-2- UNTER BEOBACHTUNG

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„Wenn du die meinst, dass sie noch fehlten, dann hätten sie das gerne auch weiterhin tun können", sagte ich zu Bennet. „Alessandro, ich freue mich auch, dich wiederzusehen", begrüßte mich Eleonora, die mich gehört hatte. Sie lächelte, musterte mich von oben herab und fühlte sich mir ganz und gar überlegen. „Hat sich die Loser-Truppe auch wieder zusammengefunden? Wie süß!" „Wie lange hast du denn für diesen Auftritt geprobt?", fragte Bennet. „Der war ja mal wieder on point und hinreißend a f."

Letzterer Satz hätte auch genauso gut von Eleonora stammen können- Stimmlage, Ausdruck und Handbewegung exakt wie bei ihr. Bennet konnte ihr fast Konkurrenz machen. Eleonora lächelte aber nur. „Bennet, ich an deiner Stelle würde aufpassen. Aussagen wie diese könnten dich schnell in ein falsches Licht rücken", erklärte sie ihm. Ihr Blick fiel auf Ria. „Oh, wen haben wir denn da?" „Du bist die Neue, oder?", fragte Viviana. Ria nickte aufgeregt. „Wie heißt du?", wollte Seraphina wissen.

„Ria", antwortete sie. „Und weiter?", fragte Eleonora. „Einfach nur Ria", erklärte Ria. „Reicht doch, oder?" Sie lächelte unsicher. „Naja, wie dem auch sei", meinte Eleonora abschätzig. „Dort, wo du sitzt, ist jedenfalls unser Platz. Wir sitzen hier schon seit Jahren und leider möchte sich keine von uns wegsetzen, also musst wohl oder übel du weichen." „Könnt ihr euch nicht dort vorne hinsetzen?", fragte Ria. „Dort sind auch noch vier Plätze frei."

„Nein, wir möchten gerne hier hinten sitzen", erklärte Viviana bestimmt. „Hier hinten und nirgendwo anders", machte es Adelina deutlich. „Entschuldigt bitte", meinte Ria. Sie packte ihre Sachen zusammen und stand auf. Mit Genugtuung wurde sie dabei von Eleonora beobachtet. „Du setzt dich jetzt aber nicht wirklich weg, oder?", fragte ich. Ria machte eine abweisende Handbewegung.

„Lass gut sein", wehrte sie ab. „Ich will nicht gleich am ersten Tag für Ärger sorgen." „Im Gegensatz zu dir, Alessandro, hat Ria das Prinzip verstanden", erklärte Eleonora. Sie saß inzwischen auf Rias Platz und sortierte ihre Mäppchen. „Es ist trotzdem etwas unfair, sich den Neuen gegenüber so aufzuspielen", erwiderte ich. „Ria kann sich ja gerne bei dir auf den Schoß setzen", schlug Viviana vor. „Wobei ich nicht glaube, dass das jemals ein Mädchen tun würde." Sie lachten gehässig. Ria saß inzwischen in der ersten Reihe und wagte es nicht, nach hinten zu sehen. In mir brodelte es. Warum musste es Menschen wie Eleonora überall geben? Mit ihrem Aussehen, den teuren Klamotten, der guten Erziehung, der hervorragenden Sprechweise- kurz um, vom Äußerlichen her, perfekt? Warum gab es auch noch welche, die solchen leeren schönen Hüllen bewunderten und hier hinterherliefen?

Ich verstand dieses Prinzip nicht und ich würde es wohl nie verstehen. Ria sollte sich von denen nur nicht unterkriegen lassen. „Apropos neu", sagte Adelina. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, leise zu reden. Ihre engelgleichen Stimmen übertönten einfach alles. „Ich habe gehört, der französische Austauschschüler soll auch in unseren Kurs gehen." Seraphina und Viviana zogen überrascht die aufgemalten Augenbrauen nach oben. „Du meinst Dion?", fragte Viviana. Den Namen des Austauschschülers hauchte sie.

„Wen denn sonst?", erwiderte Adelina. „Er müsste sich bald mal blicken lassen. Oder will er uns noch länger auf die Folter spannen?" „Wir müssen ihn unbedingt zu unserer nächsten Party einladen", bestimmte Eleonora. „Ich habe gehört, er soll echt gut sein." „Überkommt dich auch plötzlich ein spontaner Brechreiz?", fragte mich Amon. Ich nickte nur. Wo blieben die Lehrer, wenn man sie mal brauchte? Schon vor ein paar Minuten hatte es zum Unterricht geklingelt. Ich wusste ganz genau, was ich bevorzugen würde. Geschichte war mir wesentlich lieber als das Schwärmen der High Society für einen Franzosen.

Was verschlug den überhaupt zu uns, in die Provinz? Garantiert kam er aus einer namenhaften Stadt wie Bordeaux oder Toulouse, wenn nicht sogar Paris persönlich. Unsere Stadt zählte knapp zehntausend Einwohner, an unserer Schule waren siebenhundert Schüler, die bis zu eine Stunde Busfahrt in Kauf nahmen. Die Fahrt in einen Ort, den man wirklich Stadt nennen konnte, dauerte dreißig Minuten. Was wollte der also hier? Zehn Minuten vergingen noch, dann betrat endlich unsere Lehrerin den Raum, aber sie war nicht allein. Mit ihr betrat ein Junge den Raum- geschniegelt und gebürstet, dass man geblendet wurde.

Die Haare streng nach hinten gekämmt und mit Gel befestigt, er trug sogar einen Anzug. Der Gesichtsausdruck war eingefroren, das einzige, was er bewegte, waren die Augen, die langsam durch den Raum schweiften. „Such dir erst mal einen Platz, Dion, dann sehen wir weiter", meinte die Lehrerin und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. Dion nickte und steuerte zielsicher den Platz neben Ria an, die unsicher auf ihrem Stuhl herumrutschte. Aus Eleonoras Ecke konnte man ein empörtes Schnauben vernehmen. Da ließ sich der französische Austauschschüler endlich blicken und dann sah er sie nicht einmal an! Was für eine Frechheit...


Die Unterrichtsstunde war ja eh schon so gut wie vorbei, als uns Frau Nelz offiziell im neuen Schuljahr begrüßte. Sie ging mit uns den Stundenplan durch und belehrte uns, wie es das Schulgesetzt für den Anfang eines jeden Schuljahres vorsah. Dann klingelte es auch schon wieder zur Pause. Da wir ab der elften Klasse nur noch Doppelstunden hatten, konnten wir im Raum bleiben und brauchten nicht umziehen. Dion wechselte ein paar Worte mit Ria, bevor er aufstand und zu uns kam.

Er stelle sich noch einmal vor und gab uns allen die Hand. Er war etwas kleiner als ich, aber neben ihm kam sich wohl jeder unbedeutend vor. „Freut mich, dich kennenzulernen, Alessandro", sagte er, als er meine Hand schüttelte. Eigentlich hätte ich ihm sofort böse sein können, wie er meinen Namen aussprach. Französisch eben und es hörte sich einfach nur bescheuert an.

Ich hatte zwar keine italienischen Wurzeln und ich war auch noch nie in Italien gewesen, aber mein Name stammte eben aus Italien und wurde auf dem zweiten a betont. Und nicht anders und schon gar nicht mit eu am Ende. Das war ihm aber verziehen, immerhin war Deutsch nicht seine Muttersprache. Dafür, dass er unsere Sprache nur als Fremdsprache gelernt hatte, sprach er sehr fließend, vielleicht auch besser als unsereins, denn Dialekt und ländliche Sprechweise machten eine eigene Sprache draus.

Was wir innerhalb von fünf Minuten erfahren konnten war, dass er aus Paris stammte und ein Auslandsjahr in Deutschland machte, um so viel wie möglich unsere Sprache zu üben. Nach dem Deutschlandaufenthalt wollte er gleich noch ein Jahr in Japan dranhängen, um Japanisch zu lernen. Wie er sagte, wolle er später mal Botschafter werden. Wir hörten ihm nur zu, immerhin hatte keiner von uns so hochtrabende Pläne. Eleonora hörte ihm zwar auch zu, aber da Dion bei uns stand und sie sich nicht in meine Nähe traute, konnte sie nicht zu ihm. Wahrscheinlich hatte ich ihm damit einen Gefallen getan. Vorerst zumindest, denn Eleonora lässt nichts umkommen, schon gar nicht so einen wie Dion.

Als die zweite Stunde zu Ende war und wir alle den Raum verließen, schnappte sie ihn sich auch gleich und zog ihn am Ärmel hinter sich her. Sie wolle ihm die Schule zeigen, erklärte sie Dion, der ihr völlig überrumpelt hinterher stolperte. Viviana, Adelina und Seraphina folgten den beiden dicht auf den Fersen. „Er kann einem ja schon leidtun", meinte Bennet. „Da können wir ja froh sein, dass wir Loser sind und nicht Opfer von Eleonora." „Sollen wir dich auch durchs Schulgebäude zerren?", fragte ich Ria. Sie lachte, verneinte aber. „Ich muss mich im Sekretariat melden", erklärte sie. „Noch ein paar Formulare abgeben und so weiter. Die Schule läuft ja nicht weg, wenn ihr wollt, könnt ihr mir das ein anderes Mal zeigen."

Ohne auf mich zu warten, stürzte sie sich in den Schülerstrom draußen auf dem Flur und war verschwunden. „Ist da etwa jemand eifersüchtig?", fragte mich Bennet. „Halt einfach die Fresse", erwiderte ich kurzangebunden und ließ die beiden stehen. Die beiden würden im passenden Moment schon ihre Retourkutsche bekommen. Vom Raum 2.2.5 mussten wir nun in die 1.4.2- Chemie.

Von Ria wusste ich, dass sie diesen Kurs nicht belegte. Zum Glück auch keine Eleonora oder andere Mitglieder der High Society. Obwohl ich wusste, dass ich mitten in der Menge lief, war dieses unheimliche Gefühl plötzlich wieder da. Während des Unterrichts war es verflogen, aber jetzt spürte ich, wie die Aufregung in mir hochstieg. Ich fühlte mich beobachtet.

Schmutziges KonfettiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt