Dreizehn

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Mir war der Mund aufgeklappt. Was hatte Luca da gesagt? Mutter? Frau Holle war Lucas Mutter? War das etwa der Grund, warum er nicht ins Krankenhaus wollte? Weil er sie nicht sehen wollte, aber warum? Was war denn passiert? Frau Holle war doch immer zu mir und auch zu Tom so nett!

Lucas Gesicht war eisern und ohne Emotion auf seine Mutter gerichtet. Ich fand meine Stimme wieder. "Können sie ihm helfen?" Frau Holle guckte zu mir. "Komm rein, Luca." Luca machte einen Schritt auf die Tür zu, doch dann blieb er stehen, drehte sich zu mir um. "Kira kommt mit, sonst fängst du an mir die Ohren mit deinem Mutter-Sohn Geheule vollzuheulen." Autsch, das hatte sie bestimmt schwer getroffen. Ich nickte nur und folgte Luca durch die Tür. Er war die letzten Meter alleine gegangen und setzte sich nun auf den Stuhl. Ich stellte mich neben ihn.

"Okay, ähm...leg dich auf die Liege." Luca nickte und legte sich hin. Frau Holle wollte ihrem Sohn das Shirt ausziehen da sagte er: "Stop, ich kann das selber!" Die Ärztin nickte. Mit einem schmerzhaften Gesichtsausdruck zog er sich das Shirt aus. Ich schlug mir die Hände vors Gesicht. Sein Arm war blutüberströmt, aber was mich noch mehr schockierte war sein Oberkörper. Er war von Weißen, roten Strichen, Narben, manche tiefer, manche nur oberflächlich, überseht. Unzählige blaue, lilane und grüne Flecke bedeckten seinen Oberkörper. Frau Holle musste schlucken. Ich guckte zu ihr. Man könnte deutlich Tränen in ihren Augen erkennen. "Kind, was hast du nur..." "Lass das!", sagte Luca kalt. "Behandle mich einfach wie einen normalen Patienten und nicht wie deinen Sohn." Ich biss mir auf die Lippe. Wie konnte Luca nur so kalt sein? Lucas Mutter versuchte ihr bestes. "Okay, dann werde ich jetzt erstmal die Wunde reinigen." Luca nickte, Frau Holle ging ihrer Arbeit nach und ich stand nur wie Luft daneben und beobachtete alles. Die Zeit verstrich und Frau Holle holte einen sterilen Verband heraus. "Ich werde dir jetzt einen Druckverband anlegen." Auch dieses Mal nickte Luca nur. Als sie fertig war richtete Luca sich wieder auf und setzte sich hin, zog sich sein Shirt wieder an. Frau Holle nahm etwas abstand.
"Nun. Wie geht es dir?"
Lucas Augen funkelten sie böse an.
"Du erwartest doch jetzt nicht wirklich eine ernsthafte Antwort auf diese Frage, oder Mutter?" Und dann liefen ihr die Tränen von der Wange.
"Du tust so, als wärst du mir egal! Das stimmt nicht! Ich habe jeden Tag an dich gedacht und gehofft dich wieder zu sehen. Du bist mir nicht egal. Das warst du niemals." "Du bist mir aber egal, Mutter." Luca machte eine kurze Pause, guckte seiner Mutter in die Augen. "Du bist schuld an alle dem hier und das werde ich dir niemals verzeihen!" Luca stand auf, ging in Richtung Tür. "Du weißt ganz genau, dass es nicht meine Schuld ist, sondern die Schuld deines Vaters!" Luca blieb stehen. "Aber du hast ihn nicht aufgehalten." "Und das war der größte Fehler in meinem Leben!", weinte Frau Holle. Luca öffnete die Tür, guckte über die Schulter wieder zu mir. Es war ein Zeichen um ihm zu folgen und das tat ich auch. Er wird es bestimmt nicht zugeben, aber er braucht mich jetzt. "Bitte komm wieder nach Hause!", flüsterte die Ärztin hinter uns. Ich ging durch die Tür. "Nein." Keine Emotion nur pure Kälte. Mit diesen Worten schloss er die Tür und ließ seine weinende Mutter zurück.

Ich lief neben Luca her, durch die leeren Gassen. "Wie geht es dir?", fragte ich vorsichtig. Abrupt blieb er stehen. "Fang du jetzt auch nicht noch damit an!" "Es...es tut mir leid. Ich dachte nur du möchtest vielleicht darüber reden." Luca seufzte und setzte seinen Weg fort. Ich lief einfach stumm neben ihm her.

Wir gingen durch den Park und plötzlich blieb Luca wieder stehen. Verwirrt drehte ich mich zu ihm um. "Was ist..." "Setz dich." Er deutete auf eine einfache Parkbank. Immer noch verwirrt lief ich zu ihm und setzte mich neben ihm. "Du hast recht. Ich muss es einfach irgendwem erzählen." Was. Er will es mir wirklich erzählen?! Gespannt wartete ich bis er anfing zu erzählen.

"Mein Vater war schon, solange ich mich zurückerinnern kann, spielsüchtig. Er hatte keinen Job und verbrachte den ganzen Tag in der Spielhalle. Er hat tausende von Schulden gemacht. Irgendwann hat er sich dann Geld bei den falschen Typen geliehen. Sie haben ihn unter Druck gesetzt, wollten das Geld mit Zinsen zurückbezahlt bekommen. Mein Vater konnte es aber nicht. Er ist regelrecht abgestürzt. In die Drogensucht und hat dort auch immer mehr Schulden gemacht." Luca machte eine Pause, wischte sich einmal über die Stirn. Für ihn war das offensichtlich nicht leicht!
"Eines Tages kamen die Typen, darunter auch Nick zu uns nach Hause. Und wollten ein ernstes Wort mit ihm reden. Aber leider hat meine Mutter nicht die Tür geöffnet, sondern ich. Nick hatte die glorreiche Idee mich mitzunehmen und dafür meinem Vater die Schulden zu erlassen." Ich schlug die Hände vors Gesicht. Ich könnte mir schon denken was geschehen war, trotzdem musste ich es hören.
"Mein Vater hasste mich. Er sah mich als eine Last. Ohne mit der Wimper zu zucken hat er zugestimmt und meine Mutter hat zugesehen und nichts gemacht." Luca fing an zu zittern, doch er redete weiter. "Ich war damals noch so jung, verstand aber trotzdem alles, alles was zu mir gesagt wurde, was mit mir gemacht wurde. Mein Vater ist vor ein paar Jahren gestorben und ich hasse ihn, ich hasse ihn so sehr. Er hat mich in die Hölle geschickt und meine Mutter hat zugeguckt." Luca hörte auf zu erzählen.

"Und du kannst gar nichts machen? Also ich meine, du kannst nicht einfach wieder nach hause?" Luca schüttelte den Kopf. "Ich habe es versucht. Zusammen mit Tom. Wir hätten es sogar fast geschafft, aber wir haben eine wichtige Sache vergessen." Ich guckte ihn fragend an. "Die Straße lässt dich nicht frei!"
Er stand auf. Ich folgte ihm. "Deswegen bin ich mir auch so sicher, dass Tom zurückkommen wird. Er kann sich nicht ewig verstellen." Ich guckte ihn fragend an. "Verstellen?" "Er hat auf der Straße gelebt und das mehrerer Jahre. Du bekommst vielleicht den Jungen von der Straße, aber nicht die Straße aus dem Jungen" Genau den gleichen Satz hatte Nick auch in seinem Brief an mich verwendet.
"Er hat sich von Grund auf geändert und keiner kann es umkehren. Unser denken und handeln ist anders.", sagte er. Ich presste die Lippen aufeinander zu einem Strich. "Und bald wird es dir auch so gehen." Er flüsterte es eher zu sich selbst, doch ich verstand jedes Wort.

Streetlife. Die Straße lässt dich nicht frei!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt