-1- UNTER BEOBACHTUNG

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Ich fühlte mich beobachtet. Seit ich die Schule betreten hatte, wurde ich das Gefühl nicht los, dass mir jemand auf Schritt und Tritt folgte und mich dabei nicht aus den Augen ließ. Das war unmöglich, sagte ich mir. Wer sonst käme auf die Idee, am ersten Schultag nach den anfänglich endlos scheinenden Sommerferienschon eine halbe Stunde vor Unterrichtsbeginn da zu sein? Außer mir nicht viele. Ein Mädchen stand an der grünen Informationstafel und studierte dieneuen Stundenpläne.

Zwei andere saßen auf einer der Sitzgruppen, die in der ganzen Eingangshalle verteilt waren. Ich wusste, wo ich die ersten beiden Stunden Unterricht haben würde und lief deswegen am grünen Brett vorbei, ohne ihm eines Blickes zu würden. Es würde mir deswegen schon verzeihen. Noch schiendie Sonne nicht durch die Dachfenster, es war angenehm kühl in dem alten Gebäude. Das war der Vorteil an Sommertagen in der Schule. So schön es zu Hause auch sein mochte, heiß und stickig war es irgendwie fast immer.

Nicht so hier, wo es auch bei vierzig Grad Celsius Außentemperatur noch angenehm war. Gut, diese Annehmlichkeiten wurden durch den Unterricht wieder wettgemacht. Aber ich wollte mal nicht schon am ersten Tag wieder rummeckern. Ich ging die linke der beiden Treppen nach oben, die auf den beiden Seiten der Halle auf die zweite Ebene führten. An den Wänden hingen die Bilderrahmen nicht mehr, die Vitrinen waren leergeräumt. Noch vor den Sommerferien hatten sämtliche Wände mit Projekten vollgehangen, die wir Schüler über das Jahr gestalteten.

Es würde nur eine Frage der Zeit sein, bis die dunkeln, mit Holztafeln verkleideten Wändewieder etwas freundlicher aussahen. Vielleicht würde ja auch von mir ein Projekt dabei sein, wer wusste das schon. Ich bog in einen kleineren Seitenflurein. Inzwischen kannte ich mich in der Schule problemlos aus. Es war mein siebtes Jahr hier, als Elft-Klässler zählte ich nun schon zu den „Großen". Am Anfang hatte sich meine ganze Klasse fast bei jedem Raumwechsel verlaufen. Die großen, langen Flure, die vielen Türen, von denen jede gleich aussah und die vielen Schüler, die uns alle immer entgegenkamen und Köpfe größer waren als wir. Inzwischen blickte ich über die Schülermassen hinweg, denen ich begegnete.

So viel zum Thema, ich zähle jetzt zu den Großen. Ein anderer Junge begegnete mir, mit dem ich noch bis letztes Jahr in eine Klasse gegangen war. Er nickte mir müde zu, ich grüßte zurück. Ob wir dieses Jahr Kurse zusammen hatten, wusste ich nicht. Zwar kannten wir die Listen schon seit zwei Wochen, aber ich hatte darauf verzichtet, mir alle Namen zu merken. So lange ich wusste, inwelche Kurse ich ging, war für den Anfang zumindest alles gut. Ich wusste zum Beispiel, dass mein Name nicht auf der Liste der Biologie-Kurse und auch nicht auf der des Wirtschafts-Kurses gestanden hatte.

Leider war es uns nicht möglich, alle unliebsamen Fächer am Ende der zehnten Klasse abzuwählen. So würde ich mich weiterhin mit Jahreszahlen, Kriegen, historischen Personen und seitenlangen Schlüsselwort-Definitionen herumschlagen müssen. Die Lehrerin war aber in Ordnung, hatte ich mir sagen lassen. In den letzten drei Jahren war ein älterer Mann mein Geschichtslehrer gewesen, von dem wir jeden Schuljahresanfang gehofft hatten, er würde in den Vorruhestand gegangen sein. Was er jedoch bis dato nie getan hatte und auch dieses Jahr wieder mit seinen dicken Büchern, vergilbten Folien und VHS-Kassetten auf wehrlose Schüler losgelassen wurde. Inzwischen war ich alleine unterwegs.

Wenn ich der erste war, konnte ich mirzumindest einen guten Platz sichern. Am Fenster, vorletzte Reihe oder so. DerGeschichtsraum lag etwas abgelegen, von dem Seitenflur ging noch ein weiterer Gang aus, an dessen Ende schließlich die Tür zu Raum 2.2.5 lag. Ebene 2, Korridor 2, Raum 5. Vergleichbar mit dem „Haus, das irre macht", aus dem Asterix-Film. In manchen Bereichen kam unsere Schule schon nah an den irremachenden Bürokratietempel heran, wenn wir nicht sogar besser waren.

Was in diesem Jahr erneut zu beweisen wäre. Bewiesen war in diesem Moment aber nur die Tatsache, dass ich wirklich der erste war, der sich in Raum 2.2.5 einen Platz suchen konnte. Fünfte Reihe, von sechs, äußerster Platz am Fenster. Perfekt. Ich setzte mich auf den Tisch, um besser nach draußen sehen zu können. Von hier aus hatte ich Sicht auf die Bushaltestelle, wo gerade zwei Busse hielten und eine Menge Jungen und Mädchen ablud. Der Strom von Schülern, die zum Haupteingang liefen, wurde immer großer und nur ein paar Minuten später war ich im Geschichtsraum schon nicht mehr so allein. Zum Glück waren meine zwei besten Freunde Amon und Bennet im selben Kurs wie ich gelandet. Bennet setzte sich neben mich, Amon in die Bank davor.

Schmutziges KonfettiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt