Harry wünschte, er wäre noch in seinem ersten Hogwarstjahr. Im ersten Jahr hatten sie in Zauberkunst noch Zauber wie Wingardium Leviosa gelernt. Jetzt saß er in Professor Flitwicks Unterricht und hörte dem kleinen Mann zu, wie dieser darüber redete, wie man eine Alterslinie erschuf. Abgesehen davon, dass es deutlich schwieriger als Wingardium Leviosa oder Accio war, war es auch noch viel langweiliger.
»Harry?«, flüsterte Seamus, der neben ihm saß. Harry schaute ihn fragend an.
»Ron hat mir erzählt, warum du mit Ginny Schluss gemacht hast. Stimmt das?« Harry verdrehte die Augen. Eigentlich hatte er nicht gewollt, dass Ron seine Homosexualität weiter erzählt. Aber es war ja Seamus, das ging ja noch.
»Was meinst du?«, fragte Harry, obwohl er genau wusste, was sein Sitznachbar meinte.
»Ron hat gesagt, dass du schwul bist.«
Harry seufzte. »Ja, das stimmt.«
»Echt jetzt?« Seamus war laut geworden. »Heißt das, du bist jetzt-«
»Mister Finnigan!«, unterbrach Professor Flitwick ihn. »Dürfte ich Sie bitten, stillzuschweigen und meinem Unterricht zu folgen?«
»Tut mir leid, Professor.«, sagte Seamus und man sah ihm an, dass es ihm überhaupt nicht leid tat. Flitwick redete weiter über die Alterslinie und Seamus wandte sich wieder Harry zu.
»Und das ist wirklich wahr?«, fragte er ihn.
»Ja«, versicherte Harry ihm. »Glaubst du, ich würde mir sowas zum Spaß ausdenken?«
»Nein, das nicht, aber ich meine...naja, ist ja schon ein bisschen verrückt. Also das soll nicht böse sein, Harry, aber nach Cho und Ginny...«
»Ich weiß, aber es ist halt trotzdem so« Harry hatte auch schon darüber nachgedacht, wieso die Klarheit über seine Sexualität erst jetzt eingesetzt hatte. Er kannte die Antwort nicht.
»Ich finde es einfach ein bisschen komisch. Also damit will ich jetzt nicht sagen, dass du jetzt anders bist, Harry. Ich bin nicht homophob. Aber darf ich dir noch eine Frage stellen?«
»Klar«, sagte Harry halbherzig. Er war nicht besonders scharf darauf, mit Seamus über sein Liebesleben im Zauberkunst-Unterricht zu reden.
»Findest du es schlimm? Schwul zu sein?«, fragte Seamus und Harry bemerkte - auch wenn er das nicht wirklich verstehen konnte -, dass es Seamus wirklich interessierte.
»Nein«, tat Harry die Frage ab. Es stimmte. Es störte ihn nicht. Er hatte sich damit abgefunden. Und Harry hatte sich nicht nur damit abgefunden, er mochte es. Auch wenn er noch keine Hoffnung hatte, Jemanden zu finden.
»Ich finde es trotzdem total verrückt, dass du schwul-«
Harry wusste, dass es zu laut gewesen war. Seamus wusste es. Er hatte zu laut geredet. Und ›schwul‹ war eines dieser Wörter, das niemand überhörte - und zusätzlich hatte Seamus es laut genug gesagt, dass alle Anwesenden, Professor Flitwick eingeschlossen, sich zu ihnen gewandt hatten. Sofort starteten die Tuscheleien. Harry seufzte innerlich. Er hatte die Nachricht erst später publik machen wollen. Jetzt würde es sich verbreiten wie ein Lauffeuer. Zu spät. Jetzt war es zu spät.
»Ups«, sagte Seamus. »Tut mir echt leid, Harry«
»Schon okay«, nickte Harry und versuchte, nicht in das interessierte Gesicht von Professor Flitwick zu schauen. Er sah zu Hermine. Wie alle anderen auch, schaute sie natürlich auch erstaunt zu Harry, auch wenn sie die Nachricht schon gekannt hatte. Wahrscheinlich war sie überrascht, dass Seamus das einfach so gewissenslos ausplapperte. Harry wandte seinen Blick zu Ron.
»Dumm gelaufen«, formte dieser mit den Lippen. Harry nickte.
»Schlimm?«, fragte Ron lautlos. Jetzt schüttelte Harry den Kopf.
»Schon okay«, gab er Ron die gleiche Antwort wie Seamus. Harry dröhnte der Kopf. Noch heute morgen hatte ihn das Gerede über Ginny und ihn gestört. Und jetzt würde es noch viel schlimmer werden. Dass ein bekanntes Paar - Ginny Weasley und Harry Potter - sich trennte, war schon aufregend für die Leute. Was passierte, wenn jetzt auch noch bekannt wurde, dass er schwul war?Als die Stunde vorbei war, schand Harry extra Zeit. Er packte sein Buch und seine Feder wahnsinnig langsam ein. Seamus neben ihm war still, Harry merkte ihm an, dass es ihm leid tat. Ron und Hermine traten neben ihn.
»Es wird sich wahnsinnig schnell verbreiten. Jetzt ist es raus.«, sagte Hermine. Harry nickte und entschied, dass es nichts brachte, extra langsam zu sein.
Sobald er den Raum verließ, begriff er, dass er die Schnelligkeit der Leute unterschätzt hatte, wenn sie eine sensationelle Nachricht verbreiten wollten. In jedem Gesicht, in das er sah, entdeckte er die Neugier über das, was sich gerade verbreitete. Über die Nachricht, die keiner glauben konnte.
Demonstrativ schaute Harry zu Boden, um nicht in die wenigen Gesichter blicken zu müssen, die Abscheu, Ekel und Verachtung zeigten. Es stach ein wenig, aber er versuchte sich einzureden, dass es ihm nichts ausmachte.
Ohne auf Ron und Hermine zu achten, kämpfte er sich durch die Schülermassen und die Gespräche, die sich alle um ihn zu drehen schienen. Es war als hätte es die Trennung von ihm und Ginny nie gegeben. Niemand interessierte sich mehr dafür, spielte ja jetzt keine Rolle mehr. Kurz überlegte er, ob er versuchen sollte, worüber er schon öfter nachgedacht hatte. Wenn es klappen würde, käme es ihm jetzt gelegen. Der Raum der Wünsche. Er wusste genauso wenig wie Hermine und alle anderen, die er gefragt hatte, ob der Raum der Wünsche nach dem Dämonenfeuer jetzt immer noch funktionierte. Schnell legte er die Überlegung wieder ab. Das hatte keinen Sinn. Die Schüler waren so fixiert auf ihn, dass ihm sicherlich einige folgen würden. Selbst wenn der Raum der Wünsche auftauchen würde, würde er ihn nicht nutzen, wenn andere dabei waren. Das hatte keinen Sinn. Also ging Harry einfach weiter, ohne darauf zu achten, wo genau er hinging.Als Draco von der Nachricht hörte, hätte er weinen können. Vor Freude. Er hatte sich eingestanden, dass er sich in Harry verliebt hatte und die Tatsache, dass dieser auch schwul war, brachte ihn Draco einen Schritt näher. Auch wenn er sich bewusst war, dass Harry natürlich trotzdem nichts von ihm wollen würde, weil er ihn immer noch hasste, konnte er sich nicht damit beschäftigen. Denn der Teil in ihm, der jegliche Realität abgelegt hatte, sagte Draco, dass Harrys Homosexualität quasi mit einer Hochzeit gleichzusetzen ist. Mit der Hochzeit von Draco und Harry.
Kurz kniff Draco sich selbst in die Seite, um sein Wunschdenken zu stoppen. Wenn er realistisch dachte, änderte die Homosexualität Harrys gar nichts. Harry hasste ihn. Und trotzdem. Das eigene Herz dachte nicht immer vernunftmäßig. Mit dieser Nachricht war in Draco eine Hoffnung aufgeblüht, die sich nicht einfach wieder ersticken lassen würde. Er spürte sie warm an seinem Herzen, wie als wäre es schon immer ein Teil von ihm gewesen.
»Ich wusste schon immer, dass mit Potter irgendwas nicht stimmt. Ist ja ekelhaft! Aber passt zu ihm, diesem Möchtegern-Helden.«, unterbrach Pansy seine Gedanken. Draco musste sich stark zügeln, um sie nicht anzuschreien. Natürlich hatte er niemandem erzählt, dass er sich in Harry verliebt hatte und er wollte auch, dass das weiterhin niemand erfuhr. Und wenn er Harry jetzt in Schutz nehmen würde, weil er schwul war, könnte er auch gleich einen Liebesbrief an ihn veröffentlichen. Aber er konnte nicht unterdrücken, Pansy wütend anzufunkeln.
Er saß am Slytherintisch in der großen Halle. Es war mittags und Draco hatte einen Teller mit Bratkartoffeln und Gemüse vor sich stehen. Die Halle summte von den ganzen Gesprächen, die alle das selbe Thema beinhalteten. Es schien, als würden sogar die Lehrer sich an ihrem erhöhten Tisch sich über das Outing Harry Potters unterhalten.
Draco hatte schon mehrere Versionen gehört, wie das Outing angeblich abgelaufen sein sollte. Er hatte beispielsweise gehört, dass jemand in Flitwicks Unterricht eine anstößige, indirekte Bemerkung gegen Homosexualität gemacht, was Harry dann in wütend gemacht hatte und ihn sich dann quasi unfreiwillig outen lassen hat. Pansy hatte ihm erzählt, sie hätte gehört, dass Harry Weasley damit beauftragt hatte, seine Homosexualität publik zu machen und Weasley hatte sich dann mitten im Unterricht auf seinen Stuhl gestellt und ›Harry Potter ist schwul‹ gesagt hatte. Das hatten alle Versionen des Outings gemeinsam: Harry hatte sich nicht selbst geoutet. Draco wusste nicht, was er glauben sollte, weil die Geschichten immer unwahrscheinlicher wurden. Fest stand, dass es die Wahrheit war. Harry Potter war schwul. Und das war der Grund für Dracos überschwängliche Freude. Das Glück in seinem Herzen und die Hoffnung daneben.
»Es kam einfach irgendwie unerwartet«, sagte Theodore, der neben ihm saß und sonst eher still war. Draco schaute allein wegen der Tatsache, dass Theodore mal den Mund aufmachte, auf. Es wunderte ihn, dass Theodore sich nicht negativ oder verächtlich gegenüber Harrys Homosexualität äußerte. ›Es kam einfach irgendwie unerwartet‹ war zwar nicht gerade ein Tribut an die Toleranz, aber es war auch keine Erniedrigung.
»Hat dir die Nachricht so sehr den Appetit verdorben, Draco?«, säuselte Pansy und Draco entging der unterwürfige Unterton in ihrer Stimme nicht. Sie schmiss sich so sehr an ihn ran, dass es manchmal schon fast Belästigung war. Ihre Flirts waren selbstsicher, weil sie sich sicher war, dass sie Draco schon längst für sich gewonnen hatte. Nur stimmte das nicht. Er war angewidert von ihr.
Langsam hob er seinen Blick und mied es dabei, Pansy - die ihm gegenüber saß - anzusehen. Er musste nicht suchen, was er sehen wollte. An diesem Tag war Harry Potter ein beliebtes Ziel der Blicke der Schüler und so leiteten sie auch Dracos Blick zu ihm. Er saß am Gryffindortisch, stocherte in ein wenig Reis herum und war still. Sein Gesicht verriet nichts. Er saß zwischen Granger und Weasley, die sich beide pausenlos in der Großen Halle umsahen und gleichzeitig auf Harry einredeten. Draco wäre gerne zu ihm rüber gegangen, hätte sich neben ihn gesetzt und ihm gesagt, dass er ihn verstehen konnte. Obwohl, das war gelogen. Wenn er rüber gehen würde, würde er Harry in den Arm nehmen und in küssen wollen. Und er würde ihn nie wieder loslassen.
In diesem Moment stand Harry auf. Durch die Halle zog sich ein Raunen und das Tuscheln wurde noch lauter. Es war, als wäre er der erste Mensch, den sie je gesehen hätten.
Draco fasste seinen Entschluss ohne darüber nachzudenken. Er erhob sich und lief Harry hinterher.
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Why? || Drarry
FanficNachdem der Krieg vorbei ist, liegt es für Harry auf der Hand, nach Hogwarts zurückzukehren und sein 7. Schuljahr nachzuholen. Begleitet wird er natürlich von seinen Freunden. Aber auch Draco Malfoy will sein letztes Schuljahr abschließen und nicht...