6.Türchen

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"Ich bin wieder da!", rufe ich als ich die Tür aufschließe und ins Haus trete. Glücklicherweise hat Harry zugestimmt und auf dem Weg zu mir haben wir noch Leo abgeholt, damit er uns helfen kann. "Lola?", frage ich nach, da ich immer noch keine Antwort bekommen habe. Der laufende Fernseher ist allerdings schon Antwort genug auf das Schweigen meiner Schwester. Aber ich probiere es erneut:"Ich hab dir was mitgebracht, aber wenn du lieber fernsiehst dann halt nicht" Sofort hallen Lolas Schritte durch das Haus und sie trampelt in die Eingangshalle, um zu sehen, was beziehungsweise wer die Überraschung ist. "Leo!", ruft sie freudig aus und läuft auf ihren Schulfreund zu. Die beiden begrüßen sich freudig und erzählen sich wild gestikulierend von ihrem Tag. Ich schaue zu Harry, der wegen den beiden ein fettes, belustigtes Grinsen im Gesicht hat. Er fängt meinen Blick auf und wir schütteln grinsend den Kopf. "Maddie, darf ich Leo noch mein Zimmer zeigen bevor wir beginnen", fragt mich meine Schwester. "Ja klar, wir bereiten schon mal alles vor und rufen euch dann"
Erst als ich das Schließen der Tür meiner Schwester höre schaue ich zu Harry und mache eine einladende Geste. Er stellt seine Schuhe und seine Jacke ab und folgt mir in die Küche. "Ahm, ich lade den Einkauf nur aus und dann kannst du mir Helfen die Zutaten her zu richten", schlage ich vor. Mein Gegenüber nickt und erst dann wird mir klar, dass ich ihm bis jetzt noch nie ohne einer dicken Jacke, Schal und Haube begegnet bin. Das ist der erste Moment, in dem ich ihn richtig mustern könnte und das tue ich verdammt nochmal auch. 
Seine brauen Haare sind kurz und nach oben gegelt, Harrys grüne Augen strahlen Abenteuerlustig und er kaut momentan mit verschmitzten Lächeln auf seine vollen Unterlippe. Harry trägt ein hochgekrempeltes  langärmliges, graues Shirt, welches so eng ist, dass gut definierte Muskeln zum Vorschein bringt. Ich muss schlucken als ich auf seinem Unterarm ein Tattoo in der Form einer Gitarre erkenne, dass durch die hervorstehenden Adern am Arm noch besser zu Geltung kommt. Wow, es scheint so, als ab Harry gerne und vor allem viel  Sport treibt. Naja, mich stört es nicht. Auf einmal werde ich durch ein Schnipsen aus meinen unsittlichen Gedanken gerissen und zurück in die Gegenwart befördert. Oh verdammt, vielleicht hätte ich Harry ein wenig unauffälliger anschmachten sollen. Beschämt wende ich mich ab und studiere die Tiefen des Kühlschranks und er Speisekammer nach allen Notwendigkeiten. "Also ich glaube wir haben alles", stellt Harry fest und wir betrachten zufrieden unsere Ansammlung an Backutensilien. "Leo! Lola! Wir sind fertig!", schreie ich nach unseren Geschwistern, die sofort nach unten gestampft kommen. Ich lege noch eine Weihnachts-Cd ein und dann starten wir damit, den Teig herzustellen. Naja, im Endeffekt mache ich den Teig und die anderen schauen mir nur zu und versuchen heimlich etwas von dem Teig zu naschen. Sie haben bald bemerkt, dass das Ausstechen der Kekse und das Verzieren viel mehr Spaß macht als das tatsächliche Backen.
Da ich eine geübte und absolut famose Bäckerin bin, dauert er zum Glück nicht allzu lange, aber nun kommt der langweiligste Part: das Ruhen des Teiges.
Erst nach einer halben Stunde konnte ich  den beiden Kleinen klarmache, dass das auch wirklich nötig sei. Nachdem sie dies irgendwie akzeptiert haben, laufen sie schon wieder in das Zimmer von Lola und auch Harry und ich beschließen in mein Zimmer zu gehen. "Weißt du eigentlich, dass das Zimmer einer Person praktisch der Spiegel zu ihrer Seele ist?"fragt mich Harry neugierig und ich weiß nicht ob das eine ernst gemeinte Frage ist oder ob er mich damit nur nervös machen möchte. "Wenn du mit dieser Frage bewirken möchtest, dass ich nervös werde, dann muss ich dich leider enttäuschen, da ich nichts zi befürchten habe", erwidere ich gespielt selbstbewusst.
"Okay na dann herzlich Willkommen zum Spiegel meiner Seele", scherze ich als ich die Zimmertür öffne, Harry die Augen verdreht und wir schließlich eintreten. Das erste was Harry scheinbar ins Auge springt ist mein Bücherregal, welches prall gefüllt ist. Davor bleibt er erst mal eine Weile stehen und studiert die Auswahl. "Wow, du hast da ja echt alles dabei!", ruft er erstaunt aus und fährt andächtig über die Buchrücken. Bei irgendeinem Buch bleibt er stehen, hält inne und zieht es heraus. Dann hebt er seinen Kopf und schaut mich ungläubig an. "Du liest Christopher Poindexter?", fragt er mich, worauf ich ihm die prompte Gegenfrage "Du kennst Christopher Poindexter?" stelle. Wir müssen beide Lachen und er deutet mir zuerst zu sprechen. "Ja ich meine er hat die wohl besten Gedichte der Welt meiner Meinung nach. Die Emotionen die er transportiert sind heftiger als es ein 600 seitiges Buch oft rüber bringen könnte. Unglaublich berührend", erkläre ich begeistert. Ich kann immer noch nicht fassen, dass Harry meinen Lieblingsdichter kennt. Niemand, den ich kenne, weiß wer das ist! "Natürlich kenne ich ihn. Es wäre eine Schande, wenn man es nicht tun würde. Wie du schon  gesagt hast: Die Gefühle die seine kurzen Texte vermitteln sind überwältigend. Normalerweise stehe ich nicht so auf Poesie, aber Christopher flasht mich jedes mal aufs Neue. Seine Gedichte sind auch eine tolle Inspiration für Fotos für mich", gesteht er und ich bin sprachlos. "Wow", bringe ich nach langer Zeit des Anstarrens tonlos  hervor "Das ist echt verdammt verrückt" "Ja, das ist es. Aber ich finds irgendwie richtig cool", grinst Harry und fragt mich interessiert, was mein Lieblingszitat sei. "Puh,das ist echt schwer. Aber ich finde "But at the end we were all just humans; drunk on the idea that love- and only love- could heal our brokeness" ziemlich cool. Und du?" Er muss kurz überlegen und kommt mit einem Lächeln auf dem Gesicht zu einer Entscheidung. "Also mein  momentaner Favourite ist: I am the dark and i am the Light. I am the moon and i am the starless night Sky. Fall in love with all that I am or please; do not Fall in love with me at all"

Under the Mistletoe Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt