Bad Reputation ♫

109 6 6
                                    

Meine Faust begrüßte sein Gesicht. Geschickt gab ich ihm einen Schubs, sodass er nun langsam aber sicher nach hinten taumelte. Er konnte sich gerade noch auf den Beinen halten, was ich jedoch verhindern wollte. Er würgte und schnappte verzweifelt nach Luft als ich ihn an seinen Shirt festhielt und gegen die harte Wand drückte. Ich war erbarmungslos, keine Frage. Ich sollte doch meinen Gefühlen freien Lauf lassen? Das tue ich gerade. Mit zwei gezielten Faustschlägen verlor er sein Bewusstsein - Mein Stichwort ne Fliege zu machen. Nicht bevor ich ihm seine Uhr auszog, es war schon routinemäßig geworden, dass ich meinen Opfern etwas stahl, nachdem sie ohnmächtig wurden. Sein dreckiges Blut schmierte ich mir an seiner Jacke ab, fuhr mir meine Hand durch mein Haar, erhaschte einen kurzen Blick in meinem Außenspiegel und war zufrieden. Ich sah anständig aus, dafür dass ich vor weniger als einer Sekunde, jemandem zur Ohnmacht verholfen hatte. Nun machte ich mich auf dem Weg nach Hause. Auf dem Weg zur Vorzeigefamilie Adams. Adoptivfamilie. Ob ihr es glaubt oder nicht, ich war ungewollt, dabei war ich doch so ein zuckersüßes Baby. Sarkasmus ist mein bester und auch einziger Freund. Meine sogenannte 'Familie' möchte mich zu einem besseren Menschen erziehen, aber darin sehe ich keinen Sinn. Ich bin sowie ich bin. Man kann mich nicht ändern. Außerdem, wo bleibt mir dann der Spaß? Mit einem schelmischen Grinsen hackte ich mein Opfer auf meiner Liste ab, gekennzeichnet durch ein Kreuz und einer Uhr. Den Namen kannte ich nicht. Ich suchte mir meine Opfer in Abhängigkeit meiner momentanen Stimmung aus, würde ich mal sagen. Obwohl ich nie in bester Laune bin, wen interessiert's?

Zuhause angekommen parkte ich mein Auto in die Einfahrt. Das wirklich Gute an meiner Pflegefamilie ist, dass sie wohlhabend sind. Mir fehlte es an materiellen Dingen nicht, sie hatten auch keine andere Wahl als mir alles zu geben was ich wollte. Sie hatten Mitleid, weil meine Erzeuger mich nie wollten und schon von Geburt an in ein Heim schickten. Scheiß drauf. Juckt mich nicht. Bin zufrieden mit meinem Leben.

Gerade als ich ins Foyer kam, stand Anabelle mit gekreuzten Armen und einen enttäuschten Blick vor mir. "Dein Vater und ich müssen mit dir reden." "Was wollt ihr schon wieder? Und er ist nicht mein Dad." Ich ging mit ihr ins Wohnzimmer und setzte mich gegenüber von Paul, meinen Pflegevater. Sein Blick verriet mir, dass er genauso enttäuscht war, dennoch konnte ich auch Wut darin erkennen. Sind uns wohl doch nicht so verschieden, huh? Er starrte mich an, ein Blickduell entstand, bis er seinen Mund öffnete, ihn wieder schloss und letztendlich öffnete. Der große Mann hat was zu sagen. Bin gespannt. "Das geht so nicht weiter. Du hinterlässt Spuren. Vorbestraft bist du schon, willst du in den Knast landen? Ich verstehe dich einfach nicht. Du hast noch dein ganzes verdammtes Leben vor dir. Rede mit mir!" "Und wenn. Dann seid ihr mich endlich los, dass wollt ihr doch. Euch juckt es einen Scheiß wenn der 'Troublemaker' weg ist, dann habt ihr doch euer altes wundervolles sorgenfreies Leben endlich wieder." "Das stimmt nicht, wir lieben dich sowie unseren eigenen Sohn, dass weißt du." mischte sich nun Anabelle ein. "Das ist euer Problem. Ich bin nicht euer Sohn. Werde ich nie sein, schon gar nicht werde ich so ein Spießer wie Seth sein." Seth war ihr biologischer Sohn. Und ein Loser. Glaubt mir. "Uns bleibt keine andere Möglichkeit, du wirst zu ihr gehen müssen. Mit ihr reden müssen, sie ist die einzige Hoffnung auf eine Veränderung." "Sie?! Das kann doch nicht euer Ernst sein! Ihr wollt mich zu einem tauben Mädchen schicken und denkt dass sie mein Leben im Griff bekommt? Sie kriegt doch nicht einmal ihr eigenes Leben auf die Reihe. Was denkt ihr warum sie das tut, heh? Sie möchte von ihren eigenen Probleme ablenken. Sie ist ein einziges Wrack." "Das ist sie nicht. Sie ist stärker als irgendjemand anderes in dieser Stadt. Sie hat soviel durchgemacht und dennoch interessiert sie sich für die Probleme anderer! Du wirst mit ihr reden! Oder landest bei deiner nächsten Vorstrafe in den Knast. Ich lasse nicht mehr meine Kontakte spielen. Entweder du machst was aus deinem Leben oder du kannst die rechtliche Zeit im Jugendknast verbringen. Das ist mein voller Ernst." Und wie immer dachte Paul er hätte das letzte Wort. Irrte sich aber sowas von. "Fickt euch, ihr könnt mich mal sowas von." und schon verließ ich das Haus, stieg in mein Auto und fuhr. Wohin wusste ich nicht. Ich fuhr einfach los. Ich hatte keine Angst vor dem Knast. Ich hatte überhaupt keine Angst. Ängste machen schwach, ich bin alles andere als schwach. Ich wusste, dass sie mich irgendwann aufgeben würden, ich wusste dass sie mich abgeben würden, genauso wie meine leiblichen Eltern. Niemand wollte mich, besser gesagt ich wollte niemanden. Aber ich wollte auch nicht in den Knast. Was ich wollte war frei zu sein. Die Gewalt die ich an anderen Menschen ausübte linderte meinen Schmerz tief in mir drinnen, wohingegen es ihn nicht für immer versiegelte. Indem ich anderen Leid zufügte, fühlte ich wie die Trümmer meiner Seele sich zu einem Ganzen vervollständigten.

Melody that seals the painWo Geschichten leben. Entdecke jetzt