Kapitel 6

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Als ich da lag und über das Leben und den Tod und insbesondere mein Leben und meine Entscheidungen und Fehler nachgedachte hatte, war mir einiges Aufgefallen. Einige Punkte habe ich bereits aufgezählt, aber der, der mich in den Wahnsinn trieb, habe ich euch verschwiegen. 

Es war das Wissen, dass alles, egal was du machst, sich ändert. 

Im Kindergarten hatte ich einen besten Freund. Sein Name war Jimmy. Zumindest erinnere ich mich daran, dass er Jimmy hieß. Ich weiß es nicht genau. Es kann sein, dass er einen anderen Namen trug und ich einfach zu dumm bin, mich jetzt an ihn zu erinnern. 

Oder zu krank.

Jedenfalls, Jimmy -oder wie auch immer er hieß- zog weg. Seine Mutter, eine Alleinerziehende Frau Mitte dreißig, hatte einen neuen Job in der Stadt, in der sie aufgewachsen war. 

Es war einer der schlimmsten Tage in meinem Leben. Ich verlor meinen besten Freund. Natürlich hatten wir uns versprochen, den Kontakt zu halten und unsere Mütter hatten uns versprochen, dass wir uns Besuchen können. 

Aber das waren alles nur Lügen. Wir sprachen nach seiner Abreise vielleicht drei Mal und dann starb unsere bereits strapazierte Freundschaft.

Unsere gemeinsame Zeit, die Jahre im Sandkasten und die ersten dummen Jungenstreiche, schienen zu Ende zu sein. Er hatte neue Freunde gemacht und sein Leben fortgeführt. Und das ohne mich. Er hatte ja auch keine andere Wahl. 

Auch ich hatte einfach mit meinem Leben weitergemacht. Neue Freunde, weitere Streiche, kleine Abenteuert. 

Und irgendwann vergaß ich ihn. Jimmy. Mein damaliger bester Freund, den ich versprach, ihn nie zu vergessen. 

Ich hatte mich komisch gefühlt als ich mich an ihn erinnerte. Komisch im Sinne von Merkwürdig und nicht 'Lustig'. Für einen Moment packte mich die Euphorie und ich wollte ihn unbedingt finden und ihm sagen, dass ich ihn nicht vergessen habe. Doch dies wär eine Lüge und er würde sich bestimmt nur schleierhaft an mich erinnern. 

Und in diesem Moment, zwischen Euphorie und Enttäuschung, wurde mir eines (im Bezug auf die Menschen und welche Rolle sie in deinem Leben spielen) klar. 

Menschen kommen und gehen und hinterlassen Erinnerungen und gebrochene Versprechen. 

Und man kann nichts dagegen tun. 

An diesem Abend -ich hatte den ganzen Tag verschlafen- kam Faith mit mürrischem Gesichtsausdruck in mein Zimmer. Es war das erste Mal, dass sie kein Lächeln auf den Lippen hatte. Ob es gekünstelt oder echt war, diskutieren wir nicht. 

,, Was ist los, Faithylein?", hatte ich sie neckend gefragt, um sie etwas aufzumuntern. Doch es schien nicht zu helfen. Sie hatte mich lediglich mit einem wütenden Blick angesehen. 

,, Nein, Ernsthaft. Was ist los?", hatte ich etwas ernster gefragt, jedoch mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen. 

Sie seufzte und erzählte mir von ihren Eltern. Oder eben von ihrem Vater. Es war das erste Mal, dass sie über ihren Vater, und auch etwas über ihre Mutter, sprach. 

Er hatte sie geschlagen. Eine Ohrfeige. Und wofür? Weil er betrunken war. Sie hatte nichts getan. Gar nichts. 

,, Komm her.", winkte ich sie zu mir und breitete meine Arme aus. ,, Leg dich zu mir."

Sie zögerte. Doch nach kurzem Überwinden legte sie sich neben mich und kuschelte sich an mich. 

Und in diesem Moment wurde mir klar, dass ich nur ein Mensch mit schlechten Erinnerungen und gebrochenen Versprechen für sie bin. 

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Tut mir Leid, dass so lange nichts kam. Versuche es zu ändern!

The Short Life of Noah Winters ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt