-38- RISSE

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„Meine einzige Amtshandlung wird sein, meinen Nachfolger zu bestimmen", erklärte Philine und im Publikum beugten sich einige neugierig nach vorne. So aufregend hatten sich die meisten die Veranstaltung wahrscheinlich nicht vorgestellt. Erst jetzt bekam ich mit, dass Philine wieder zu uns an den Bühnenrand sah. „Die Person, die ich zu meinem Nachfolger und somit zum Schülersprecher für die nächsten zwei Schuljahre ernenne, wird die Person sein, die so gesehen nur auf dem dritten Platz gelandet ist. Ich weiß nicht, ob ich das Befugnis dazu habe, aber ich mache das jetzt einfach."

Auf der anderen Seite nickte Frau Nels andächtig. Philine tat das richtige. „Um es kurz zu machen, damit ich endlich den Mund halte...", sprach Philine. „Der neue, rechtmäßige Schülersprecher wird Bennett sein." Jetzt war Bennett es, dem die Kinnlade herunterklappte. „Herzlichen Glückwünsch!", sagte ich zu ihm und hielt ihm die Hand hin. Bennett schlug ein, jedoch wie in Trance. Ria klopfte ihm auf die Schulter und schob ihn gleichzeitig hinaus auf die Bühne. Bennett, der langsam kapierte, was vor sich ging, lief zu Philine, die ihn umarmte und schließlich zu ihm sagte: „Mach was draus!"

Damit überließ sie demjenigen das Rednerpult, der am wenigstens daran gedacht hatte, noch einmal da vorne zu stehen. Philine hüpfte voller Freude zu uns hinter den Vorhang. Ria und ich grinsten nur und Philine zuckte mit den Schultern. „Was denn?", fragte sie. „Der kriegt das hin, keine Sorge." Und so, wie Bennett da vorne stand und sprach, wussten wir alle, dass Philine recht hatte.



Dann trat Bennett zurück, Frau Nels gratulierte ihm und dann verließ er die Bühne. „Ich weiß nicht, ob ich wütend auf dich oder dankbar sein sollte", sagte er mit verschränkten Armen zu Philine. „Wenn ich die Wahl habe, nehme ich letzteres", verkündete sie lachend. „Dann sage ich hiermit offiziell danke", sprach Bennett und seine Worte kamen von Herzen. „Dass das wirklich was wird, ich... als Schülersprecher!"

„Dann gib dir mal Mühe!", forderte ich und boxte ihn in den Oberarm. „Wer solche Freunde wie euch hat, braucht echt keine Feinde mehr", meinte er kopfschüttelnd. Dann verließen wir die Bühne und suchten uns Plätze im Publikum. Einige verließen den Saal, sodass Plätze frei wurden, die wir in Beschlag nahmen.

Frau Nels kündigte nun das Theaterstück an, während ein paar Schüler bereits die Requisiten auf die Bühne schoben. Ich merkte, wie sich Philines Hand in meine krallte, als sie das Bühnenbild sah. Zwei gleißend weiße Quadrate, eines an der Wand, das andere wie eine Spiegelung am Boden. Andere trugen Figuren auf die Bühne, die wie diese Schaufensterpuppen aussahen. Ein kalter Schauer lief über meinen Rücken und in diesem Moment war ich mir überhaupt nicht mehr sicher, was von den Ereignissen der letzten Monate wirklich passiert war. Das Saallicht ging aus und das Theaterstück begann.

Philine beruhigte sich wieder, ließ meine Hand aber nicht los. In dem Theaterstück ging es um ein Mädchen, das eines Tages, mitten auf der Straße von Mitarbeitern einer Mode-Agentur angesprochen wird und ein Angebot bekommt, für die nächste Kollektion zu modeln. Begeistert davon sagt sie zu, weiß aber nicht, dass es Angebot noch nicht endgültig ist, sondern sie sich erst in einem Wettbewerb gegen andere Mitstreiterinnen durchsetzen muss. Auf ihre Konkurrentinnen stößt sie in der großen Stadt, die für sie ungewohnt ist.

Einige von denen, eine ganz besonders, sind verbissen darauf, unbedingt zu gewinnen, um jeden Preis. Sie ist bereit, alles dafür zu tun. Das Mädchen ist währenddessen immer unsicherer und weiß nicht mehr, ob es das überhaupt wirklich will. Schließlich lernt sie andere Jugendliche kennen, die es schon einmal miterlebt haben und wissen, dass es den Modemachern weniger um die Personen an sich geht, sondern einfach nur darum, wie viel Geld sie mit diesem Gesicht verdienen können. Schließlich will sie aus dem Wettbewerb aussteigen, doch ihre Konkurrentinnen stellen sich ihr in den Weg.

Am Ende bekommt die Böse natürlich ihre Strafe und auch nicht den Vertrag, genauso wenig wie das Mädchen in der Hauptrolle. Ich merke, wie Philine mich anstarrt und wende den Blick von der Bühne ab. „Kommt dir das nicht auch irgendwie bekannt vor?", flüsterte sie. Ich nicke. Sollte es merkwürdig sein, dass wir dieses Szenario schon einmal erlebt haben, sollten wir uns deswegen für verrückt erklären? Ich wusste es nie wirklich und ich werde es auch nie wissen, wie viel Fantasie bei dieser Geschichte eine Rolle spielte, wie viel davon Wirklichkeit war oder welches Ereignis wir uns nur vorgestellt hatten.

Am Ende war doch alles gut geworden. Eleonora hatte ihr Ziel nicht erreicht. All das, was sie sich gewünscht hatte und egal, was sie dafür getan hatte, sie war kläglich gescheitert und hätte es fast geschafft, sich vor versammelter Mannschaft bloßzustellen, aus ihrer Rolle herauszubrechen und endlich einmal sie selbst zu sein.

Aber Eleonora konnte eben nicht sie selbst sein, dafür war sie viel zu ausgefüllt von ihrer Rolle, als dass da noch irgendwo Platz für eine eigene Persönlichkeit blieb. Sie verkörperte die Erwartungen der anderen, spielte die Perfekte, die Kantenlose, die Angesehen und die doch so Unbeliebte auf einmal. Heute hatten diese Persönlichkeiten einen ganz schönen Knacks und die Fassade mehrere tiefe Risse bekommen.

Wie viele Menschen hatten durch diese Risse sehen können, wie es wirklich in Eleonora aussah? Sie hatte sich mit ihren besten Freundinnen zerstritten, war nicht davor zurückgeschreckt, Dion vor allen bloßzustellen und hatte es auch noch mit anderen vorgehabt. Ich war froh, dass Schlimmeres verhindert werden konnte, welchen Umständen auch immer es zu verdanken war. „Hey", riss mich Philine sanft aus meinen Gedanken.

Sie sah mich immer noch an und da wurde mir ihre Schönheit erst so richtig bewusst. Nicht ihre Haare, nicht ihr Lächeln, das einen verzauberte, nicht ihre funkelnden Augen, in denen man sich verlieren konnte, nicht ihre zarten Gesichtszüge, die sie so schwach aussehen ließen, dass ich sie am liebsten für immer beschützen wollte.

Nein, wahre Schönheit kam aus dem Inneren, direkt aus dem Herzen und aus der Seele und wenn es danach ging, war Philine der schönste Mensch, dem ich je begegnet war. Wir beugten uns zueinander und ein lauter Knall zerriss die Stille. Es waren Konfettikanonen, die sie vorne auf der Bühne abfeuerten. Konfettiregen, der über die erstaunten Zuschauer niederging. Als wir uns berührten, schloss ich die Augen. In diesem Moment wünschte ich mir, dass genau dieser nie vorübergehen würde.

***

Am Ende ist der Schmalz-Gehalt dann doch etwas gestiegen... Sorry... nicht.

Ein bisschen Herzschmerz muss ja dabei sein, oder? Sonst wäre es ja kein schönes Ende. Und nein, das Ende ist noch nicht erreicht. Ganze sechs Teile warten noch auf euch! Darunter Hits wie "The Greatest" und "Chandelier" oder Eleonoras Abgang. Ja, das zähle ich auch als Hit^^

Dann wäre "Schmutziges Konfetti" vorbei.

Voll

~S•a•D~

Oder?

Schmutziges KonfettiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt