42. Kapitel

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Hailey

Ich versuche seinen Blick stand zu halten, schaffe es jedoch nicht. Javier blinzelt mehrere Male, so als wollte er sich vergewissern, dass ich wirklich vor ihn stehe. Leider ist es kein schlechter Traum, das ist leider die Realität. 

„Oilvia ... was machst ...", er bricht seine Frage ab und jetzt bin ich mir sicher, er ist nicht wegen mir da. Sondern um Tara zu suchen. Es ist ungewohnt so genannt zu werden, ich habe mich schon so an den Namen Hailey gewöhnt.
„Ich wohne hier", sage ich mit fester Stimme.
Javier scheint die Situation zu begreifen, kurz huscht ein Ausdruck von Erkenntnis über sein Gesicht, sogleich ist er aber wieder verschwunden und sein kalter emotionsloser Gesichtsausdruck lässt mich erzittern.

„Ich dachte eigentlich, ich finde nur die verlogene Schlampe die mich verlassen hat und einfach abgehauen ist, aber das ich auch mein dumme kleine Schwester treffen, hätte ich nicht gedacht. Vater wird sich freuen dich zu sehen, er ist vollkommen aggressiv geworden, als du verschwunden ist. Gleich zwei undankbare Töchter verloren", lacht Javier gehässig und ich unterbreche ihn.

„Rede nicht so von ihr, sie ist nicht verloren gegangen, sie wurde umgebracht", fauche ich und starre ihn wütend an.

„Olivia, Olivia ... es ist scheiß egal. Rosie ist weg", sagt er und würde ich es nicht besser wissen, würde ich sagen, ich hätte einen Ausdruck von Trauer und Schmerz in seinen Augen gesehen.

„Es ist nicht scheiß egal, Javier. Tu nicht so, als wäre sie ein Nichts gewesen. Wir haben sie nicht beschützen und sie ist gestorben. Wir waren ihre großen Geschwister und anscheinend ist es die „Scheiß egal" das sie gestorben ist", schreie ich aufgebracht. Rosie hat den Tod einfach nicht verdient.

„Deine Schuldzuweisung bringt sie auch nicht zurück. Das Leben geht weiter. Bist du deswegen abgehauen? Weil du nicht damit leben konntest, dass Rosie gestorben ist? Oder hattest du einfach keine Lust auf dein Leben mehr und dachtest du könntest dir einfach ein neues Leben aufbauen? Einmal Perez, immer Perez."

Ich schüttle entschieden den Kopf. „Ich bin keine Perez mehr. Ich bin nicht mehr Olivia Perez, die sich von jeden rumschubsen lässt, wie es einem gefällt. Aber wie ich sehe, bist du immernoch Vaters Liebling und Diener."

Javier kommt bedrohlich auf mich zu und ich weiche etwas zurück. Mein Blick schießt zu Tara, die mit kleinen Schritten rückwärts geht. Sie will abhauen. Ich nicke ihr leicht zu. Javiers ganze Aufmerksamkeit liegt auf mir und er achtet nicht auf Tara. Meine provozierenden Kommentare zeigen ihre Wirkung.

„Da spricht die Verliererin aus dir. Ich werde Vaters Geschäft bald übernehmen, der alte Mann wird schließlich nicht ewig leben", sagt er und ich schüttle angewidert den Kopf.

„Kapiere es doch, ich hatte nie das Bedürfnis das Geschäft zu übernehmen, ich wollte einfach nur ein normales Leben", sage ich etwas leiser und wage es nicht in Taras Richtung zu gucken. Sie muss verschwinden. Schnell.

„Lüg dir ruhig selber was vor, aber mich täuschst du nicht, Olivia", sagt Javier und kommt noch näher. Ich starre ihn fest in die Augen.

„Ich habe Angst so zu enden wie Vater, aber dir ist es anscheinend genau andersherum. Du willst alleine verbittert und ungeliebt leben, voller Misstrauen und Kontrollzwang. Wie sollte ich dich darum beneiden?"

Javier legt seinen Kopf in den Nacken und lacht. „Du neigst zu Dramatisierungen. Wieso unterhalte ich mich eigentlich mit dir?" Er dreht sich um. Tara ist weg und in diesem Moment höre ich wie etwas zu Boden fällt. Mein Bruder will auf die Tür zulaufen, aber ich bin schneller und stelle mich ihm in den Weg.
„Lass sie", sage ich energisch und sage es so laut, dass Tara auch kapiert, dass sie sich beeilen muss. Wütend packt Javier mich und stößt mich heftig zu Seite. Ich stolpere, falle und stoße meinen Kopf gegen die Kommode neben der Tür. Ich unterdrücke einen Schrei und mein Kopf fühlt sich unnatürlich schwer an. Während Javier rausstürmt, höre ich wie ein Motor aufheult und obwohl mir leicht schwindelig ist, atme ich erleichtert aus. Tara und mein kleiner Neffe sind immerhin in Sicherheit.

„Wo ist sie hin?", schreit Javier, stürmt ins Wohnzimmer und packt mich grob am Handgelenk und zieht mich auf die Füße.

„Ich weiß es nicht und selber wenn ich es wüsste, würde ich es dir nicht sagen", flüstere ich und meine Sicht verschwimmt leicht. Mein Kopf brummt und ich werde bestimmt eine Beule bekommen.

„Du kommst mit", knurrt Javier und zieht mich hinter sich her durch meine Wohnung. Meine kläglichen Versuche sich von ihm loszureißen, scheitern kläglich.
„Wir fahren nach Hause. Vater wird sich freuen." Ein letztes Mal versuche ich mich lozureißen, versuche ihn zu treten, schlage, will schreien, aber Javier presst eine Hand auf meinen Mund und unterdrückt meine Schreie.

„Langsam gehst du mir richtig auf die Nerven, kleine Schwester", knurrt er wütend und ich gebe auf. Was bringt es auch? Niemand ist da, der mir helfen könnte. Das ist nunmal mein Schicksal. Ich muss es akzeptieren, was kann ich groß machen? Das ist nunmal meine Familie ... 

Javier löst seine Hand von meinem Mund.

„Kann ich noch schnell ein paar Sachen packen?", frage ich etwas zögerlich und lasse meine Hände ergeben sinken.

Javier nickt und ich gehe schnell nach oben in mein Zimmer. In eine Tasche stopfe ich die nötigsten Sachen und ebenfalls die Pistole, die noch in meinen Hosenbund steckt. Ein letztes Mal blicke ich mich in meinem Zimmer um.
Das schwere Gefühl was sich in mir ausbreitet, kann ich nicht genau zuordnen. Mein Blick fällt auf mein Handy. Soll ich es wagen?

Schnell tippe ich die Worte ein, zögere bevor ich es abschicke. Soll ich es wirklich machen?

„Olivia, beeile dich verdammt nochmal!"

Ich atme aus. Ich kann eh nicht entkommen, ich muss gehen, auch wenn ich es nicht will. Schweren Herzens schicke ich die SMS ab und lasse mein Handy auf meinem Bett liegen. Tränen sammeln sich in meinen Augen.

Ich wünschte, ich wäre nicht Olivia Perez, die Tochter eines Drogenbosses und Anführer einer der größten Gangs. Ich wünschte, ich wäre einfach nur Hailey, das einfache Mädchen, dass eine normale Beziehung führen kann. Ich wünschte London und ich hätten eine Chance zusammen zu bleiben. 

Ich wünschte, ich könnte mit den Mann, den ich liebe, zusammen sein.

Schnell wische ich die Tränen weg, mache das Licht aus und schließe die Zimmertür hinter mir.

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London

--Eine neue Nachricht von Hailey--

Ich liebe dich. Es tut mir alles so verdammt Leid.

Aber du musst mich vergessen.


Forget meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt