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Harry sah, wie Dracos Gesichtsausdruck immer entsetzter wurde. Dann ging der Blonde stumm zum zweiten Brief über und nach einem kurzen Moment lief ihm eine Träne über die Wange. Draco strich sie flüchtig weg.
»Draco?«, fragte Harry vorsichtig. Der Gefragte hielt ihm wortlos die Briefe entgegen. Harry nahm sie entgegen und entschied sich wie Draco zuerst für den Brief von Lucius Malfoy.
Nach den ersten drei Sätzen überflog er den Brief nur noch. Und trotzdem konnte er alles auffassen. Er bekam mit, für wie falsch und erbärmlich Lucius Dracos Verhalten hielt. Er bekam mit, wie sehr er seinen Sohn dafür hasste. Er bekam auch mit, dass Lucius viele Drohungen machte. Und Harry bekam mit, wie sehr er selbst zu Draco stehen wollte, wie wichtig Draco ihm war.
Narzissas Brief war kurz und beinahe rührend. Harry wusste zwar nicht genau, wieso sie sich nur für so wenige Worte entschieden hatte, aber vielleicht wollte sie zeigen, dass es ein schlichtes Thema war. Es gab für sie kein Aber. Sie hatte eine eindeutige Meinung: Toleranz. Und Liebe.
Und Harry waren die Tränenflecken aufgefallen, die das Blatt zierten.
Er senkte die Briefe, nachdem er sie durchgelesen hatte und trat einen Schritt auf Draco zu, der körperlich fast ausdruckslos dastand. Nur seine Augen zeigten, dass ihn die Worte seines Vaters verletzt hatten, auch wenn er das nicht wollte. Harry faltete die Briefe und steckte sie in Dracos Umhangtaschen. Dann nahm er ihn in den Arm.
»Liebe Grüße von meiner Mutter«, murmelte Draco leise in Harrys Halsbeuge.
»Danke«, antwortete Harry. Natürlich hatte er die Worte nicht überlesen. Und er freute sich darüber. Das Einzige, weswegen er sich wirklich Sorgen machte, war Lucius' Aussage, dass er Draco verbieten wollte, mit zu Dromeda und Teddy zu kommen. Kurz stieg Wut in ihm auf, aber er zwang sich, sie zu unterdrücken. Wut konnte er jetzt nicht gebrauchen. Wut konnte Draco jetzt nicht gebrauchen, nicht noch mehr.
»Wir müssen mit Professor McGonagall reden.«, sagte Harry ohne Umschweife, versuchte aber, weiterhin sanft zu reden. Draco nickte und löste sich aus Harrys Armen. Der Slytherin griff sofort wieder nach der Hand des Anderen.
»Draco, du wirst mitkommen. Mach dir keine Sorgen.«, redete Harry auf ihn ein. Er wollte wirklich nicht, dass Draco sich Sorgen machte - auch wenn Harry selbst das tat.
Draco nickte, aber Harry wusste auch, dass ihn das nicht überzeugt hatte.
»Hey, Draco, sieh es doch mal so: Narzissa kann sich für dich freuen. Sie hat geschrieben, dass sie dich liebt. Und ich weiß, dass sie das wirklich von ganzem Herzen tut, denn ich habe sie in Sorge um dich erlebt. Aus Liebe zu dir hat sie mein Leben gerettet und jetzt akzeptiert sie es an deiner Seite. Weil sie möchte, dass du glücklich bist. Und sie hat dir gesagt, dass du nicht auf deinen Vater hören sollst. Sie würde nicht wollen, dass du jetzt wegen ihm traurig bist.« Er strich zärtlich mit seinem Daumen über Dracos Handrücken und dieser begann immerhin schon mal leicht zu lächeln.
Unterbewusst wurde Harry im Laufen immer schneller. Aber Draco passte sich an seine Schritte an, weswegen das kein Problem war.
Als sie das Schloss wieder betraten, liefen sie sofort zu einer der Treppen. Harry glaubte nicht daran, aber trotzdem hoffte er, dass der Brief des Verbots McGonagall noch nicht erreicht hatte. Und er war sich ziemlich sicher, dass Draco das gleiche hoffte.
Vor der Bürotür blieben sie dann stehen. Harry sah Draco fragend an. Aber der nickte einfach und klopfte an die Tür. Sie wurde im selben Moment von innen geöffnet und eine überrascht aussehende Professor McGonagall stand ihnen direkt gegenüber. Dann glätteten sich ihre Gesichtszüge wieder und sie drehte sich um und kehrte zu ihrem Schreibtisch zurück.
»Genau Sie beide habe ich gesucht.« Harrys Hoffnung, sie könnten schneller als der Brief sein, platzte.

Sie setzten sich hin und Draco versuchte, nicht zu zeigen, wie unsicher er war.
»Ich schätze, Sie sind aus dem selben Grund hier, aus dem ich Sie suchen wollte?«, fragte McGonagall und sie nickten gleichzeitig.
»Gut, dann können Sie sich das gerne ansehen.« Sie schob ihnen über den Tisch einen Zettel entgegen. Draco nahm ihn und hätte ihn beim Anblick der Schrift seines Vaters am liebsten wieder weggelegt.

Minerva,
mein Sohn wird nicht mit zu Andromeda Tonks und ihrem Enkel gehen - vor allem nicht in der Begleitung Harry Potters. Ich untersage ihm diesen Ausflug.
L. Malfoy

Draco seufzte und gab Harry den Brief. Auch seine Augen flogen über die Worte und dann legte er den Zettel entschlossen wieder auf den Tisch.
»Wie kam es dazu, dass Ihr Vater davon weiß?«, fragte die Schulleiterin an Draco gewandt.
»Ich habe ihnen geschrieben. Eigentlich ging es um Harry und mich, aber ich habe das Wochenende kurz erwähnt.«
»Das war unnötig. Sie wussten doch sicher, dass Ihr Vater nicht damit einverstanden sein würde. Wieso haben Sie das geschrieben?« Draco sah auf seine Hände.
»Es war eine Genugtuung. Ich wollte, dass sie sehen, dass mir egal ist, was sie denken.«, gab Draco zu.
»Das war sehr naiv von Ihnen, Malfoy. Aber jetzt können wir es nicht mehr ändern.«
»Professor, Draco kommt mit!«, mischte Harry sich jetzt ein. »Dromeda hat ihr Einverständnis gegeben.«
»Andromeda ist Dracos Tante, Lucius sein Vater. Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber da ist ein Autoritätsunterschied. Und glauben Sie mir, ich freue mich nicht über dieses Verbot.«
»Ich bin achtzehn. Ich bin längst volljährig. Ist das nicht meine Entscheidung?«, fragte Draco und zwang sich, sehr entschlossen dabei auszusehen.
»Sie sind zwar volljährig, aber an dieser Schule sind Sie in Auftrag und Absicht Ihrer Eltern. Und da diese Reise im Rahmen von Hogwarts geschieht, sind Ihre Eltern miteinbezogen.«
Draco senkte niedergeschlagen den Kopf. Es war nicht nur traurig, dass er nicht mitdurfte, obwohl er sich so auf dieses Wochenende gefreut hatte, es war auch ärgerlich, dass sein Vater mit der Sache durchkam. Es war wie eine Niederlage für Draco. Nur konnte er nichts dagegen tun. Das was er nicht gewollt hatte. Abhängigkeit - am wenigstens die Abhängigkeit von seinem Vater.
»Minerva, er wird gehen.«, sagte plötzlich eine ruhige Stimme über ihnen. Draco hob den Kopf und sah in Dumbledores lächelndes, gemaltes Gesicht.
»Draco wird mitgehen.«, wiederholte der alte Zauberer. McGonagall, die nicht allzu überrascht über die Anwesenheit des ehemaligen Schulleiters schien, schüttelte matt den Kopf.
»Albus, ich würde ihn so gerne gehen lassen. Aber du kennst doch die Vorschriften so gut wie ich. Er steht unter der Berechtigung seiner Eltern.«
»Ja, und seine Eltern geben das Einverständnis für diese Reise.«
»Albus, Lucius hat es ihm verboten.«
»Und ist Lucius etwa sein einziger Erziehungsberechtigter?«
»Narzissa hat sich nicht dazu geäußert, Albus.«
»Oh doch«
Draco hörte, wie Harry neben ihm überrascht die Luft einsog.
»Wie meinen Sie das, Sir?«, fragte Draco und sah ihn hoffnungsvoll an.
»Mein lieber Junge, deine Mutter hat dir die ausdrückliche Erlaubnis gegeben. Wir haben einen Augenzeugen ihrer Bestätigung anwesend.«, lächelte Dumbledore. Jetzt sah sogar McGonagall verwundert aus.
»Albus, würdest du uns wohl in deine Taten einweihen?«, fragte sie und blickte ihn interessiert an.
»Aber selbstverständlich. In der letzten Nacht haben wir Porträts der ehemaligen Schulleiter ein anregendes Gespräch geführt. Phineas Nigellus«, Dumbledore sah zu dem Bild, in dem der spitzbärtige Zauberer ihnen aufmerksam zuhörte, »hat uns etwas Interessantes mitgeteilt. Wie ihr ja wisst, hat er ein weiteres Porträt im Haus der Blacks.«
»Und bei uns«, unterbrach Draco ihn. Dumbledore nickte.
»Ganz genau. Phineas hat auch ein Porträt im Haus der Malfoys, bei seiner Ururenkelin Narzissa. Selten ist er dort, meistens zur Entspannung. Und auch gestern hat er sich in dem Bild aufgehalten und etwas sehr Außergewöhnliches mitgehört. Er hat uns erzählt, wie ein Brief von Draco dessen Eltern in einen Streit gebracht hat. Und dass Lucius sich mehr als eindeutig gegen den Ausflug zu seiner Schwägerin ausgesprochen hatte. Ich konnte mir also denken, dass Lucius Draco verbieten würde, Harry zu begleiten. Und da ich der Überzeugung bin, dass dieser Ausflug für Draco sehr sinnvoll ist, habe ich Phineas gebeten, in das Anwesen von Dracos Eltern zurückzukehren und Narzissa darüber in Kenntnis zu setzen, was ihr Mann beabsichtigt. Auf meinen Wunsch hin, hat er ihr auch geraten, sofort eine Eule abzuschicken, die Minerva erlauben würde, Draco gehen zu lassen. Und das hat sie getan. Die Eule wird voraussichtlich erst heute Abend hier eintreffen, aber ich gebe euch allen mein Wort, dass sie Draco entlasten wird. Er wird gehen dürfen, und spätestens heute Abend wird Minerva auch die offizielle Erlaubnis in den Händen halten. An dieser Stelle würde ich mich gerne nochmal bei Phineas bedanken.« Draco befürchtete, dass ihm der Mund aufgeklappt war. Er wusste nicht ganz, ob er wirklich alles verstanden hatte. Hatte Dumbledore, als er von dem Streit von Dracos Eltern gehört hatte, Phineas Nigellus Black in deren Haus geschickt und Narzissa hatte Draco daraufhin in einem Brief, der erst am Abend ankommen würde, erlaubt, ihre Schwester und deren Enkel zu besuchen? War das so richtig?
Wenn ja, dann war Dumbledore ein Genie.
In dem Moment fiel Harry ihm von der Seite um den Hals. Die beiden Armlehnen zwischen ihnen schienen ihn nicht zu stören.
»Ich habe dir doch gesagt, dass du mitkommen wirst!«

Wenig später verließen sie beide lächelnd das Büro.
Draco mochte sich irren, aber er glaubte, in Dumbledores Augen eine innige Sehnsucht zu sehen, als dieser ihre verschränkten Hände betrachtete.

Why? || DrarryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt