Die Kartons gehörten da nicht hin. Definitiv nicht. Bei uns standen nie Kartons übereinandergestapelt im Flur, sodass man kaum durchkam. „Ziehen wir um?", rief ich ins Haus. Meine Mutter antwortete aus der Küche. „Nein!", rief sie. „Das sind Spenden!" Ich zwängte mich an den Kartons vorbei. „Spenden?", fragte ich, als ich in der Küchentür stand. Auf der Bank standen Kartons, auf dem Tisch und meine Mutter mittendrin, wie sie die Kartons durchwühlte. Ich wusste, dass meine Mutter in ihrer Freizeit für eine Organisation arbeitete, die Lebensnotwendiges für Bedürftige sammelte.
„Wo kommen die denn alle her?", wollte ich wissen, als meine Mutter schon nicht auf die erste Frage antwortete. „Von Ria", murmelte sie, während sie den Deckel einer anderen Kiste öffnete und darin herumwühlte, obwohl offensichtlich war, dass sie nicht wusste, wonach sie suchte. „Ihr Vater hat die erste Ladung vorbeigebracht, gleich dürfte die zweite kommen." „Warum bringt Rias Vater Spenden vorbei?", fragte ich
. In diesem Moment wusste ich echt nicht, was ich von der Situation halten sollte. Es klingelte. „Das werden sie sein", meinte meine Mutter. „Da kannst du sie persönlich fragen. Hilfst du beim Ausladen?" Natürlich konnte ich da nicht nein sagen. Also gingen wir zur Tür, machten Ria und ihrem Vater auf und gingen dann zum Auto, das auf dem Hof stand und luden die Kartons und Kisten aus. Ria begrüßte mich zwar, redete aber sonst kein Wort.
„Sind das alles deine Sachen?", fragte ich schließlich. Ria sah überrascht auf, anscheinend rechnete sie nicht damit, dass ich sie ansprach. „Ja, alles meine", antwortete sie. „Warum willst du das alles spenden?" Erst jetzt fiel mir auf, dass sie auch jetzt wie Eleonora rumlief. Kaum zu vergleichen mit der Ria, die sich nicht über die Risse in der Jeans beklagt hatte, als wir über die Felsen geklettert waren.
„Weiß nicht", meinte sie ausweichend. „Passen irgendwie nicht mehr zu mir." „Was ist das denn alles?", fragte ich. „Alles eben", lautete die Antwort. „Kleidung, Bücher, Spielzeug,... Alles, was ich nicht mehr haben möchte." Dass man mal aufräumte und sich von einigen Dingen trennte, war mir bewusst. Ich machte es ja selbst ab und zu, um Platz für Neues zu schaffen. Bei mir sah es dann aber nicht so aus als hätte ich alle meine Besitztümer ausgemistet. „Und warum passt das nicht mehr zu dir?", fragte ich und versuchte, beiläufig zu klingen, als wir den Karton in der Küche abstellten.
Meine Mutter sortierte gerade T-Shirts und ich erkannte einige, die Ria erst vor Kurzem noch getragen hatte. „Ich fühl mich in solchen Klamotten einfach wohler", erklärte sie und klang genauso beiläufig. „Nicht so trampelhaft in T-Shirt und Jeans." Ich blieb stehen, während Ria wieder zum Auto lief. Was, zum Henker, ging hier ab? Warum lief sie jetzt, in ihrer Freizeit, rum wie Eleonora, warum gab diese ihr Kleider von ihr und warum spendete Ria jetzt Dinge, die bis vor kurzem noch zu ihr gehörten?
Mir dämmerte etwas, aber ich beeilte mich, damit Ria die Kartons nicht alleine tragen musste. Schließlich waren nicht nur Flur und Küche vollgestellt, sondern auch noch ein Teil des Wohnzimmers. Ich wusste gar nicht, dass Ria so viele Dinge besaß. Da schien wirklich sämtliche Kleidung und sämtliches Spielzeug dabei zu sein. „Sie hatte von jetzt auf gleich die Idee", hörte ich, wie ihr Vater in der Küche erzählte.
Ria und er saßen mit meiner Mutter am Küchentisch, den wir freigeräumt hatten, um einen halbwegs normalen Betrieb dort gewährleisten zu können, bis der Inhalt aller Kartons gesichtet und gelistet war. „Eleonora hat ihr einige von ihren Kleidern geschenkt und seitdem zieht sie nur noch diese an. Sie hat sogar die Kleider, die ihr ihre Großmutter immer schenkt, rausgeholt und trägt sie nun. Dann hat sie uns verkündet, dass sie den anderen Krempel alles nicht mehr braucht."
„Und da wir mein Zimmer noch renovieren müssen, steht uns der Krempel ja eh nur im Weg rum", ergänzte Ria und plötzlich war die Beiläufigkeit in ihrer Stimme verschwunden. Ich setzte mich in den Sessel, stellte fest, dass die Sicht zum Fernseher von Kartons verstellt war und hörte nebenbei zu. „Rias Zimmer ist das letzte, das wir im neuen Haus noch renovieren müssen", erklärte ihr Vater nun. „Da kommt es gerade gelegen, dass sie sich von Dingen trennt, die sie seit Jahren nicht mehr benutzt hat. So ist mehr Platz für neues. Die Idee mit dem Spenden kam auch von ihr, da einige Gegenstände noch neu sind."
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Schmutziges Konfetti
Fiksi RemajaBewundernswert. Fehlerfrei. Makellos. Schön. Beliebt. Tadellos. Angesehen. Es ist so einfach, das Wort PERFEKT auszudrücken. Doch je öfter man über dieses Wort nachdenkt, je öfter man dieses Wort hinterfragt, desto mehr bekommt man von der Wel...