#3 || Von Heimat und Erinnerungen

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Mit dem Rücken an eine Hauswand gelehnt gleite ich an dieser langsam nach unten in den Staub der Straße.
Meine Beine fühlen sich merkwürdig schwach an, Schmerz pulsiert durch meinen Kopf.
Echter, physischer Schmerz...
Augenblicklich schnappe ich nach Luft, obwohl ich nicht atmen muss.
Bilder erscheinen in meinem Kopf, laufen ab wie ein Film.

Ein Junge in den Armen seiner Eltern...
Er lacht obwohl er vom Staub der Straße bedeckt ist und seine Knie bluten.
An den Händen der Erwachsenen setzt er seine Reise fort.
Lächelnd...
Glücklich...

"Großmutter Chiyo? Kaufst du mir bitte ein paar Süßigkeiten?"

Meister...
Ich spüre seinen Schmerz, sein Leid bei diesen Worten.
Ich spüre seine Scham, wie er versucht sich von der Pein nichts anmerken zu lassen.
Ich sehe aus seiner Sicht das Gesicht der alten Frau, spüre einen Funken Wärme als sie das falsche Lächeln erwidert.

"Aber natürlich, Sasori. Such dir aus was immer du möchtest."

Langsam löst sich das letzte Bild auf, das Lächeln von Großmutter.
Blinzelnd versuche ich die letzten Schleier zu verscheuchen und finde mich noch immer auf dem Boden an eine Hauswand gelehnt wieder.
Was war das?
Erinnerungen meines Meisters?

So wie damals, als er starb...
Ich sah seine Feinde, spürte seinen Schmerz...
Damals waren es jedoch keine Erinnerungen. Ich sah alles, was auch er sah. Beinahe zeitgleich.

Doch wieso?
Ich verstehe es nicht.
Das habe ich schon damals nicht - begreife es auch nicht jetzt - und in den letzten Wochen habe ich nicht mehr darüber nach gedacht. Ich hatte wirklich andere Sachen im Kopf.  Langsam wandert meine Hand zu meiner Brust, legt sich auf mein Herz oder dort, wo Menschen eines haben.
Es fühlt sich irgendwie warm an...
Mein ganzer Körper brennt...
Was ist nur los?
Ich bin eine Marionette und früher habe ich mir so sehr gewünscht fühlen zu können. Ich habe mir so sehr gewünscht Menschen und ihre Empfindungen zu verstehen. Erst mit Meister Sasori lernte ich Gefühle kennen und fand Gefallen an ihnen.
Fand Gefallen an dem, was er in mir auslösen konnte.
Doch nun hat er mich einfach allein gelassen. Mit diesen ganzen Emotionen und Empfindungen, mit denen ich nicht umgehen kann.
Und ich wünsche mir inzwischen nur noch, dass er wenigstens alles mitgenommen hätte, mich nicht damit alleine gelassen hätte.
Langsam erhebe ich mich wieder und laufe weiter.

Sasori...

Ich darf mein Ziel nicht aus den Augen verlieren.

Rache.

Ich muss meinen Meister rächen.

Obwohl mein Geist noch immer vernebelt ist kämpfe ich mich weiter, husche von Schatten zu Schatten, von Haus zu Haus und bahne mir so einen Weg durch das Dorf.
Erst als ich die meisten Gebäude hinter mir gelassen habe und einen Pfad in einen etwas entlegenen Teil von Suna-Gakure vor mir liegen sehe halte ich kurz inne und sehe mich um.
Wo bin ich denn hier gelandet?
Wachsam folge ich dem Weg, der mich noch weiter vom Zentrum fort und zu einem etwas abseits gelegenen Haus führt.
Kein Licht brennt darin, keine Spuren im Sand auf dem Weg führen zur Haustür. Absolut garnichts deutet darauf hin, dass dieses Gebäude bewohnt ist und dennoch rührt sich etwas in meinem Inneren.

Freude?
Trauer?
Beides würde ich sagen, doch vor allem empfinde ich Sehnsucht.
Sie zwingt mich dazu auf dieses Haus zu zu gehen.

Zuhause...

Mit sicheren Schritten folge ich diesem inneren Zwang, drücke wie selbstverständlich die Klinke nach unten nur um fest zu stellen, dass die Tür verschlossen ist. Doch das hält mich nicht auf. Aus meiner Fingerkuppe lasse ich eine kleine Nadel schießen, die in dem dunklen Holz stecken bleibt und mit der ich mich daran mache, dass Schloss zu knacken.
Gerade als ich bereits mit dem Gedanken spiele die Tür einfach auf zu treten erklingt ein leises Klicken und das Schloss springt auf. Langsam drücke ich die Haustür auf und betrete den dunklen Flur.

"Ich bin zurück...", murmel ich leise in die Leere.

"Ich bin zurück."
"Ah, Sasori. Wie war deine Mission?"
"Ein Kinderspiel, Großmutter Chiyo."

Meine Schritte hallen leise wieder, als ich tiefer in das Haus gehe. An der Wand sehe ich verstaubte Fotos von einer alten Frau, einem lächelnden Ehepaar und einem kleinen rothaarigen Kind.
Hier also ist Sasori aufgewachsen.
Hier hat er seine Kindheit verbracht.
Hier hat er den Lügen gelauscht.

Doch wo ist die alte Frau?

Ich finde die Küche verlassen vor genau wie den Wohnbereich, ein Bade- und ein Schlafzimmer. Ich weiß noch bevor ich die nächste Türe öffne, dass sich dahinter das Kinderzimmer meines Meisters befindet. Langsam laufe ich durch den ordentlichen Raum, betrachte ein paar Fotos nebem dem Bett, die Sasori mit seinen Eltern zeigen, und lasse mich auf die unbezogene Matraze nieder.
Dieser Raum ist genauso leer und verlassen wie der Rest des Hauses und dennoch erscheint er mir so vertraut, dass ich augenblicklich die Augen schließe und mir vorstelle, wie Sasori hier wohl seine Zeit verbracht hat. Ich weiß gar nicht wie lange ich so in Tagträume versunken bin, doch als ich mich endlich von ihnen los reißen kann, dringt bereits das warme Licht der Morgendämmerung durch die Fenster nach drinnen.
Und ich weiß, dass ich zu lange verharrt habe...
Eilig stehe ich auf und verlasse den vereinsamten Raum, nicht jedoch ohne noch einmal an der Tür stehen zu bleiben und einen letzten Blick zurück auf die Fotos zu werfen, auf denen sich Sasori glücklich in den Armen seiner Eltern befindet.

Eines ist sicher: Großmutter ist nicht mehr hier.
Ich weiß nicht, wann sie es das letzte Mal war.

Zur Sicherheit durchsuche ich auch den Rest des Hauses, entdecke eine Werkstatt, bei der ich mir doch noch die Zeit nehme, sie genau zu betrachten. Mein Herz wird warm bei dem Gedanken, dass Sasori hier wahrscheinlich seine erste Puppe gebaut hat.
Dass hier alles begann...
All seine Träume, all seine Pläne...

Dann verlasse ich letztendlich doch das Haus. Ich schließe die Türe hinter mir und sehe mich um.
Ich habe es zunächst nicht entdeckt, doch von hier aus hat man einen guten Blick über weite Bereiche des Dorfes. Langsam scheinen die Bewohner wach zu werden, das Dorf füllt sich mit Leben. Ich sehe Menschen zu den Geschäften laufen oder einfach nur die Straßen entlang schlendern, während die warmen Strahlen der Morgensonne alles in goldenes Licht tauchen.
Ich wende den Blick ab und laufe um Sasori's Elternhaus herum. Durch das Dorf kann ich nicht einfach gehen auch wenn ich vermute, dass ich da nicht großartig auffallen würde zwischen den ganzen Menschen. Trotzdem will ich die Gefahr nicht eingehen, als das enttarnt zu werden was ich bin.
Viel zu wichtig ist mein Ziel, als das ich mir einen so banalen Fehler erlauben und zulassen dürfte, dass man mich einsperrt.
Weiter hinter dem Haus erkenne ich in einiger Entfernung ein paar seltsam aussehende Steine und wissbegierig gehe ich auf sie zu.
Es sind mindestens fünf, sie stehen in verschiedenen Abständen zueinander und der Felswand, die sich hinter ihnen erhebt, und doch sind sie alle ähnlich einer Sanduhr geformt und stehen auf kleinen Podesten.
Erst als ich direkt vor einem dieser Gebilde stehe erkenne ich, was sie sind.

Grabsteine.

Ich lasse meinen Blick über die Namen schweifen, die mir allesamt nicht bekannt vor kommen. Langsam laufe ich weiter, betrachte die Steine, lese die Schriftzüge.

Vor einem Grab bleibe ich stehen und ein seltsamer Druck scheint sich auf meine Brust zu legen.

Kraftlos sinke ich vor dem Stein in den Sand während ich den Namen erkenne.

Chiyo

Püppchen, Püppchen - Die Rache [Wird überarbeitet]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt