Schluss

161 26 2
                                    

Ich liege auf meinem Rücken und starre hoch an die Zimmerdecke. Sie ist schlicht und neutral in weiß gehalten, ohne jegliche Verzierungen. Als würde man in ein Tor zum Himmel blicken, wirkt das weiß so grell, dass es mich fast blendet.

Ich muss schon eine Weile so liegen, spüre ich doch den Holzdielenboden immer deutlicher unter meinem Körper. Hier unten ist es schon ziemlich dunkel, obwohl sich draußen die Sonne erst gerade auf den Weg ihres täglichen Untergangs macht und ihren höchsten Standpunkt just vor wenigen Minuten überschritt. Trotzdem reichen ihre Strahlen kaum durch das Fenster, bis hinunter auf die Erde zu mir, nur mein Schreibtisch wird noch voll beschienen.

Vorsichtig greife ich neben mich und halte kurz darauf einen kühlen Griff in meiner Hand. Ich warte einige Sekunden und merke wie sich das Metall durch meine Körperhitze erwärmt. Fast als würde ich ihm leben einhauchen.

Ich beobachte, wie sich einer der letzten Sonnenstrahlen von heute an der Schneide fängt und das Messer silbern zu glänzen beginnt. Ich drehe es hin und her und verfolge den Lichtpunkt, der von dem Messer zurückgeworfen wird. Er flitzt hin und her, an der Wand entlang, über ein großes Bücherregal und wieder zurück, bis er auf meinen großen Wandspiegel trifft und mich blendet.

Schnell kneife ich die Augen zusammen und setze mich schwungvoll auf, als hätte mich irgendetwas geweckt. Das Messer liegt jetzt mit der Schneide auf meiner zweiten Hand. Langsam schließt sich meine Hand darum, als würde sie gar nicht mehr von mir gesteuert werden und ich fühle, wie sich die scharfe Seite in meine Haut bohrt.

Ich öffne meine Hand wieder und bewege vorsichtig meine Finger. Fasziniert beobachte ich ein paar Blutstropfen, die den Weg über den Rand meiner Hand finden und von ihr herunter tropfen.

Ein Schnitt noch weiter unten, über mein Handgelenk und viel mehr Tropfen, ja sogar Bäche würden sich dazu gesellen. Ein weiteres Menschenleben wäre beendet. Würde es überhaupt jemanden kümmern?

Ich habe doch die einzige Person verloren, die mir etwas bedeutet hat, der ich etwas bedeutet habe. Und liegt bei dieser Person nicht der ganze Sinn des Lebens?

Ich stehe vorsichtig auf, lasse mein Bein sich an den Schmerz gewöhnen und schaue derweil in den Wandspiegel, mit dem ich mich vor wenigen Sekunden selbst geblendet habe. Ein Gesicht starrt mich daraus an, was mich kurz erschrecken lässt.

Ich wirke eingefallen, ja, fade. Wie eine Blume, die zu lange kein Wasser mehr abbekommen hat und deshalb langsam vertrocknet. Wer beweist mir denn, dass ich nicht schon längst tot bin? Schließlich ist in diesem Spiegelbild kaum noch ein Hauch Lebendigkeit zu sehen.

Ich schaue erneut auf das Messer hinunter, welches die ganze Zeit locker in meiner Hand gelegen hat und reiße mich dann aus meiner Starre. Mit Wucht ramme ich das Messer in den Schreibtisch neben mir, sodass sogar ein großes Stück des Holzes absplittert und das Messer mit der Spitze zuerst und noch vibrierend stecken bleibt. Die rote Unterlage und der dünne Stapel beschriebenes Papier, welches auf ihr ruht, bleibt davon komplett unbeeindruckt.

Gerade will ich mich niederlassen, um noch einmal mein fertiges Buch Korrektur zu lesen, da höre ich ein lautes Hämmern an der Eingangstür. Ich humpele auf sie zu und höre in der Zeit, die ich dazu benötige noch einmal ein lautes Klopfen. Mit Schwung ziehe ich sie auf und blicke in die Gesichter von vier Männern. Drei von ihnen sind mit schutzsicheren Westen ausgestattet und haben ihre Hände schon jeweils auf ihrer Waffe, die auf Hüfthöhe befestigt ist. Nur einer von ihnen trägt keine Weste, sondern nahezu normale Kleidung.

"Winter, mein Name. Mordkomission.", nickt der Mann, ohne Weste, mir zu. Ich öffne die Tür ein Stück weiter und betrachte ihn eingehend. Er sieht geschafft, ja fast völlig fertig aus und trotzdem leuchten seine Augen voller Tatendrang. Ein breites, aber freudloses Lächeln zieht sich über mein Gesicht und ich drehe mich ohne Begrüßung herum und laufe weiter in die Wohnung. "Hereinspaziert.", lade ich die Männer ziemlich unfreundlich in mein Haus ein.

"Herr...", fängt der Mann wieder an, zu reden, doch ich unterbreche ihn schnell und laut. "Sagen Sie diesen Namen nicht!" Ich sehe wie er zusammenzuckt und die drei anderen ihren Griff um die Waffen verstärken.

Niemand hat das Recht, diesen Nachnamen in den Mund zu nehmen. Diesen Namen, den auch sie hätte tragen sollen.

"Ist schon gut.", wendet sich der Mann wieder an die anderen drei und gibt ihnen mit einem Blick zu verstehen, dass sie ihm freie Hand lassen sollen. Langsam betritt er meine Wohnung und sieht sich darin um, als würde ihn aus irgend einer Ecke ein wildes Tier anspringen wollen.

Ich ignoriere die Anwesenheit der Männer und mache mich auf den Weg in das Zimmer mit meinem Schreibtisch. Ich höre leise Schritte hinter mir und lächle freudlos, als ich merke, dass Herr Winter mir folgt.

"Ich bin Schriftsteller.", sage ich, als würde das alles erklären und greife nach den fertigen Seiten auf meinem Schreibtisch.

Zwei Schritte braucht es und ich bin beim warmen Kamin und öffne seine Tür. Eine Bewegung und die Seiten verbrennen langsam verkohlend im Feuer.

Ich richte mich wieder auf und schaue in das Augenpaar des Mannes. "Sie stehen unter Mordverdacht.", erklärt er mir schlicht und mustert jede meine Bewegungen.

Doch alles, wofür ich Augen habe, ist die verblasste Person hinter ihm, die mich überglücklich anlächelt und deren blonden Haare förmlich im Wind zu wehen scheinen.

Die Person auf dem Foto, welches ich schon Millionenmal in der Hand hatte. Doch jetzt scheint es mir fast so, als würde sie wieder vor mir stehen.

"Es waren nur noch fünf Kilometer.", flüsterte ich leise und reiße meinen Blick wieder von dem Abbild.

Pure Verwirrung steht in das Gesicht des Kommissars vor mir geschrieben, bis er langsam zu verstehen scheint.

Fünf blutrote BleistifteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt