Kapitel 17

2.6K 147 42
                                    

Am nächsten Morgen verschlief ich meinen Wecker nicht, weshalb ich Traian in der Küche antraf. Ich erzählte ihm alles und er versprach mir, beim Tragen meines Gepäcks zu helfen. Etwas, wofür ich dankbar war. Weniger, weil ich wirklich Hilfe dabei brauchte, aber es wurde, wie ich schon angenommen hatte, kein Abschied mit viel Tamtam, weshalb ich froh war, wenigstens Traian bei mir zu haben. Ich war erleichtert, als meine Kutsche von dem Anwesen rollte. Diese ganze Reise war wie ein Traum gewesen, oder ein Märchen, in dem die junge, bürgerliche Frau am Ende den Prinzen heiratete, und nun wurde es Zeit, wieder daraus aufzuwachen. Denn ich stand nun sehr realen Problemen gegenüber und nicht nur einem verloren gegangenen Schuh. Ich hoffte darauf, mit dem Nachlass meines Vaters die Haushälterin und die Beerdigung bezahlen zu können.  Wie ich in Zukunft für Daniel sorgen sollte, wusste ich nicht.

Die Tage bis zu meiner Ankunft in Birmingham verstrichen recht schnell, obwohl ich geglaubt hatte, ich würde mich zu Tode langweilen. Ich wies den Kutscher an, zuerst zum Haus meines Vaters zu fahren, fand dieses jedoch verschlossen und verlassen vor. Also war das nächste Ziel das Heim von Susan Witt, der Haushälterin.

"Miss Tales", begrüßte sie mich überrascht. "Ich hatte Sie nicht so früh erwartet."

"Vermutlich weder so früh, noch so spät, tut mir leid, dass ich Sie um diese Uhrzeit noch aufsuche." entschuldigte ich mich. "Danke, dass Sie an mich geschrieben haben, Miss Witt. Ich bedaure, dass... meine Familie Ihnen so viele Umstände bereitet."

"Das macht nichts. Mein Beileid zum Tod Ihres Vaters."

"Mein Beileid, dass Sie ihn gefunden haben. Und vielen Dank, dass Sie Daniel einfach so bei sich aufgenommen haben. Ich nehme an, Sie bekommen noch Ihren letzten Lohn, ja?"

"Ja."

"Gut, dann rechnen Sie doch bitte noch das dazu, was Sie für Daniel aufbringen mussten."

"Es ist nur eine Kleinigkeit, die ich-"

"Ich bestehe darauf. Wo ist er überhaupt?"

"Ich habe ihn bereits zu Bett gebracht." Sie lächelte. "Er ist ein lieber Junge."

"Ich freue mich darauf, ihn richtig kennen zu lernen. Wissen Sie vielleicht, an wen ich mich wenden muss, um etwas über den Nachlass und die Beerdigung zu erfahren?"

Witt sah betreten zu Boden. "Für den Nachlass müssen Sie sich an diesen Herren wenden." Sie gab mir einen Zettel mit einer Adresse.

"Und die Beerdigung?"

"Sie fand schon statt. Da er Selbstmord begangen hat, wurde er außerhalb der Stadt beerdigt."

"Oh. Natürlich. Könnten Sie Daniel vielleicht noch eine weiter Nacht bei sich behalten? Morgen wil ich mich um den Nachlass kümmern. Vielleicht kann ich dann am Nachmittag mit ihm abreisen."

"Das ist kein Problem. Ich kann auch noch ein Zimmer für Sie herrichten, wenn Sie hier bleiben wollen."

"Danke, aber ich bin schon in einem Gasthof eingemietet." Ich stand auf und verabschiedete mich bis auf den nächsten Tag.

Das Erbe war enttäuschend. Mehr als enttäuschend. Anscheinend hatte mein Vater in den letzten Jahren mehr Zeit auf das Trinken verwendet statt auf das Arbeiten. Das Haus und die Wekstatt waren gemietet und nachdem ich die offenstehenden Rechnungen beglichen hatte, blieb praktisch nichts mehr übrig.

Niedergeschlagen packte ich meine Sachen zusammen und heuerte einen Kutscher an, der mich mit einem kleinen Abstecher zu Susan Witt nach London bringen würde. Als die Haushälterin mich herein ließ, stand mein kleiner Bruder schon abfahrtsbereit im Flur und sah mich mit großen Augen an. Ich verdrängte meine Sorgen und erwiderte seinen fragenden Blick mit einem Lächeln. "Weißt du noch, wer ich bin?"

Nur reden will ich Dolche, keine brauchen.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt