Honest ♫

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"Hau ab Seth, du nervst." Seth möchte mit mir surfen gehen, ich bin aber nicht daran interessiert in irgendeiner Weise mit ihm zu interagieren, er kapiert es einfach nicht. "Komm schon, du brauchst mich auch nur zu fahren, mein Auto ist in der Werkstatt." Ihr denkt euch bestimmt, wir haben doch einen eigenen Strand, warum möchte er nicht dort surfen? Wie Seth nunmal ist, möchte er am öffentlichen Strand surfen und er versucht somit wahrscheinlich einige Mädchen zu beeindrucken. Was er nicht weiß, ist, dass die Mädels nie an ihn interessiert sind, sondern an sein Vermögen, besser gesagt, dass seiner Eltern. Er wird nie ne Freundin finden, die wirklich an ihn interessiert ist, die sich mehr um seinen Charakter - statt seinen Ruf schert, wenn er immerzu mit seinem Geld prallt. Armer Typ. Pech, nicht mein Problem.

Ich bejahte nach einer halben Stunde, nur damit er endlich seine Fresse hielt, von wegen wir wären doch Brüder, Brüder tun sich doch gegenseitig einen Gefallen. Scheiß auf die Brüderschaft. Ich habe keinen Bruder, weder einen biologischen noch einen freundschaftlichen.

Am Strand kann ich mir vielleicht mein nächstes Opfer suchen. Vielleicht einen Surfer? Ich zog mir ein sauberes Shirt an, nahm meine Schlüssel und wartete im Auto auf Seth, der gefüllte 8 Minuten später mit einem zu starken, schon stinkenden Perfürm in mein Auto springt, ich musste schmunzeln, mit dem Gedanken daran, wie er die Mädchen verscheuchen als für sich gewinnen wird. Er machte das Radio an und sang lauthals mit als das Lied 'In The Name Of Love' lief. Ich machte die Musik aus und sagte "Mein Auto, meine Musik". Schon lief einer meiner Lieblingslieder von John Bellion. Als er das Lied weniger später erkannte, sang er schon wieder mit. "Sing nicht, du verkackst das Lied nur."

"Ok, OK." sagte Seth und hebte abwehrend seine Hände, dennoch summte er mit. Idiot.

Wenig später waren wir angekommen. Seth sprang aus dem Auto und lief schon regelrecht. Okay, die Menschen hier hatten es nicht so mit einem 'Danke', gut zu wissen. Ich blieb noch ne Weile im Auto und beobachtete die Menschen ganz genau. Sie schienen alle sorgenfrei, da das Wetter mit ihrer Stimmung im Einklang stand. Alles primitive Menschen. Dieses erbärmliche Gefühl, Freude. Ugh, es widert mich an. Wut ist ein schönes Gefühl. Und das einzig ehrliche, wenn man mich fragt. Ich wurde schon ungeduldig und tippte mit meinen Finger auf mein Lenkrad. Man kann schon glatt sagen, ich wäre ein Süchtiger. Süchtig nach Gewalt. Ich stieg aus und sah mich weiter um, als mein Blick auf einer Jungengruppe fiel wusste ich, ich war fündig geworden. Wie ein Raubtier der seiner Beute entgegentretet. Sie können alle schuldig sein, um meiner Vermutung sicher zu gehen, beobachtete ich sie für einen Moment, bis ich jemanden sah, der sich von der Clique abwendete und Richtung Liegestühle ging, er fing an ein Mädchen anzumachen, jedenfalls versuchte er es. Als er einen Korb bekam, lies er nicht locker und ich wurde aufmerksamer. Das Mädchen konnte ich nur von Hinten sehen. Als er sie auf die Lippen zu küssen versuchte und es ohne ihren Willen sogar schaffte, reichte es mir. Ich rannte auf die beiden zu und schubste ihn von ihr weg.

Das kann doch nicht wahr sein. Melody. Ich schlug auf ihn ein, er wehrte sich jedoch, als ich für einen Moment abgelenkt war, schlug er mir voller Wucht ins Gesicht, ich spürte schon etwas metallschmeckendes an meiner Unterlippe. Das lies ich mir nicht gefallen, erst recht nicht von meinem Opfer, ich gab ihm einen Tritt gezielt in die Weichteile und lies durch meine Faust meine Wut präsentieren. Da seine Kollegen sich langsam annährerten, ließ ich ihn ohne ihm sein Bewusstsein zu nehmen, da liegen auf dem dreckigen Asphalt und an sein eigenes Blut ersticken. Ich nahm Melody, die heulend im Sand saß mit und zerrte sie in mein Auto. Dann fuhr ich los. "Sei nicht so geschockt, bedank dich lieber." Sie nahm meine Wörter nicht wahr, da sie nur gerade aus starrte. Ich blieb mit meinem Auto stehen und nahm ihr Gesicht in beide Hände, sodass sie ihre volle Aufmerksamkeit an mich richtete. Ihre Augen zeigten nichts als Trauer. Sie erwachte aus ihrer Trance und schaute mich lange an. Sie holte aufeinmal einen Block und einen Stift aus ihrer Tasche und fing an zu schreiben. Ich hoffe sie zerreisst den Zettel nicht wieder. Zu meinem Vorteil tat sie dass auch nicht, sie gab mir den Block und ich las. Ich fing an zu lachen. Das ist einfach nur witzig. Sie schrieb, dass der Typ ihren ersten Kuss gestohlen hat. Sie sah mich verwirrt an. Zeichnete ein Fragezeichen in die Luft. Ich lachte wieder. Ich konnte nicht mehr aufhören. Dann fing ich an zu reden "Sorry, tut mir echt leid haha, aber deshalb bist du so empört? Es war nur ein Kuss, den du nicht einmal erwidert hast. Es ist ja nicht so, dass er deine Jungfräulichkeit gestohlen hat, oder? Wegen so etwas zu weinen, finde ich einfach nur witzig und unnötig." Sie sah mich plötzlich wütend an und was als nächstes kam, hätte ich nie in meinen 17 Jahren erwartet. Sie klatschte mir ernsthaft eine. "Wow, das Goldmädchen hat was drauf, so hilflos wenn ein Typ sie beraubt oder anmacht und hier und jetzt? Wenn du nur von mir gerettet werden wolltest, dann hättest du das ruhig sagen können." Ich fing an zu schmunzeln. Sie öffnete ihren Mund, doch blieb stumm, schnallte sich ab und verließ das Auto - nicht bevor sie die Autotür zuknallte, das Mädchen hatte aber Mumm, sie bietete mir aufrichtig Paroli. Und dafür dass sie nichts hören kann, hat sie die Tür aber sehr hart zugeschlagen, so als würde sie wissen, dass es ein Geräusch von sich gibt. Ich stieg aus und lief ihr hinterher, wir waren 50 Meilen von der Stadt entfernt, sie könnte unmöglich nach Hause laufen. Ich legte meinen Arm auf ihre Schulter und sagte, sie solle einsteigen, sie schüttelte ihren Kopf und ich kann zwar keine Gebärdensprache, aber ich denke dass heißt definitiv Nein. Da ich nicht daran dachte, dass ich sie überreden konnte, nickte ich, tat so als würde ich ihren stummen Worten Verständnis geben. Als sie sich umdrehte, warf ich sie erbarmungslos über meine Schultern, da sie sich sowieso nicht wehren konnte, mich beleidigen oder gar schreien konnte, war das echt leicht. Ich setzte sie in mein Auto, schnallte sie an und sobald ich in mein Auto stieg, schloss ich es von innen ab. Ich erklärte ihr, dass ich sie nicht entführe, sondern nur nach Hause fahren würde. Sie beruhigte sich zwar etwas, aber dennoch blieb die Falte zwischen ihren Augenbrauen stehen. Sie sah konzentriert auf die Straße. Ich blickte immer wieder zu ihr, ich hatte nicht vor sie entwischen zu lassen, so hilflos sie ist, könnte sie sich nicht wehren. Ich hab ihr schon zweimal geholfen, ich könnte mir nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn ich nicht da gewesen wäre. Sie fing an etwas zu schreiben, sie hielt es mir hoch. "Warum tust du das?" Ich fragte verwirrt "Was?" Sie machte mir mit eine Handbewegung "Das Alles" deutlich. Ich sah weiter gerade aus auf die Straße, doch redete. "Warum bist du so naiv? Ich versteh nicht warum du einfach so herumlaufen kannst, unbeschützt, weißt du, die Welt ist grauenhaft, sie könnten sich an dich ranschleichen und du würdest nichts merken. Du könntest entführt werden, aber niemand würde dich schreien hören, da du wahrscheinlich nicht einmal weißt, wie man das tut. Du würdest das tun was man von dir verlangt, ohne Widerworte. Warum ich das alles tue? Weil ich kein Unmensch bin. Ich überlasse keine hilflosen Mädchen ihren grausamen Schicksal." Sie dachte kurz über meine Worte nach, ich dachte sie hätte mich nicht verstanden aber sie fing an zu schreiben. Hielt es an einer roten Ampel hoch, da sie viel geschrieben hat, musste ich es mir schnell durchlesen, bevor die Ampel zu Grün wechselte. "Du fragst warum ich rausgehe? Vielleicht, weil meine Wände mich nur einengen, weil meine eigenen Gedanken mich sonst auffressen, weil ich keine Sicherheit in meinen vier Wänden spüre, weil ich frei sein möchte, wie jeder normale Mensch. Ich möchte an die frische Luft gehen, ich möchte den Wind durch meine Haare fliegen spüren. Ich bin Gehörlos, aber dies ändert rein garnichts daran, dass ich auch ein freier Mensch mit einem freien Willen sein will. Ich will alleine aus dem Haus, ohne einen Gebärdenübersetzer. Kein naiver Mensch, würde sich seinen Problemen tagtäglich stellen. Wenn du erkältet bist, dann gehst du doch auch nicht ohne einen Arzt aus dem Haus, oder? Was ist falsch daran, frei sein zu wollen? Ich selbst sein zu wollen auch in Gegenwart hörender Menschen?" Ihre Worte waren hart aber es war nichts als die Wahrheit. Jetzt war ich stumm. Ich fuhr weiter und lies ihre Worte durch meinen Kopf schweben. Ich hatte unrecht. Ich rede selbst immer davon frei sein zu wollen und kritisiere sie aus dem selben Grund? Ich fand mein Leben schon schwer genug, ich hatte noch nie jemanden kennengelernt, der durch viel schlimmeres im Leben geht als ich, aber dennoch so mutig und freundlich auftritt. Vielleicht ist es nur ein Schein, vielleicht hatte ich recht als ich sagte, sie helfe den Menschen um von ihren eigenen Problemen abzulenken. Aber ich hatte nicht das Recht sie ein Wrack oder naiv zu nennen, dass war sie mit Sicherheit nicht. Sie war stark. Sie öffnete sich mir, es bereitete mir Angst, unwissend was ich mit dem Wissen über sie tun sollte. Sie war ein Mensch wie jeder andere, aber sie war dennoch anders als jeder andere Mensch. Gut anders. Ich drückte kurz ihre Hand, um ihre Aufmerksamkeit auf meine Lippen zu richten, sie sah mich erwartend an. "Es tut mir leid, ich hatte kein Recht so zu reden." Sie nickte und lächelte mich aufmunternd an. Obwohl ich ihr Vorwürfe machte, war sie diejenige, die mir verzieh. Ich verstand es nicht. Verstand sie nicht. Ihre Gesten waren faszinierend und ihre stummen Worten schon fast bedrohlich. Sie schien sowie die Stille in sich, während ich der Sturm war, der sie mit ihren eigenen Schwächen bewarf.

Melody that seals the painWo Geschichten leben. Entdecke jetzt