry hatte seit dem Krieg ungefähr fünf Albträume, die sich immer wieder wiederholten. Hermine wusste das. Aber die Träume waren jedes Mal gleich gewesen. Sie veränderten sich nicht.
»Was war anders?«, fragte sie.
»Am Anfang war Alles normal. Wir haben uns unterhalten und diskutiert, ob ich die Menschen umgebracht habe. Aber dieses Mal hat er es nicht gut sein lassen. Ich habe mich in Rage geredet, und naja... ich habe ihm alle Tode aufgezählt. Alle! Und normalerweise wäre dann Anthonin Dolohow gekommen. Aber er kam nicht. Stattdessen ist der Vollmond rausgekommen.«
»Und Remus wurde zum Werwolf?«, fragte Hermine geschockt.
»Nein, er hat zwar gezuckt und so, aber plötzlich hat es aufgehört und Remus war immer noch ein Mensch. Er war genauso verwundert wie ich. Aber dann kam Dolohow und hat ihn wie immer getötet. Wieso  hat es sich verändert, Hermine?«
»Ich weiß es nicht«, gestand sie. Sie löste sich von Harry und ging nachdenklich hin und her. Sie konnte sich nicht erklären, warum ein Albtraum, der sich über Monate nicht veränderte, nun ganz anders verlief.
»Harry, ich werde darüber nachdenken!«, sagte sie entschlossen und verließ den Raum. Sie hatte ein Problem, mit dem sie sich befassen musste.

Harry war bewusst, dass er Hermine ihre eigentliche Frage nicht beantwortet hatte. Sie hatte wissen wollen, wieso Harry sich nicht mehr mit Ginny zurechtfinden konnte. Das hatte einen Grund und Harry kannte diesen Grund. Aber er fühlte sich selbst noch nicht bereit dafür. Und deswegen fühlt er sich auch noch nicht bereit dafür, es jemand anderem zu sagen, nicht mal Hermine. Er musste für sich selbst darüber nachdenken. Würde es wahr sein, würde es Harrys Leben auf den Kopf stellen. Es würde unglaublich schwer sein. Es würde einige von Harrys Taten in ein gegenteiliges, aber sinnvolles Licht rücken. Aber es würde auch einige Sachen erklären, die sein Leben unglaublich erleichtern würden.
Harry würde lernen müssen, sich mit seiner Homosexualität abfinden zu müssen.

Draco wachte auf, weil ihn etwas an den Haaren ziepte. Er öffnete die Augen, bewegte sich aber nicht. Er lag auf dem Bauch, den Kopf auf den verschränkten Armen. Wahrscheinlich war er eingeschlafen, als er Gilderoy beim Herumlaufen beobachtet hatte. Da erkannte er, was sich auf seinem Kopf befand. Natürlich, der kleine Diricawl, der es irgendwie geschafft hatte, von dem Tischchen auf das Bett und dann auf Dracos Kopf zu hangeln. Mit seiner rechten Hand befreite er den Vogel vorsichtig aus den Haaren, in denen er sich festgekrallt hatte und setzte ihn aufs Kopfkissen.
Gilderoy schaute ihn ganz unschuldig an, als wollte er sagen ›Was kann ich dafür, dass du eingeschlafen bist?‹
»Was? Schau mich nicht so an! Ach, du bist ja nur ein Vogel. Wieso rede ich überhaupt mit dir? Du hast ja eh keine Ahnung von meinen Problemen. Ich heiße übrigens Draco. Ich weiß, das ist irgendwie ein komischer Name. Die Leute in meiner Familie stehen darauf, ihre Kinder nach Sternen zu benennen. Aber irgendwie mag ich den Namen trotzdem. Er ist immerhin besser als deiner. Gilderoy. Aber wahrscheinlich hast du jetzt schon wieder alles vergessen, was ich dir eben gesagt habe. Du hast bestimmt ein Kurzzeitgedächtnis von zwei Sekunden. Wir haben dich nach dem bescheuertsten Professor von Hogwarts jemals benannt. Naja, abgesehen von Hagrid vielleicht.
Ich bin ab jetzt dein Adoptivkind... ja, keine Ahnung, wie man das nennt. Adoptivpflegeaufziehmensch oder so. Aber nicht ich alleine. Da sind auch noch Neville Longbottom und Harry Potter. Longbottom ist der Trottel, der dir dein Essen gemacht hat und Potter ist der, dem ich den Finger abgeschnitten habe. Aber keine Angst; ich habe kein schlechtes Gewissen. Auch ein Held muss mal leiden.
Verdammt, wie verrückt bin ich jetzt eigentlich geworden?! Ich rede mit einem Vogel. Noch dazu ein Vogel, der nicht mal fliegen kann. Du bist eigentlich echt arm dran! Du bist ein Vogel, aber kannst nicht fliegen. Du kannst zwar so apparieren und so, aber das kann ein Phönix auch. Und der kann aber noch fliegen und ist sonst auch viel beeindruckender. Und außerdem sind ausgewachsene Diricawls auch nicht die hübschesten Wesen. Zumindest nicht der von der Abbildung im Buch. Naja, ich will dir dein Leben auch nicht schlecht reden. Du kannst ja nichts dafür. Du hast dir nicht ausgesucht, so zu sein ... nicht so wie ich.
Ich habe mir allein ausgesucht, fies und verachtend zu allen zu sein. Es war meine Schuld, dass ich nie richtige Freunde hatte. Und jetzt? Jetzt wird mir das alles zum Verhängnis. Aber was erzähle ich dir schon?« Der kleine Vogel hörte Draco ganz offensichtlich schon lange nicht mehr zu. Er hatte sich abgewandt und versuchte, mit dem Schnabel ein Loch in Dracos Kopfkissenbezug zu hacken. Draco stand auf. Er musste hier raus. Er brauchte Luft. Er überlegte kurz, ob er Gilderoy in den Käfig setzen sollte, entschied sich dann aber dagegen.
»Wenn ich wiederkomme, hast du Hogwarts noch nicht abgefackelt!«, sagte Draco streng und kam sich vor wie ein verantwortungsbewusster Familienvater. Gilderoy hatte nicht eine Sekunde lang mit dem Hacken aufgehört und ignorierte Draco vollkommen. Dieser öffnete die Tür und schlich sich so unauffällig an den wenigen Schülern vorbei, die noch im Gemeinschaftsraum waren, wie möglich. Als er dann in einem der Kerkergänge stand, atmete er erleichtert aus. Nachdem er kurz die Stille genossen hatte, machte er sich auf den Weg aus den Kerkern. Seine Schritte hallten einsam an den Wänden wider, als suchten sie ihresgleichen. Aber es kam niemand anders. Draco wusste, dass er eigentlich nicht mehr in der Schule unterwegs sein durfte. Nur weil er volljährig war, änderte das nichts daran, dass er nachts in seinem Haus sein musste. Gerechtigkeit war eine von Hogwarts' größten Prioritäten. Weder Alter noch Blutgrad machten irgendetwas aus. In Hogwarts sollten alle gleich sein.
Je weiter Draco aus den Kerkern herauskam, desto lauter wurden seine Schritte. Er blieb stehen. Er wollte nicht erwischt werden. Es sollte ein ruhiger Spaziergang werden. Draco wollte alleine sein und das auch bleiben. Er wollte nicht gefunden werden, nur weil man seine Schritte hörte. Also hockte Draco sich hin und zog seine Schuhe aus. Er nahm sie in die rechte Hand und ging weiter.
Seine dünnen, dunkelgrünen Socken schluckten das Geräusch des Auftretens. Endlich umfing Draco wieder Stille.
Er war schnell, ging aber trotzdem vorsichtig, um nicht auf den Socken auf dem glatten Boden auszurutschen. Er ging weiter und weiter. Es war stockdunkel und er konnte nur einige Umrisse erkennen, wenn durch ein Fenster ein wenig silbernes Mondlicht hineinfiel.
Irgendwann blieb er stehen. Er bemerkte, wie müde er war, obwohl er schon geschlafen hatte. Draco drehte sich um und lief den selben Weg zurück, den er gekommen war.
Während des Gehens schob sich ein Bild in Dracos Gedanken. Es war aufdringlich und wollte sich nicht mehr von ihm vertreiben lassen. Es war ein Bild eines Gesichts. Ein Gesicht, das von rabenschwarzem Haar umrahmt wurde und auf dessen Stirn eine unverwechselbare Blitznarbe prangte.

Why? || DrarryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt