#10 || Sasori vom roten Sand

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Für ein paar Sekunden betrachte ich Kitty's fast schon schockierten Gesichtsausdruck bevor ich zustimmend nicke.
"Hatte ich das etwa nicht erwähnt?"
"Nein! Nein, das hast du zufälliger Weise nicht erwähnt!", erwidert sie laut und ich bin mir nicht ganz sicher, was dieses Funkeln in ihren dunklen Augen zu bedeuten hat.
"Oh."
"Oh? Verdammt, ist das alles, was du dazu zu sagen hast!?"
Das Mädchen scheint aufgebracht zu sein und ich weiß noch immer nicht warum. Leicht lege ich den Kopf schief, mustere eingehend ihr Gesicht, welches noch immer vor allem Schock und Unglaube zeigt.
"Ich verstehe nicht, worauf du hinaus willst.", lasse ich die Puppenspielerin wissen, die daraufhin laut seufzt und ihren Kopf in den Nacken legt bevor sie sich wieder mir zu wendet.
"Ernsthaft!? Du hältst es nicht für nötig mir zu erzählen, dass dein Meister, den du unter allen Umständen rächen möchtest, Sasori vom roten Sand war? Der Sasori, der den dritten Kazekage, den stärksten Kazekage in der Geschichte meines Dorfes, getötet und zu einer Puppe umgebaut hat? Der Sasori, der bereits als Kind als Experte der Giftmischung galt? Er war der meistgesuchte und gefürchtetste Verbrecher aus Suna-Gakure!"
"Und?"
"Und!?"
Fassungslos lacht das Mädchen kurz auf, fährt sich mit einer Hand über ihr Gesicht und läuft ein paar Schritte zur Seite bevor sie umdreht und wieder kommt.
Hat sie einen Nervenzusammenbruch?
Ich denke nicht, dass die Erwähnung von Sasori's Namen ausreichen würde, um als traumatisches Ereignis zu gelten, doch genauso unsicher bin ich mir bei der Frage, ob Kitty nicht doch plötzlich den Verstand verloren hat, als sie plötzlich laut zu lachen beginnt.
Sie kommt auf mich zu und packt mich an den Schultern. Die Wärme ihrer Finger dringt selbst durch den Stoff des Mantels an meinen Körper und der Druck ihrer Hände lässt mich kurz zusammen zucken, denn schon lange hat mich niemand mehr berührt.
Verwirrt begegne ich dem Blick ihrer funkelnden Augen, ihre Lippen zeigen ein breites Grinsen und sie schüttelt mich leicht, als sie weiter redet.
"Rabiya, er war der größte Puppenspieler aller Zeiten! Der Beste in seinem Fach! Seine Werke sind legendär, seine Arbeiten könnte man fast schon als Kunstwerke bezeichnen!"

Ich wusste, dass Sasori großartig war.
Ich wusste, dass seine Marionetten Kunst sind.
Was ich nicht wusste war jedoch, dass auch andere so über ihn und seine Arbeit denken.

"Jeder Puppenspieler eifert ihm nach, auch, wenn eher im Geheimen. Wer gibt schon offen zu sein zu wollen wie jemand, der unseren Kage getötet hat? Doch Sasori's Fähigkeiten waren einfach einzigartig! Sein Blick für Details, seine Hingabe für das Puppenhandwerk und sein Streben nach Perfektion haben seine Marionetten zu den besten gemacht, die es jemals in Suna-Gakure gab! Niemand kann sich ernsthaft 'Puppenspieler' nennen, aber keine seiner Waffen besitzen! Und du verheimlichst mir, dass du mit ihm zusammengearbeitet hast!?"

Erwartungsvoll sieht sie mich an, die Hände noch immer auf meinen Schultern und dieses Funkeln in den Augen, welches ich inzwischen als Begeisterung bezeichnen würde.
Es scheint fast so als wäre Kitty so etwas wie ein riesiger Fan meines Meisters und diese Tatsache verwirrt mich nicht nur, sie macht mich absolut sprachlos.
Ich habe keine Ahnung wie ich damit umgehen soll.
Ja, Sasori war ein Genie.
Seine Marionetten sind auch die Besten, die ich je gesehen habe und sein Streben nach Perfektion ging sogar so weit, dass er selbst eine Marionette sein wollte.
Doch das ist nur das, was jeder weiß.
Ich glaube nicht das irgendjemand wirklich weiß, wie sehr dieses unerreichte Genie tatsächlich gelitten hat. Dass das Verlangen nach absoluter Vollkommenheit Segen und Fluch zugleich war.
Ein Segen für seine Arbeit, ein Fluch für ihn als Person.

Niemand kann das verstehen.
Niemand außer ich.

"Er war wirklich großartig.", flüstere ich und Kitty nickt kräftig.
"Jetzt lass mich los, wir müssen weiter."
"Oh, ja. Entschuldige.", meint das Mädchen und tritt ein wenig zurück.
Die Wärme an meinem Körper verschwindet und ich setze unseren Weg fort.
Kitty folgt mir stumm und für eine Weile ist es auch still zwischen uns.
"Ich kann immernoch nicht fassen, dass du von Sasori aufgenommen wurdest.", äußert die Rothaarige ihre Gedanken und ich nicke nur knapp.
"Ich meine: Er war wirklich unglaublich und du bist wirklich einzigartig. Ihr wart bestimmt ein fantastisches Team."

Innerlich zieht sich mein Herz schmerzhaft zusammen bei ihren Worten.
Wir waren wirklich ein gutes Team.
Waren.
Mein Meister ist tot und ich bin allein.

Es tut weh.

"Du konntest so viel Zeit mit ihm verbringen! Mit dem absolut besten Puppenmeister, der jemals existierte und nein: Ich übertreibe nicht."

Ich wünsche mir wirklich, dass sie still ist.
Kann sie endlich aufhören über Sasori zu reden?
Aufhören ihn auf seine Arbeit zu reduzieren und von ihm zu erzählen, als wäre er... naja... glücklich gewesen?
Als hätte er nicht gelitten?
Sie hat keine Ahnung.

"Und du kannst fühlen! Das heißt Sasori hatte eine lebendige Marionette mit Gefühlen an seiner Seite!"

Kann sie endlich still sein?
Kann sie aufhören davon zu sprechen, wie toll wir zusammengearbeitet haben?
Aufhören darüber zu reden, als würde es mir nichts ausmachen fühlen zu können? Als würde ich nicht nur wegen diesem Schmerz des Verlustes beinahe innerlich zerbrechen?
Als würde ich nicht leiden?
Sie hat keine Ahnung.

"Sasori hatte wirklich unglaubliches Glück dich zu haben. Du hast ihm garantiert gut getan."

"Kannst du endlich... Moment, was?"

Meine Zurechtweisung unterbreche ich sofort, da mich ihr letzter Satz ernsthaft überrascht.
Mit gehobenen Augenbrauen sehe ich zu Kitty hinüber während wir laufen und sie begegnet meinem Blick sanft.
Das breite Grinsen von vorhin ist einem verhaltenen Lächeln gewichen und das Funkeln beinahe ganz verschwunden.
"Ich denke du hast mich verstanden, Rabiya. Sasori vom roten Sand war der Beste - ohne Frage. Dieser Meinung ist jeder und jeder weiß auch, dass er nicht viel Interesse daran hatte, Freundschaften zu schließen. Er war ein Genie aber ein Einzelgänger."
Noch immer irritiert sehe ich Kitty an, die ihren Blick zurück nach vorne wendet.
"Aber auch, wenn ich ihn nicht persönlich kannte, kann ich ihn ein Stück weit verstehen. Mehr als die anderen in Suna-Gakure. Sasori war garantiert sehr einsam, auch nach seinem Erfolg. Das muss man sein, wenn man von allen respektiert wird aber nicht wirklich mit anderen Menschen auskommt. Nicht einmal mit seiner Großmutter war er wirklich gut. Du standest ihm wahrscheinlich lange Zeit über näher als irgendjemand zuvor. Du hast ihn wirklich geliebt und ich bin froh, dass er nicht immer ganz allein war. Das lässt mich hoffen, dass - eines Tages - ich auch jemanden finde, der an meiner Seite ist, wenn ich niemanden sonst habe. Dass ich irgendwann auch nicht mehr einsam bin."

Sprachlos mustere ich das Mädchen, nicht in der Lage auch nur ein Wort herauszubringen.

Ich habe mich geirrt.

Kitty scheint einer der wenigen Leute zu sein, die tatsächlich wenigstens ein Stück weit verstehen können, was in Sasori vorgegangen sein muss.
Sie reduziert ihn nicht auf seine Arbeit, nicht auf seine Fähigkeiten, sondern denkt auch an den Mann, zu dem sie gehören.
Ihr ist bewusst, dass Sasori nicht nur ein Genie war, sondern auch ein Lebewesen mit Gefühlen und Bedürfnissen.

Sie versteht es, weil auch sie leidet.

Kitty will sein wie er.
Nicht nur, weil er talentiert und klug war, sondern weil er auf der Suche nach seinem ultimativen Ziel mich getroffen hat.
Jemand, der ihn verstanden und ihn geliebt hat, wie er war.

Ja, ich habe mich geirrt.
Vielleicht sind Sasori und Kitty sich doch ähnlicher, als ich anfangs dachte und vielleicht ist Kitty nicht ganz so unerträglich wie andere Menschen.
Sie ist anders.

Püppchen, Püppchen - Die Rache [Wird überarbeitet]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt