chapter 4

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Nach dem Essen erwartete mich ein Gespräch mit meiner Betreuerin. Ich fühlte mich schon entmutigt, bevor ich mich überhaupt auf den Weg zu ihr machte. Ich hatte gerade einmal einige Gabeln herunterbekommen, mein Teller war nicht einmal annähernd halb leer gewesen. Ich wollte doch wirklich gesund werden. Ich wollte es schaffen, Essen  nicht mehr mit Ekel zu betrachten,  ich wollte die Kontrolle zurück. Ich wollte das war ich mal war zurück haben. Auf dem Weg zum Büro meiner Betreuerin Frau Habicht kam ich am Gruppenraum unserer Gruppe vorbei. Die Mädchen, die auch schon beim Esse n mit mir an einem Tisch saßen, saßen hier lachend auf Sitzkissen über dem Boden verteilt. Der Gruppenraum, wurde mir erklärt, war ein "sicherer Aufentshaltort" für die Gruppe, in der wir uns treffen konnten und in der auch die Gruppentherapien stattfanden. Nach dem Essen musste man eigentlich für eine halbe Stunde daran, vermutlich, um die Bulimiker daran zu hindern alles wieder auskotzten.

Irgendwie fühlte ich mich befremdlich und schwermütig sie dort alle lachen zu sehen. Sie alle sahen so leicht und unbeschwert aus - Ich hingegen fühlte mich schwer und träge, die Kalorien zogen meinen Körper nach unten, ich fühlte mich wie mit Gewichten beladen. Ich hätte schon Probleme zwischen diesen ganzen Mädchen überhaupt in zusammenhängenden Sätzen zu reden. Sie alle wirkten viel dünner als ich und so anders - schöner, eleganter, zierlicher. Ich hingegen war immer noch schwer und unbeholfen und meine Selbstzweifel lagen auf mir wie zusätzliche Gewichte - als wäre ich nicht schon schwer genug.

Zögerlich klopfte ich an die Bürotür von Fr. Habicht. "Komm rein!" Das Büro war in pastellgrün gestrichen, an der Wand hingen ein paar Bilder. Fr. Habicht saß auf der einen Seite eines großen Schreibtisches aus hellem Holz und sah nicht von dem Bildschirm eines Computers auf als ich hereinkam. Zögerlich setzte ich mich auf einen Stuhl ihr gegenüber. Das Zimmer hatte irgendwie eine beruhigende Wirkung, aber besonders wohl fühlte ich mich nicht.

Fr. Habicht war eher rundlich gebaut, kurze braune Haare, trug überdimensional große Ohrringe und hatte einen wirklich strengen Blick auf. Sie sah immer noch nicht auf. Ich räusperte mich. "Ich weiß, dass du da bist." Dann endlich sah sie auf.

"Also Joelle. Besonders viel hast du ja nicht gegessen." Ich nickte. "Du weißt, dass du einen Essvertrag abgeschlossen hast." Ich nickte erneut. "Du weißt auch, dass du selbst mitarbeiten musst, wenn du wieder gesund werden willst." Wieder nickte ich nur. Frau Habicht schien langsam genervt zu sein. "Wenn wir schon von Mitarbeiten reden, könntest du vielleicht auch einfach mit mir reden."
Ich schwieg kurz, überlegte was ich dazu antworten kann und das einzige was mir einfiel, war, dass ich einfach nicht konnte. Ich konnte einfach nicht mehr essen, alles in meinem Körper sträubte sich bei dem Gedanken. Also sagte ich das auch, genau so. "Ich kann nicht. Ich kann einfach nicht essen. Ich hab' eine Blockade und es geht einfach nicht." Sie sah mich für ein paar Minuten einfach nur an und seufzte dann, bevor sie sprach. "Mädchen, du kannst sehr wohl. Ich sage damit nicht, dass es nur an dir liegt, oder daran, dass du dich nicht anstrengst, es liegt daran, dass du magersüchtig bist. Es liegt daran, dass deine Krankheit dich stoppt, aber das heißt nicht, dass du es nicht kannst. Du musst einfach daran arbeiten über dieser Krankheit zu stehen." Ich wusste wirklich nicht, was ich darauf antworten sollte, einerseits fühlte mich ein bisschen vor den Kopf gestoßen, weil sie mir sagte, dass ich es ja doch kann, wie jeder andere, aber zugegebenermaßen, hat sie irgendwie Recht. Klar, physisch gesehen, konnte ich essen, aber die psychische Schranke war immer noch da. Als ich nicht antwortete sprach sie weiter. "Tut mir leid, falls ich zu direkt bin, aber es bringt nichts, wenn ich dir sage, wie sehr ich dich verstehe und wie leid du mir tust. Glaub mir, ich habe schon mit so vielen Mädchen und auch Jungen wie dir gearbeitet und noch niemandem hat das etwas gebracht. Du musst die Mauer, die die Krankheit in deinem Kopf aufgebaut hat Schritt für Schritt abbauen und das geht nicht, in dem ich dir nur sage, dass das alles schon wieder wird."
Es war fast schon traurig, dass sie so sehr Recht hatte, dass sie mit ihren Aussagen genau den Punkt traf. Natürlich wurde es nicht dadurch besser, dass alle um mich herum mich belächelten. Das war einfach die einfache Vorstellung. Das wird schon. Schöne, heile Welt. Keine Konfrontation mit der Realität. Aber sie hatte Recht, das würde mich nicht weiterbringen. Frau Habicht lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und sagte dann noch "Wenn du die Anorexie überwinden willst, musst du lernen das Ganze und damit auch dich selbst zu sehen, wie es ist und damit musst du lernen, wieder ein normales Gefühl fürs Essen zu bekommen. Geh jetzt in den Gruppenraum, mein Kind." Ich machte den Mund auf, wollte eigentlich irgendetwas erwidern, einfach irgendetwas, damit ich nicht wie der größte Idiot dastand, wusste aber nicht was. Also ließ ich meinen Mund wieder zuklappen, verabschiedete mich mit einem ersticken 'Tschüss' und schlüpfte hinaus. Dort blieb ich erst einmal kurz stehen, holte tief Luft und ließ Frau Habichts Worte auf mich wirken. Sie hatte ja Recht, ich würde wirklich viel an mir arbeiten müssen. Andererseits wusste sie nicht wie es war, bei jedem Bissen daran zu denken, wie fett und widerwärtig man doch war, sie musste diesen Kampf vermutlich noch nie selbst ausfechten, sie wusste nicht, wie viel Energie es kostete, das alles Tag für Tag durchzumachen.
Ich schluckte, holte tief Luft und machte mich auf dem Weg zum Gruppenraum.

Heyhooo!
Das Kapitel ist nicht ganz sooo lang geworden, aber ich hoffe, es gefällt euch trotzdem allen. Ich werde jetzt auch versuchen regelmäßiger upzudaten, vor allem weil ich momentan nicht ganz so viel Stress in der Schule hab

xoxo, Andy

ungluecksserenadeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt