8

15.4K 860 168
                                    

Draco lag mittlerweile auf dem Rücken in seinem Bett und starrte an die Decke. Er sah sie aber nicht. Das Bild Potters in seinen Gedanken war immer noch nicht verschwunden. Und je genauer Draco es betrachtete, desto klarer und aufdringlicher wurde es. Wahrscheinlich waren es die grünen Augen, die ihn fesselten. Er staunte, wie genau ein Bild war, das er allein aus seiner Gedankenkraft vor sich sah. Nicht mal das seiner Mutter oder sein eigenes Gesicht hätte er so wahrheitsgetreu aufrufen können. Er hatte keine Ahnung, wieso das so war, aber je länger er Potters Gesicht anschaute, desto weniger wollte er es verbannen. Er entdeckte immer mehr Fassaden, die er hübsch fand. Wahrscheinlich hatte er sich noch nie einen Mensch so genau angesehen - und dabei war Potter nicht mal hier. Aber Draco wollte nicht darüber nachdenken. Er wollte einfach auf seinem Bett liegen und das Gesicht von Harry Potter studieren. Sein Gesicht war nicht ausdruckslos. Er hatte eine Augenbraue hochgezogen und lächelte Draco schief an. Die grünen Augen standen in einem wunderbaren Kontrast zu der rötlichen Narbe auf der Stirn. Draco fehlte es nur an Einem in diesem vollkommenen Gesicht. Bewegung. Das Lächeln war echt, aber es war starr. Es zeigte eine Emotion, aber auch sie war starr. Doch trotz dieser Unbewegtheit konnte er den Blick nicht abwenden. Draco war noch nie aufgefallen, wie hübsch Potter war. Vielleicht war es etwas eigenes, aber es war wunderbar für Draco. Einen Teil der Faszination machte für ihn auch aus, dass Potter so gegensätzlich zu Draco selbst war. Potter verkörperte das, was Draco nun anstrebte zu sein. Jeder wusste, dass Potter eine schreckliche Kindheit gehabt hatte. Bis er dann von seiner wahren Natur erfahren hatte und nach Hogwarts gekommen war. Er wurde zu einer hochgeachteten Person. Er wurde nicht mehr von anderen unterdrückt und hatte sich besser entwickeln können - und das auch getan. Vielleicht würde Draco das auch können. Siebzehn Jahre dunkle Vergangenheit... Vielleicht konnte er dem jetzt entfliehen und sich ebenso wie Potter entfalten. Draco wünschte sich Nichts mehr als das.
Je länger er so dalag und nachdachte, während er versuchte, sich Potters Gesicht so genau wie möglich einzuprägen, desto klarer wurde ihm, dass er Harry Potter gern haben wollte. Er wollte ihn nicht mehr hassen. Er wollte unbedingt, dass Potter ihn verstand. Er war sich sicher, dass dieser seine Probleme und seine Vergangenheit nachvollziehen konnte. Aber das ging nur, wenn Potter sich darauf einlassen würde, Draco nicht länger zu hassen. Und das war leider viel zu unwahrscheinlich - das hatte Draco sich selbst vermiest.
Aber es war Draco, als würde er Potter zum ersten Mal mit offenen Augen sehen. Moment, nicht Potter. Harry! Was für ein wunderschöner Name. Harry.

»Harry!«, Ron kam in den Schlafsaal gestürmt und lief auf Harry zu, der immer noch am Fenster stand. Harry hoffte, dass Ron ihn jetzt nicht hassen würde. Er wusste, dass Ron viel an dem Wohlergehen seiner Schwester lag und wenn Harry einfach so Schluss mit Ginny machte...
»Tut mir leid.«, sagte Harry.
»Nein«, erwiderte Ron sofort, »Es soll dir nicht leid tun. Das muss es nicht. Im ersten Moment war ich zwar wütend auf dich, als Ginny mir erzählt hat, dass du mit ihr Schluss gemacht hast und sie so am Boden zerstört war. Ich war wirklich sehr wütend auf dich. Aber dann habe ich versucht sie zu trösten und sie hat mir total viel Zeug erzählt, das sie denkt, und warum sie jetzt wütend auf dich ist. So, dass du sie nur ausgenutzt hättest und dass du denken würdest, dass sie nicht gut genug für dich wäre. Da habe ich gemerkt, dass sie jetzt irgendwie total verrückt geworden sein muss. Also, was immer dein Grund dafür ist, dass du Schluss gemacht hast, es ist bestimmt nicht, weil du dich zu gut für sie fühlst. Aber Harry, hab kein zu schlechtes Gewissen; sie wird drüber hinweg kommen.« Harry schaute erleichtert auf. Ron war ihm nicht böse.
»Kommst du wieder mit runter?«, fragte Ron.
Harry war sich unsicher:»Ist Ginny-«
»Nein, Ginny ist im Mädchenschlafsaal. Die kommt heute bestimmt nicht mehr da raus!«
»Na gut« Harry folgte Ron wieder in den Gemeinschaftsraum. Hermine saß in einem der Sessel und hatte ein Stück Pergament auf dem Schoß. Sie schrieb mit einer Feder und einer Unterlage aus Büchern.
»Harry, du bist nochmal hergekommen!«, sagte Hermine erfreut, schaute aber immer noch gedankenversunken auf ihr Pergament. »Weißt du, ich überlege gerade, warum du jetzt den veränderten Albtraum hattest.« Sie unterbrach ihre Erklärung und schrieb etwas auf. Harry warf einen kurzen Blick auf ihre Notizen. ›Lupin nicht vom Mond verwandelt‹ war das Einzige, was er auf die Schnelle lesen konnte. Er setzte sich in einen Sessel neben Hermine. Auch Ron setzte sich.
»Du hast mit Ginny Schluss gemacht?«, fragte plötzlich Dean, der mit Seamus an seiner Seite zu ihnen kam. Harry seufzte innerlich. Es hätte ihm klar sein sollen, dass diese Trennung für viel Gesprächsstoff sorgen würde.
»Hey, lasst ihn mal in Ruhe«, sagte Ron abwehrend. Harry war froh über den Beistand, auch wenn ihm klar war, dass er den Fragen nicht ewig würde entkommen können. Das Schlimmste war, dass Harry wusste, dass die Antworten auf die meisten der Fragen mit seiner Homosexualität zu tun haben würden. Und Harry war noch nicht bereit dazu, sich zu outen. Er fand es nicht wirklich schlimm, schwul zu sein, es war sogar ziemlich erleichternd. Harry verstand zum ersten Mal einige seiner Denkweisen, über die er sich sonst immer gewundert hatte. Es wirkte nun plausibel, dass er sich von Ginny distanziert hatte und dass er manchmal einige ungewohnt anziehende Gedanken gegenüber anderen Jungen gehabt hatte. Wie konnte sich ein Leben nur so sehr durch eine "einfache" Wandlung der Sexualität ändern? In solchen Momenten wünschte Harry sich so sehr seine Eltern herbei. In Momenten, in denen er reden wollte. Natürlich waren Ron und insbesondere Hermine auch sehr gute Gesprächspartner und Harry würde ihnen alles anvertrauen, aber im Moment war er so verunsichert, dass er sich nicht über etwas so Komplexes wie seine eigene Sexualität mit ihnen unterhalten wollte.
Harry bemerkte, dass Ron, Dean und Seamus gerade über ihn diskutierten. Das wurde ihm zu viel. Er stand einfach auch und ging. Hermine warf ihm noch ein ›Nacht, Harry‹ hinterher. Die drei Jungs bemerkten nicht mal, dass er weg ging.
Als er sich umgezogen hatte und einen rot-goldenen Pyjama trug, ließ er sich auf sein Bett fallen. Er überlegte, ob er noch lesen sollte, entschied sich dann aber doch dagegen. Er war zu aufgewühlt zum Lesen. Auf Schulstoff würde er sich im Moment überhaupt nicht konzentrieren können. Er legte sich auf die Seite und schloss die Augen.
Harry bemerkte schnell, dass er nicht einfach einschlafen konnte. Die Gedanken in seinem Kopf waren zu wirr. Er machte die Augen wieder auf und starrte in die milchige Dunkelheit des Zimmers. Er lauschte auf das Pochen seines Herzens, das ihm ungewöhnlich langsam vorkam, obwohl er innerlich doch so aufgewühlt war. Und dabei hatte er sich noch nicht mal verliebt. Es war die einfache Tatsache, dass Harry das Gefühl hatte, sich endlich zu kennen. Aber es wunderte ihn trotzdem, dass er nie wirklich intensive Gefühle für einen Jungen empfunden hatte. Und auch jetzt konnte er sich zwar bewusst Dinge aufzählen, die er an anderen Jungs anziehend fand, aber er hatte keinen bestimmten Jungen im Sinn, an dem er auch nur ein winziges bisschen Interesse zeigte. Aber eigentlich war das ziemlich gut, wenn Harry genauer darüber nachdachte. Dann könnte er jetzt ohne jegliche Hintergedanken an Ginny oder alle anderen diversen Dinge auf Jungen zugehen, die er gut fand. Es war wie ein Neustart. Wenn sich die Nachricht von dem Beziehungs-Schluss von Ginny und ihm verbreiten würde, würde er sich endlich unabhängig fühlen können.
»Du bist ja noch wach, Harry«, Ron kam in den Schlafsaal und setzte sich auf sein Bett. Er murmelte:»Lumos« und hielt die Spitze seines Zauberstabes in Harrys Richtung.
»Ich kann nicht einschlafen«, gab Harry zu und setzte sich auf.
»Ginny?«, riet Ron. Harry schüttelte den Kopf.
»Nicht direkt« Ron sah ihn fragend an. Harry konnte nachvollziehen, dass sein bester Freund wissen wollte, was mit ihm los war. Harry hatte mit Draco Malfoy Zeit verbracht - wenn auch unfreiwillig - und trotzdem lebte er noch. Er hatte mit Ginny Schluss gemacht. Er konnte Rons Neugier verstehen.
»Also....?«, fragte Ron herausfordernd. Harry atmete einmal durch. Wieso sollte er es ihm nicht erzählen? Früher oder später würde er es eh tun. Und wozu hatte er denn beste Freunde? Er versuchte, sich einen Satz zurechtzulegen. Ron schaute ihn immer dringlicher an. Harry begriff schnell, dass ihm nichts Passendes einfallen würde. Manche Dinge musste man einfach sagen.
»Homosexuell«, sagte Harry. Ron riss seine Augen auf.
»Ehrlich?« Harry nickte.
»Verrückt!« Harry war erleichtert, dass die Reaktion seines Freundes nicht negativ ausfiel. Freude durchströmte ihn.
»Harry Potter, die Leute werden verrückt werden! Du bist so berühmt wie Voldemort! Das wird sich so schnell herumsprechen!«
»Ich weiß«, gab Harry zu. »Bitte sag es Hermine noch nicht, ich möchte es ihr morgen selbst sagen.«
»Och Mann, Harry. Du kannst mir doch nicht die sensationellste Nachricht meines Lebens erzählen - na gut, das ist ein wenig übertrieben, aber du weißt, was ich meine - und dann darf ich es nicht Hermine erzählen? Harry, komm schon!«
»Nein, tut mir leid Ron, das muss ich selbst machen«, grinste Harry.
»Okay, Harry. Gute Nacht. Bevor du noch mehr Unruhe stiftest, solltest du jetzt schlafen. Ich erzähle Hermine nicht, dass du schwul bist. Dann kannst du morgen die nächsten Sachen rausrücken. Vielleicht bist du ja eigentlich Voldemort und hast einfach nur Vielsafttrank getrunken. Ich will's gar nicht wissen. Bis morgen.« Er ging einfach so raus. Harry grinste und legte sich wieder richtig hin. Er war unheimlich froh, einen so verständnisvollen, lockeren besten Freund zu haben.
In dem Moment kam Ron noch mal hereingestürmt.
»Eine Sache noch. Du hast doch nie auf mich...?« Harry lachte.
»Nein, keine Sorge« Und schon war Ron wieder weg.
Harry schloss endlich wieder die Augen.
Und diesmal träumte er zum ersten Mal seit Langem ganz ohne Albträume.

•••••••••••••••

Frohe Weihnachten und schöne Feiertage!

Why? || DrarryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt