43. Kapitel

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Hailey

Mein Kopf brummt noch immer und ich schließe die Augen. Ich will nicht nachdenken, ich will nicht an ihn denken. Denn dann würde mir erst richtig bewusst werden, was ich getan habe. 

Im Auto herrscht eisiges Schweigen, Javier blickt auf die Straße und ich bin auch nicht besonders scharf darauf, ein Gespräch anzufangen.

„Mamá hat dich vermisst." Ich wende meinen Kopf zu Javier.
„Ich hasse dich dafür, dass du ihr das Herz gebrochen hast." Ich zucke zusammen, so als hätte er mich geschlagen. Er weiß nicht, dass Mamá mir geholfen hat und das ist auch gut so. Er würde es nicht verstehen – er kann mich nicht verstehen.
„Mamá zu verletzten ist das letzte was ich wollte. Aber versuch mich doch zu verstehen", bitte ich und verschränke meine Hände ineinander, „Ich sollte Joel heiraten. Ich hatte Rosie verloren. Und ich konnte einfach nicht mehr da leben – es wurde alles zu viel."

„Ich verstehe, die arme Olivia ist das Opfer. So ist es doch immer, oder? Versuch doch mal mich zu verstehen! Ich verliere meine kleine Schwester, du wirst plötzlich von Vater bevorzugst, obwohl ich mir seit ich denken kann, alles erdenkliche getan habe, um Vaters Liebe zu gewinnen ... und du? Dich hat es nie interessiert, aber mich schon! Und dann haust du ab und – und kommst damit auch noch durch!" Er schreit und umklammert das Lenkrad fester. Ich senke den Blick.

„Es tut mir Leid, Javier. Wirklich. Aber ich wollte nie Vaters Aufmerksamkeit. Er hat sie mir nur geschenkt, weil ich ihm endlich etwas nutzen konnte. Ich war doch immer das schwache Mädchen in seinen Augen! Habe ich ihm nicht gefolgt, dann ...", ich breche ab. Javier weiß eh, dass Vater mich manchmal geschlagen hat.

„Gott, Olivia. Denkst du wirklich, bei mir wäre es anders?", lacht er kalt und blickt mich ab. Ich sehe den Schmerz in seinen Augen und hätte ihn in diesem Moment am Liebsten umarmt. „Denkst du, du wärst die einzige, die Schläge einkassieren musste? Glaub mir, zu dir war er noch nett."

Ich schnappe erschrocken nach Luft und blicke meinen Bruder an. Seine Schultern heben und senken sich schnell. „Vater wollte mich so machen, wie ihn. Und das indem er mich behandelt hat, wie sein Vater es getan hat."
Schwere lastet auf mir und ich könnte einfach nur heulen. Das hätte ich nicht gedacht, ich dachte immer, dass Javier das Leben ausgesucht hat.

„Ich habe einfach nur gemerkt, dass es mir noch mehr Ärger einhandelt, wenn ich mich ihm widersetzte", sagt Javier leise. Ich blicke ihn lange an.
„Es tut mir so Leid."

„Mir auch."

Wir können einfach wenig dafür. Dafür, dass wir so kaputt sind. Das unsere Familie so kaputt ist. Und während ich Javier angucke, merke ich, dass ich ihm Unrecht getan hat. Klar, er hat auch Fehler gemacht, er ist nie dazwischen gegangen, als Vater wütend wurde, hat mich nie besonders gut behandelt, war immer kalt und ist auch nicht eingeschritten, als Joel auftauchte. Aber ich habe genauso Fehler gemacht. Ich habe nie bedacht, dass Javier ein ebenso schweres Leben hat, nur weil er es nie offen gezeigt hat.


Abends halten wir an einem kleinem Hotel. Javier redet kaum mit mir, ich habe ein wenig das Gefühl, als wäre ihm seine Gefühlsoffenbarung peinlich. Mir geht es ähnlich.
In meinem Zimmer lasse ich mich auf das Bett fallen. Morgen in der Frühe fahren wir weiter.

Wie es wohl Tara geht? Ist sie schon außer Landes? Ich hoffe es.

Augenblicklich muss ich an London denken. Mein Herz schmerzt und ich vergrabe mein Gesicht im Kissen. Er hat mein Verhalten nicht verdient, ich habe ihn nicht verdient.

Ich vermisse ihn jetzt schon schrecklich. Am Liebsten würde ich zu ihm, ihn sagen, dass ich ihn liebe und wir würden ein Happy End haben. Aber so sieht es nicht aus. Die Realität ist anders. Ich sitze in einem kleinen Hotel an der Autobahn und er? Er ist wahrscheinlich unterwegs und vergisst mich. Hoffentlich.

Müde schließe ich die Augen.

Ich hätte nicht gedacht, dass es so schmerzen würde ihn zu verlassen.


London

Ich liebe dich. Es tut mir alle so verdammt Leid.                                                                                                    Aber du musst mich vergessen.

Etwas verwirrt blicke ich auf die SMS von Hailey. Was soll das denn? Schnell rufe ich Hailey an, aber sie geht nicht an ihr Telefon.

„Was ist los?", fragt Nate und ich blicke ihn an. Wir sitzen in einer Bar und ich wollte mir eigentlich, wie Hailey es wollte, einen entspannten Abend machen. Aber jetzt sendet sie mir diese komische SMS. Wieso soll ich sie vergessen? Was tut ihr Leid? Und sie liebt mich? Ein warmes Gefühl breitet sich in mir aus. Sie liebt mich. Verdammt ...
Ich wähle erneut ihre Nummer, diesesmal mit einem Lächeln. Ich muss ihr sagen, dass ich sie ebenfalls liebe und das ich für sie da bin. Das wir zusammen ihre schwere Vergangenheit durchstehen, dass ich ihr helfen will. Und endlich lässt sie mich auch.
„Hallo, dass ist die Mailbox von Hailey ...", ich beende den Anruf. Wieso geht sie nicht ran?

Als mein Handy klingelt, denke ich zuerst, dass es Hailey wäre. Aber es ist Sydney.
„Hey Syd", begrüße ich sie. Jetzt fällt es mir ein, Hailey wollte sich mit Sydney treffen. Vielleicht hat Hailey einfach nur ihr Handy vergessen ...

„Hallo. Ich wollte fragen, ob du mal deiner Freundin sagen könntest, dass wir eigentlich verabredet sind", begrüßt sie mich und ich setzte mich auf.
„Moment, Hailey ist nicht bei mir."

„Wir waren eigentlich vor einer halben Stunde verabredet. Ich dachte sie wäre bei dir. An ihr Handy geht sie nicht", erklärt Sydney und ich mache mir etwas Sorgen.

„Sie hat mir eine etwas komische SMS geschrieben", gebe ich zu und in meinem Kopf kommen gleich die schlimmsten Gedanken. Was wenn ihr etwas passiert ist? Nein. Wahrscheinlich ist es nicht. Aber diese SMS kann ich mir einfach nicht erklären ...

„Ich fahre zu ihr, wenn sie doch noch bei dir auftaucht, sag mir Bescheid."

Ich beende das Telefonat und entschuldige mich bei den Jungs mir einer etwas wagen Entschuldigung. Auf dem Weg zum Auto muss ich mich zurückhalten, um nicht gleich das schlimmste anzunehmen. Aber ich kann nicht vermeiden, dass ich mir Sorgen mache.

Was ist nur passiert?

Forget meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt