5. Opfer

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Mit einem lauten Klingeln wurde Jonas Winter aus seiner Denkstarre geweckt und griff erstmal nach seinem Handy. Der kleine schwarze Bildschirm verriet ihm aber sofort, dass dies das falsche Gerät gewesen war und im nächsten Moment ordnete er das Klingeln endlich richtig zu, nämlich zu seinem Diensttelefon auf dem Schreibtisch.

Fluchend nahm er es auf. "Winter?", meldete er sich und strich sich über das Gesicht, um sich wieder volle Konzentration zu erzwingen.

"Hallo, hier spricht Cynthia Klein. Ich muss unbedingt mit Ihnen sprechen." Sie redete so schnell, dass Jonas Winter sie kaum verstand. "Sie sind doch Ermittler in dem Mordfall, mit den blonden Frauen?"

War er das? Eigentlich ja nicht mehr. Vor einer knappen halben Stunde kam ein netter Mann von der Personalabteilung und teilte ihm freundlich mit, ihm wurde der Fall entzogen. Es sei ihm ein Rätsel, wie überhaupt ein so junger Beamter, wie Herr Winter einer war, mit solch einem wichtigen Fall beauftragt werden konnte.

Auf der einen Seite empfand Jonas Winter dies als eine bodenlose Frechheit, doch irgendwie war er froh, nicht mehr verantwortlich zu sein. Doch diese Anruferin hörte sich so drängend an, das weckte seinen Ermittler Instinkt und so handelte er ohne weiter nachzudenken.

"Ja genau, das ist richtig." Er war froh, dass er nur telefonierte, denn würde die Frau vor ihm stehen, würde sie seine Lüge sofort erkennen. Er war ein sehr schlechter Lügner.

Am anderen Ende holte die Frau einmal tief Luft. "Ich bin Psychologin und ein sehr seltsamer Mann ist zu mir in Behandlung gekommen."

Nun wurde der Kommissar hellhörig. Ein seltsamer Mann? Wer sollte das gewesen sein? Und kommen zu Psychologen nicht öfter mal 'seltsame Männer'?

"Eigentlich habe ich Schweigepflicht.", erklärte ihm die Frau, am anderen Ende und er hörte ihrer Stimme an, wie sie mit sich rang. "Aber ich glaube, das ist wirklich wichtig."

Herr Winter setzte sich gerade hin. Wenn sie sogar ihre Schweigepflicht dafür brechen wollte, musste es etwas sein, was ihm vielleicht bei der Aufklärung seines, oder jetzt ja eigentlich nur noch des Mordfalles helfen könnte. Ungeduldig wartete er darauf, dass sie weiter sprach.

"Es wurde eine Information an alle Psychologen herausgegeben, dass der Mörder der vier Frauen...", begann sie, doch wurde gleich vom Kommissar unterbrochen: "Fünf. Es sind inzwischen fünf Morde."

Heute früh war ein neues Opfer aufgefunden wurden. Gleiche Vorgehensweise und sicher auch gleicher Täter. Er war noch am Tatort, bevor er wieder zur Dienststelle gefahren ist, um dann dort Bescheid zu bekommen, dass es gar nicht mehr sein Fall war.

"Oh.", die Frau räusperte sich umständlich, bevor sie einen neuen Erklärungsversuch startete. "Jedenfalls wurde ja eine Email, an Psychologen im Umkreis verschickt, mit ein paar Details der Morde und der Bitte um Mithilfe."

Diese Mails musste der Kollege verschickt haben, der nun im Fall ermittelte, denn Jonas Winter war nicht auf diese Idee gekommen. Ein schlauer Schachzug, im Nachhinein betrachtet, denn es ist deutlich möglich, dass ein Mensch, der zu solchen Taten fähig war, psychische Probleme hatte, die vielleicht sogar behandelt wurden. Jedenfalls gab es dazu eine klitzekleine Chance.

"Der Mann, der hier war, hat seine Frau bei einem Autounfall verloren. Er selbst ist gefahren und hat überlebt. Die Frau war auch blond und er hatte eine regelrechte Anziehung, nur zu dieser Haarfarbe. Ich nehme an, er projiziert dieses Idealbild, seiner verlorenen Frau, auf andere."

Mit gerunzelter Stirn riss Herr Winter ein Blatt von seinem Block und begann, sich einige Notizen zu machen. "Nur weil er blonde Haare mag, heißt das noch lange nicht, dass er ein Mörder ist.", gab er zu bedenken.

"Er ist aggressiv und traumatisiert. Außerdem lebt er alleine und zurückgezogen, alles Beschreibungen, die in ihrem Profil stehen.", beharrte sie trotzdem auf ihrer Einschätzung und spricht wieder ein Profil an, dass er eigentlich gar nicht erstellt hatte. Aber er musste zugeben, dass alle Informationen zutrafen.

"Er hat kein sexuelles Interesse an anderen Frauen und im Bericht steht, dass keine Vergewaltigungen stattgefunden haben.", ihr Bericht stockte kurz, bevor sie weiter fortfuhr. "Außerdem schrieb er mit einem roten Bleistift, genau so einer, der am Tatort zurückgelassen wurde."

Die Frau klang jetzt fast erleichtert, dass sie dies alles losgeworden ist. Doch für den Kommissar war ihre Einschätzung etwas löchrig. Nur diese wenigen Fakten machten noch keinen Mörder. Selbst rote Bleistifte gab es sicher Millionen auf der Welt.

Trotzdem kam dieser Tipp einer Chance, auf die Lösung des Falles viel näher, als sein Nichtstun. "Vielen Dank, ich werde dem definitiv nachgehen.", die Frau nannte ihm noch den Namen des nun Hauptverdächtigen und legte dann auf.

Vielleicht war Jonas Winter doch fähig, die Mordfälle zu lösen. Er würde dem Verdächtigen sofort einen Besuch abstatten.

Fünf blutrote BleistifteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt