Die Gitterstäbe wären weit genug auseinander gewesen, sodass sie ohne Weiteres hätten flüchten können. Doch sie verließen den Käfig nicht, dessen Stäbe sich geschwungen nach oben wanden, wo sie immer enger aufeinander zu liefen und schließlich selbst ihre eigene Krone banden. Umgeben war der Käfig von glatten, weißen Wänden, die das Licht reflektierten und umso mehr die beiden ausleuchteten, die sich im Käfig gegenüberstanden.
Mit hasserfüllten Gesichtern sahen sich die beiden Mädchen an. Die eine mit wild zerzaustem Haar, löchrigem T-Shirt und ausgefranster Hose, barfuß. Die andere bis in die Spitzen frisiert, reine Haut, feines Kleid und hohe Schuhe. Sie waren so verschieden, aber dennoch glichen sich ihre Gesichter. Beide atmeten schwer. Der Zerzausten sprang der Zorn aus den Augen, doch die Schöne hielt dagegen. Dann ballte die Zerzauste die Faust und sprang auf die Schöne zu. Diese machte einen Schritt zur Seite, der Sprung ging ins Leere. Ohne den hasserfüllten Blick abzuwenden, rappelte sich die Zerzauste wieder auf. Die Schöne versetzte ihr einen Tritt, versuchte, die andere am Boden zu halten.
Die Zerzauste packte das Bein und rollte zur Seite, zog die Schöne hinterher. Beide lagen am Boden, zogen sich nun an den Haaren, versuchten, die andere unter Kontrolle zu halten. Es gelang keiner der beiden. Schließlich konnte sich die Zerzauste aus dem Griff der Schönen befreien und stand auf, ein paar getorkelte Schritte konnte sie machen, bevor die Schöne sich wieder auf sie stürzte und ihr auf den Rücken sprang.
Die Zerzauste versuchte wieder, die Schöne abzuschütteln und sich von ihr zu befreien, aber sie kämpfte verbissen. Sie umklammerte ihren Hals mit beiden Händen, der Griff wurde fester. Die Zerzauste schob ihre Arme zwischen die der anderen und drückte sie auseinander. Die Schöne verlor das Gleichgewicht und musste ihr Opfer loslassen. Nun warf sich die Zerzauste auf sie, von der Wut gepackt, die sich von Sekunde zu Sekunde steigerte. Blind vor Hass fügte sie der Schönen Schmerzen zu, die sich wegdrehte. Ihr Fehler. Jetzt lag sie auf dem Rücken und die Zerzauste kniete sich über sie, ihre Hände legten sich um den Hals der Schönen. Ein siegessicheres Grinsen breitete sich auf dem Gesicht der Zerzausten aus, als sie ihren Griff festigte, so wie es die Schöne zuvor bei ihr getan hatte.
Die wedelte nur wild mit den Armen und strampelte mit den Beinen, konnte der Zerzausten nun aber nichts mehr entgegenbringen. Sie röchelte und wartete darauf, dass sich der Griff noch verstärkte. Doch die Hände umfassten nur ihren Hals und drückten ihr nicht einfach die Luft ab. Das Siegessichere auf dem Gesicht der Zerzausten war verschwunden. Sie sahen sich beide in die Augen, aus denen die Wut der Leere wich. Schließlich hörte die Schöne auf zu strampeln und die Zerzauste senkte den Kopf und wendete den Blick ab. Der Griff wurde lockerer und dann lösten sich die Hände langsam von ihrem Hals.
Die Schöne blickte angstvoll auf die Zerzauste, traute sich noch nicht wirklich, wieder zu atmen. Die Zerzauste stand auf und lief zur anderen Seite des Käfigs. Sie fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare, verwirbelte sie noch mehr, blieb an den Stäben stehen und starrte auf die weiße Wand. Auf der anderen Seite kroch die Schöne, zog sich an den Stäben hoch und lehnte sich an sie. Gedankenlos sah sie die andere an. Die Zerzauste setzte sich auch. Beide waren mit ihren Kräften am Ende. Die beiden musterten einander. Sie sahen sich so ähnlich, aber doch kannte keine die auf der anderen Seite. Schließlich wendete die Zerzauste die Augen ab. Sie war schwach, konnte den Anblick nicht lange ertragen.
Die Schöne nahm die Schwäche war und wusste, dass sie gewonnen hatte. Aber sie freute sich nicht darüber. Aus der Leere konnte keine Freude werden. Derweil lehnte die Zerzauste den Kopf an einen der kalten Stäbe. Ein Atemzug. Und noch einer. Sie wusste, dass sie keine Chance mehr hatte. Noch ein Atemzug. Sie brachte es nicht fertig. Sie musste sich der Schönen geschlagen geben. Noch ein Atemzug. Sie gestand es sich ein, auch wenn es schwerfiel. Noch einer. Langsam wurde sie ruhiger, die Wut und der Hass waren verschwunden, aber die Leere, die den Platz eingenommen hatte, war nicht unbedingt besser. Langsam atmete sie aus. Immer weiter, bis sie das Gefühl hatte, dass ihre Lunge endlich leer war.
Sie schloss die Augen und atmete wieder ein. Immer wieder, bis die Leere ihren ganzen Körper ergriffen hatte. Die Schöne sah ihr zu, begriff aber nicht, was in ihr vor sich ging. Plötzlich stand die Zerzauste auf, zog sich an den Stäben nach oben und zwängte sich zwischen ihnen hindurch. Mit einem Satz war die Schöne bei ihr und griff nach ihrem Arm, versuchte, sie festzuhalten. Die Zerzauste blieb stehen, sah sie nicht an und zog ihren Arm nicht zurück. Dann drehte sie sich um und schüttelte den Kopf.
Die Schöne ließ ihren Arm los und sah sie verständnislos an. Die Zerzauste entfernte sich zwei Schritte vom Käfig und hielt den Blickkontakt. Die Schöne sollte ihr folgen, aber sie tat es nicht. Verwundert streckte sie wieder einen Arm durch die Stäbe, versuchte, sie zurückzuholen, doch die Entfernung war bereits zu groß. Es half nichts. Die Zerzauste wandte wieder einmal ihren Blick ab und drehte sich um. Die Schöne sah nur noch, wie sich die andere immer weiter entfernte und sie alleine in dem Käfig zurückließ.
Sie streckte ihren Arm weiter aus, versuchte, sich ebenfalls zwischen den Stäben hindurchzuzwängen, aber sie schienen näher zusammenzurücken, als wollten sie die Schöne zurückhalten. Die Zerzauste kam nicht zurück, blickte sich nicht noch einmal um. Die Schöne sank nach unten, den Arm immer noch ausgestreckt, in der Hoffnung, die Zerzauste würde ihn ergreifen und zurückkommen.
Aber nichts geschah. Schließlich zog sie den Arm wieder zu sich herein, lehnte sich an und legte die Arme um die Knie. Ihr Blick glitt durch den Käfig, nach oben, zu dessen Spitze. Von innen war gar keine Krone zu erkennen.
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Schmutziges Konfetti
Ficção AdolescenteBewundernswert. Fehlerfrei. Makellos. Schön. Beliebt. Tadellos. Angesehen. Es ist so einfach, das Wort PERFEKT auszudrücken. Doch je öfter man über dieses Wort nachdenkt, je öfter man dieses Wort hinterfragt, desto mehr bekommt man von der Wel...