Kapitel 10

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Die Erinnerungen, die uns von manchen Menschen blieben, die wir einst gerne hatten, waren viel zu oft schmerzhaft. Das bedeutete nicht unbedingt, dass wir nur Schlechtes mit ihnen erlebt hatten, nein, es bedeutete eher, dass wir all das Gute nach ganz hinten schmissen, um sie hassen zu können. Wir wollten sie hassen, weil sie uns verlassen hatten und wir nicht einmal den Grund kannten. Ganz plötzlich waren sie einfach weg, ohne ein Wort, ohne eine Verabschiedung. Alles was uns blieb waren die Narben, die sie uns zugefügt hatten, damit wir sie ja nicht vergaßen. Denn auch wenn sie es vielleicht nicht so wollten, hatte der Schmerz dieses Verlustes doch zu tief in unsere Haut geschnitten und konnte nie vollkommen heilen. Die Narben blieben, egal wie viel Zeit vergangen sein mag. Sie würden nie ganz verschwunden sein.

Ich traute mich nicht. Ich traute mich nicht, meinen Dad nach Grace zu fragen. Mir war zwar klar, dass ein Gespräch mit ihm nicht viel helfen würde, da er sie nie kennenlernen konnte. Und doch war ich zu neugierig. Es konnte doch sein, dass sie ihm irgendetwas hinterlassen hatte oder dass er etwas über seine Mutter wusste. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Dad nie nach ihr gefragt hatte. Sein Dad, mein Grandpa, hatte Grace schließlich gekannt und er musste ihm etwas über sie erzählt haben. Aus Grace' Tagebuch wusste ich, dass sie meinen menschlichen Grandpa wohl geliebt hatte und dass mein Dad ein Geschenk für sie war, dass sie nie ganz auspacken konnte. Sie hatte ihn zu meinem Grandpa gegeben, damit er unter den Menschen friedlich aufwachsen konnte, ohne seine Mutter. Mein Dad hatte das Gen nicht. Er war nicht einmal ein Halbblut. Er hatte keine Ahnung.
Und doch zählte jede Einzelheit, die uns zu meiner Grandma führen konnte. Wir mussten den Dreizack finden und wussten nicht, wie wir es anstellen sollten. Wir brauchten meine Grandma, die ganz sicher mehr darüber wusste. Doch wo war sie?

"Er weiß ganz bestimmt nichts. Woher denn auch? Er kannte sie nicht", ich wusste selbst, dass ich versuchte, mich vor einem Gespräch zu drücken. Gavin wusste es auch.

"Du schaffst das schon, May! Dein Vater wird diese Frage verstehen. Schließlich denkt er auch, du würdest sie nicht kennen. Er wird es für verständlich halten, dass du etwas über deine Großmutter wissen willst", entgegnete er und schob mich von hinten etwas an, da ich meinen Schritt immer weiter verlangsamt hatte. Klar, das war eine lahme Methode, um Zeit zu schinden. Das wusste ich. Trotzdem marschierten wir weiter den Weg vom Strand zu meinem Haus entlang, nachdem wir kurzentschlossen Finfolkaheem verlassen hatten, um endlich mit der Suche zu beginnen.

"Können wir nicht irgendwelche Bücher durchsuchen?", hakte ich nochmal unsicher nach, doch Gavin schüttelte mit seinem Kopf.

"Da werden wir nie etwas finden und außerdem dauert das viel zu lange. Wir haben keine Zeit, May", Gavin griff nach meiner kalten Hand und rieb sie zwischen seinen beiden Händen wieder warm. Doch nicht nur meine Hände froren. Wir hatten nämlich keine Klamotten, außer meinem rosanen Spitzen-BH und zwei geklauten Handtüchern. Das war eindeutig ein großer Nachteil von der Flosse. War sie weg, war auch alles andere weg, was einst dort gewesen war. Vor Gavin war es mir in keiner Weise peinlich, aber bei meinen Eltern wäre ich am liebsten nicht so aufgetaucht. Sie machten sich ohnehin schon zu viele Sorgen. Erst durften sie mich im Krankenhaus besuchen, weil ich fast ertrunken war, kurz darauf verschwand ich für einige Tage spurlos und nun sah ich so aus, als hätte jemand all meine Klamotten geklaut oder ich hätte gewisse Dinge mit Gavin getan und wurde währenddessen beklaut. Gavin hatte schließlich auch nichts an, außer dem Handtuch. Ungewollt schoss mir ein Gedanke durch den Kopf. Gavin war mit seiner Flosse aufgewachsen, ein Finman tauschte sie eigentlich nie gegen Beine ein und sein Volk hatte vom Küssen auch noch nichts gehört. Wusste er überhaupt, was Sex war? Wusste er, dass Menschen es taten und wie sie es taten? Wie pflanzte sich dieses Volk überhaupt fort?
Rasch schüttelte ich mit meinem Kopf. Was hatte ich denn für Gedanken? Zur Zeit waren unsere Probleme wirklich größer als die Frage, ob ein Finman gewisse Bespaßung kannte und tat oder nicht. Augenblicklich spürte ich, wie das Blut mir in den Kopf schoss.

"Alles in Ordnung?", vernahm ich Gavins Stimme hinter mir.

"Ja klar! Ich war nur etwas in Gedanken versunken", ich drehte mich kurz zu ihm um, schenkte ihm ein Lächeln und atmete einmal tief ein. Gavin würde mich für irre erklären. Doch er schwieg und gab sich anscheinend mit meiner Erklärung zufrieden.

Vor uns kam mein Zuhause zum Vorschein. Es offenbarte eine komplett andere Welt als die, in die ich hineinzugehören schien. Finfolkaheem war Gavins Heim, das Heim meiner Art. Nur stand ich zwischen zwei Türen. Die eine führte nach Finfolkaheem und die andere nach Kirkwall, zu meiner Familie. Der kleine Flur, in dem ich mich befand, war beengt und unentschlossen, ich war unentschlossen, hin und her gerissen. Ich war nicht einfach eine Finwife, ebenso wenig wie ich ein Mensch war. Ich war beides. Aber wo gehörte ich denn nun hin? Das war wohl mein persönlicher Konflikt. Vielleicht konnte Grandma mir auch dabei helfen, mich selbst zu finden. Aber auch meine Identitätskrise musste ich nach ganz hinten schieben, denn den Dreizack zu finden war wichtiger.
Mit diesem Gedanken drückte ich die Klingel und wartete zusammen mit Gavin, dass jemand die Tür öffnete.

"Ach du scheisse! Wie siehst du denn aus?", Scott hatte die Tür weit aufgerissen und betrachtete uns verwirrt. Seine Augenbrauen hatte er weit zusammengezogen und seine Hand umklammerte immer noch den Türgriff. Er machte keine Anstalten, uns ins Haus zu lassen. Gut, dass auch ich hier wohnte.

"Scott, lass uns einfach rein und sag nichts!", ich streckte meine Hände nach ihm aus und schob ihm zur Seite, sodass Gavin und ich ins Haus treten konnten, "Ist Dad schon da?"

"Der müsste bald kommen. Er hat angerufen, dass er länger arbeitet", antwortete Scott und warf die Tür zu. Dann hatten Gavin und ich also noch genug Zeit, um uns schnell Sachen anzuziehen und meine Eltern würden uns nicht so sehen.

"Ihr seht so aus, als würdet ihr frieren. Soll ich euch Kaffee machen?", fragte mein kleiner Bruder und ich war überrascht, dass er so fürsorglich sein konnte. Also nickte ich nur, packte Gavin bei der Hand und zog ihn die Treppen hoch.

"Ich gebe dir ein paar Klamotten von Scott. Das wird ihn schon nicht stören", ich riss seinen Kleiderschrank auf, griff nach einigen Joggingsachen und reichte sie Gavin. Der lächelte mich an und beäugte dann die Klamotten. Er legte seine Stirn in Falten.

"Sind die nicht ein wenig zu klein?", Gavin sah mich an und zog eine Augenbraue hoch. Ich lächelte ihn nur an und verschwand dann in meinem Zimmer. Sollten die Sachen doch etwas enger sitzen, mich störte es nicht.
Aus meinem eigenen Schrank zog ich eine Jogginghose und einen dicken Pulli, den ich mir einfach rasch über den Kopf zog und anschließend nach unten rannte, wo ich schon den herrlichen Duft von Kaffee roch. Ich ließ mich auf einen der Barhocker an der Kücheninsel fallen und grinste Scott an, der Kaffee in eine zweite Tasse kippte. Als er mich bemerkte, streckte er die Hand nach meiner Tasse aus, die am anderen Ende der Insel stand, um sie zu mir zu schieben. Noch bevor er die Tasse überhaupt berührt hatte, rutschte sie seiner Hand davon und direkt auf meinen Pulli. Der Kaffee breitete sich langsam auf dem dicken Stoff aus, doch das realisierte ich gar nicht richtig. Ich starrte meinen Bruder an, hörte Gavin, der die Treppe hinunter kam und hatte eine schlimme Ahnung.
Wie konnte Scott die Tasse bewegen? So hatte es auch bei mir angefangen.


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Hi ihr Lieben,
ich hoffe sehr, ihr hattet ein schönes Weihnachtsfest und schickt heute Nacht viele Raketen in den Himmel. Das Jahr 2016 ist vorbei und das wird heute gefeiert!
Habt ihr schon irgendwelche Vorsätze oder haltet ihr das persönlich für völligen Quatsch? Ich meine, hey, wer hat sich schon jemals an seine Vorsätze gehalten? Mehr Sport, gesünder ernähren, mehr für die Schule lernen... Es gibt echt viel zu verbessern, aber irgendwie kann auch ich mich nie daran halten. Wer will denn schon lernen, wenn es so viele bessere Dinge zu tun gibt? Ich kann euch verstehen. Ich will das auch nicht!
Trotzdem wünsche ich euch allen heute eine tolle Party und nehmt euch Vorsätze! Sei es nur, um sie nicht einzuhalten. Ihr seid sowieso nicht die einzigen, die sie nicht einhalten. In jedem steckt doch ein Rebell.
Liebe Grüße, birded♥

The Search for the TridentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt