-40- GANZ OBEN GANZ ALLEINE

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„Hey, wir bräuchten noch etwas Hilfe beim Aufräumen", erklang die Stimme des Hausmeisters hinter uns. Die Menschenmassen waren inzwischen alle nach Hause gegangen, wir standen alleine auf dem Flur. „Könntet ihr noch mal schnell mit anpacken? Dann sind wir alle umso schneller hier weg", bat er uns. Das ließen wir uns nicht zwei Mal sagen. Die Leiterin der Theater-AG bat mich, eine Lautsprecherbox in den Vorbereitungsraum zu bringen. Also trug ich die Box durch die Eingangshalle in den Keller.

Überall brannten noch die Lichter, Plakate und Zetteln hingen noch an den Wänden, einzelne Tische oder Stühle standen verlassen herum. Ich bugsierte das Teil in den Keller und wollte schon aus dem Schlüsselbund, den sie mir gegeben hatte, den richtigen Schlüssel für den Vorbereitungsraum suchen, da fiel mir auf, dass dieser bereits offenstand. Ohne die weißen Quadrate erschien er seltsam leer und normal. Wenn ich daran dachte, welche Dinge hier geschehen waren...

Etwas klirrte und zeitlich ertönte ein verzweifelter Aufschrei. Vorsichtig sah ich durch den Türspalt in den Raum. Im schwachen Licht einer nackten Glühlampe stand Eleonora vor einem an die Wand gelehnten Spiegel. Sie hatte mir den Rücken zugekehrt. Ihre Haare sahen zerzaust aus, das Makeup im Gesicht ihres Spiegelbildes war verlaufen, dunkle Spuren zogen sich von ihren Augen über die Wangen. Ihr Kleid hatte einen Riss und mitten im Spiegelglas steckte der Absatz eines High Heels.

Das Glas war gesplittert und einige Scherben auf den Boden gefallen. Doch ihr Spiegelbild konnte Eleonora nicht zerstören. Sie konnte sich selbst nicht mehr ertragen, aber sie konnte nicht vor sich selbst weglaufen. Ihr Körper wurde von Schluchzern durchrüttelt, ihre Schultern bebten. Sie hatte die Hände zu kraftlosen Fäusten geballt und erschrocken sah ich das Blut an ihren Handgelenken. Das Blut tropfte auf den Boden, bildete dort kleine rote Pfützen. Wie viel Blut hatte sie schon verloren?

Auch im Saum ihres Kleides hatten sich schon dunkle Flecken gebildet. Wenn sie nun jeden Moment umfallen konnte? Ich trat in den Raum. „Was ist los?", fragte ich. So bescheuert die Frage war, so offensichtlich war doch die Antwort, aber mir fiel eben nichts Besseres ein, angesichts der Situation und zusätzlich noch dessen, dass es sich um Eleonora handelte. „Lass mich in Ruhe", schluchzte Eleonora. Ihre schwache Stimmte zitterte. Ein erbärmlicher Anblick, sie so zu sehen.

„Du bist ein Arschloch, Alessandro", weinte sie. „Ein riesengroßes Arschloch." „Was Besseres fällt dir nicht ein?", fragte ich und konnte es mir nicht verkneifen, sie zu provozieren. „Nur, weil du deinen Willen nicht bekommen hast?" Es hätte nur noch gefehlt, dass sie wütend mit dem Fuß aufstampfte, wie ein kleines Kind. „Ihr habt mir alles kaputt gemacht. ALLES!", schrie sie mich an. „Ria, diese Hure und Philine, diese Schlampe..."

„Willst du mir jetzt alle bösen Wörter sagen, die du kennst?", wollte ich gelangweilt wissen. Eigentlich sollte ich nur die Lautsprecherbox in den Keller tragen, nicht noch Notfallseelsorger spielen, schon gar nicht für Elenora. „Ihr habt alles zerstört! Das war mir vorbestimmt! Ich hätte dort oben stehen sollen! Ich! Ich! Ich!"

„Genau!", stimmte ich ihr wütend zu. Ich konnte es nicht mehr zurückhalten. „Es geht immer nur Ich! Ich! Ich! Wie geil muss man denn sein, um sich selbst so sehr zu lieben? Kriegst du dich eigentlich noch selbst mit? Was wärst du denn ohne die anderen? Hm, was wäre denn, könntest du die anderen nicht benutzen? Du wärst ein Nichts, Eleonora! Ein Nichts! Du würdest ganz alleine da oben stehen, keiner würde dir mehr zujubeln, weil du einfach nur noch alle anwiderst."

„Nein! Nein! Das stimmt nicht, ich bin beliebt, es mögen mich doch alle! Ich bin doch perfekt!" Ihre Schreie wurden immer hysterischer und plötzlich schnappte sie nach Luft und sackte in sich zusammen. Mit einem Satz war ich bei ihr und wollte sie festhalten, doch sie stieß mich weg und rappelte sich wieder auf. Keuchend stolperte sie zur Tür und ihre schweren Schritte halten auf dem Flur nach.

„Du hast deine Tasche vergessen!", rief ich und schnappte die schwarze Handtasche, die neben der Tür stand. In ihrem Zustand hatte ich Eleonora schnell eingeholt, die sich schon die Treppe hochgekämpft hatte. Sie raffte den Rock ihres Kleides zusammen, um nicht darauf zutreten. Sie lief schief, weil der zweite Schuh immer noch im Spiegel steckte. Im Laufen schaffte sie es, sich den anderen von den Füßen zu streifen und irgendwo hinzuschleudern.

„Willst du denn deine Tasche nicht mitnehmen?", rief ich ihr hinterher. Sie stieß die Tür auf und ich eilte ihr nach. Draußen blieb sie schließlich stehen, drehte sich zu mir herum und stierte mich wütend an. „Es war alles umsonst!", fauchte sie. „Alles, was ich getan habe, habt ihr mir zunichtegemacht. Vor allem du, Alessandro, du verdienst das nicht, dass ihr mich so fertiggemacht habt."

„Du hast dich selbst fertiggemacht, Eleonora", sagte ich ruhig und sah ihr in die Augen. Es war schon dunkel und die Wegbeleuchtung an der Schule nur schwach, aber dennoch sah ich, wie die Wut in ihr Funken sprühte. Doch ich sah nicht weg und das war zu viel Widerstand für sie. „Ich wünsche mir, du stirbst!", spuckte sie mir ins Gesicht und machte auf dem Absatz kehrt.

„Wir sind hier nicht bei ‚Wünsch dir was!'", tönte es von einer der Bänke aus, die links und rechts des Weges standen. Einige Schüler hatten sich hier versammelt und rauchten. Weder Eleonora und ich hatten sie mitbekommen, doch sie war nun endgültig überfordert. Mit einem wilden hysterischen Aufschrei lief sie weg.

„Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend, Eure Hoeheit!", rief ihr ein anderer nach. Eleonora sah sich nicht noch einmal um. Schnellen Schrittes stolperte sie den Weg entlang und war schon bald nicht mehr zu sehen.

Schmutziges KonfettiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt