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,,Ich hätte so vieles anders gemacht, wenn ich gewusst hätte, dass es so wird, wie es jetzt ist.''

ALICE

»Hier meine Süße.« Frau Brown, oder wie ich sie jetzt nennen darf Sandra, überreicht mir meine Entlassungspapiere, die ich noch unterschreiben muss.
Es ist jetzt schon ende Februar und ich werde auf ein Internat geschickt, da die Kinderheime hier im Umfeld zu voll sind. Sandra hat mir in diesem Monat sehr viel geholfen. Sie hat mich unterstützt und immer mal wieder in den Arm genommen. Sie ist die einzige die meine Stimme hört und wird es auch wahrscheinlich für immer bleiben.

Kurz nachdem ich wieder richtig laufen konnte, wurde ein Koffer gefunden, der mir sogar gehört. In ihm waren mein Handy, sowie Aufkadekabel, Kopfhörer und meine Kleidung. Das Handy habe ich immer noch, doch die Simkarte habe ich mit Hilfe von Sandra zerstört. Nun ist das Handy nur noch für Musik da. Was brauche ich auch noch? Schließlich habe ich keine Freunde mehr, oder Menschen denen ich etwas bedeute.

Ich unterschreibe schnell und lächel Sandra an, doch auch dieses Lächeln erreicht meine Augen nicht und ich befürchte, dass es auch nie wieder so kommen wird.
»Auf welches Internat gehe ich eigentlich?« im Moment bin ich im Mercy Hospital in Seattle. In der Nähe gibt es zwar ein Internat, doch dies ist soweit ich weiß auch überfüllt. Ich möchte dort aber nicht unbedingt hin, da es in der Nähe meiner alten Schule liegt und auf diese Personen, die dort zur Schule gehen, möchte ich gerne verzichten.

»Wie das Internat heißt, weiß ich nicht mehr, aber auf jedenfalls liegt es in Boston...« immer wenn Sandra denkt, bildet sich um ihre Nase kleine Fältchen und ihre Augen strahlen in einem anderen Ton.
»Hauptsache nicht hier.« sie nickt und umarmt mich nochmal.
»Ich werde dich vermissen. Schreib mir, egal wie. Von mir aus auch mit Briefen. Nur bitte vergiss mich nicht.« sie drückt mich noch fester an sich und ich schließe kurz meine Augen.
»Du wirst von mir hören und deine Adresse habe ich ja.« sie löst sich lächelnd von mir und hilf mir auf zustehen. Zusammen laufen wir nach draußen. Sie hält meinen Koffer und ich den kleinen Rucksack, den sie mir nachträglich zum Geburtstag geschenkt hat. Ich meinte es sei nicht nötig, doch sie ließ sich nicht abschütteln.
»Auf Wiedersehen Alice, pass auf dich auf.« ich nicke Dr. Petersen zu und gehe mit Sandra weiter.

Da Sandra mich zum Flughafen fahren möchte, packt sie meine Sachen in den Kofferraum ihres Autos und zusammen machen wir uns auf den Weg.
»Viel Spaß Süße und vielleicht findest du sogar deinen Traumprinzen.« sie zwinkert mir zu und ich hebe leicht meine Mundwinkel.
»Ja vielleicht.« wir umarmen uns nochmal und mein Flug wird aufgerufen. Ich winke ihr nochmal zu, ehe ich in den Flieger steige.
Ich suche meinen Platz und dieser ist zum Glück am Fenster.
Ich stelle meinen Rucksack vor mich ab und schnalle mich schonmal an.
Das Flugzeug füllt sich immer mehr und ein Junge meines Alters kommt auf mich zu. Da ich keine Lust habe bzw. nicht mit ihm reden werde, stecke ich meine Kopfhörer in die Ohren und lausche meiner Musik. 'A Thousand Years' von Christina Perri erklingt in meinen Ohren und ich schaue aus dem Fenster.
Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sich der Typ neben mich setzt und mit einem Mädchen redet die ihn darauf küsst.
Ich blende die beiden aus und schaue nach draußen. Es regnet, wie eigentlich immer in Seattle, doch dies stört mich nicht. Es spiegelt meine Gefühle Tag auf Tag wieder und der Duft des Regens lässt einen irgendwie anders fühlen. Wie weiß ich nicht, aber irgendwie fühlt man sich frei.

Ich mache meine Augen auf und sehe direkt durchs Fenster. Vor mir erstreckt sich ein klarer sternenbedeckter Himmel. Ich lächel kurz und ziehe mir die Kopfhörer aus den Ohren und blicke nach links.
Der Junge schläft und seine Freundin hat ihren Kopf auf deiner Schulter. Sie sehen beide echt süß aus.
Ich lächel leicht, doch dann denke ich an die Vorfälle von den letzten Monaten und meine Mundwinkel gehen nach unten. Ich schüttel kurz den Kopf und quetsche mich zum Gang raus, um auf die Toilette zu gehen. Die meisten im Flugzeug schlafen, oder schauen den Film. Es herrscht generell eine ruhige Stimmung, die entspannend auf mich wirkt.

Ich kehre wieder an meinen Platz zurück und sehe, dass der Junge wach ist und seine Freundin mustert. Sein Blick ist voller liebe und ich schlucke einmal stark, bevor ich mich wieder auf meinen Sitz fallen lasse. Der Junge schaut kurz zu mir und lächelt mich an. Auch ich hebe meine Mundwinkel und schaue aber anschließend wieder weg. Meine Kopfhörer stecke ich mir in die Ohren und höre wieder Musik. Ich weiß, dass das unhöflich ist, aber ich kann einfach nicht anders.
Ich drifte wieder langsam ab und verschwinde in meinen Gedanken. Gedanken an die Musik, an die Kunst, die ich unendlich vermisse und an das Leben. Ich habe ewig nicht mehr gezeichnet, oder Klavier gespielt, oder getanzt und ich vermisse es so unendlich. Die Kunst und die Musik, sowie auch das Tanzen waren mein Lebensinhalt und ich werde versuchen dies wieder zurück zu bekommen. Egal was kommen mag.

Durch ein Rütteln werde ich wieder wach. Ich blinzel ein paar mal und schaue dann auf.
»Wir sind gelandet.« sagt der Junge der neben mir sitzt und ich lächel ihn kurz dankbar an. Ich verstaue mein Handy in meinem Rucksack und schwinge ihn mir auf den Rücken und verlasse das Flugzeug. Draußen ist es dunkel und der Wind lässt die Flaggen tanzen.
Ich hole meinen Koffer und schaue auf den Zettel, den mir Sandra noch gegeben hat. Ein Herr Bridge soll mich wohl abholen. Ich zucke mit den Schultern und begebe mich mit meinem Koffer und meinem Rucksack zur Ankommshalle oder wie die auch immer heißt.

Ich sehe viele Menschen, die sich entweder vor Freude umarmen, lächelnd weggehen oder auf jemanden gespannt warten. All ihre Emotionen kann man in ihren Augen lesen. Jedes Funkeln der Augen, oder Zucken der Gesichtsmuskeln verrät sie.

Ich blicke mich um und sehe einen  etwas älteren Herren, so Mitte 50 mit einem Schild in der Hand stehen. Auf diesem Schild steht mein Name und ich laufe zu ihm hin. Ich bleibe vor ihm stehen und blicke ihm in die Augen.
»Bist du Alice McCarthy?« ich nicke und er seufzt erleichtert.
»Freut mich ich bin Mr. Bridge. Ich werde sie jetzt zum Internat fahren und sie zum Sekretariat geleiten.« ich nicke wieder und zusammen fahren wir zum Internat.
Mein neues Leben wird beginnen, doch das Vergangene kann man nicht vergessen. Man kann es nur verdrängen und in der hintersten Ecke des Gehirns verbannen, doch dennoch bleibt es vorhanden.

Silent Pain  *Abgeschlossen*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt