Eine ältere Frau mit lockigen, grauen Haaren seufzte schwer. "Das Kind kam viel zu früh. Es war nich einmal ansatzweise weit genug entwickelt, um überleben zu können. Sie sollte ihm folgen, Miss. Ich fürchte, er gibt sich die Schuld an allem."
"Und sie?" Ich deutete auf die still da liegende Lady.
"Es geht ihr soweit gut. Sie ist ohnmächtig geworden, aber gesund."
"Warum ist das passiert? Wenn sie gesund ist, warum kam das Kind dann zu früh?"
"Ich weiß es nicht." Die Frau schüttelte traurig den Kopf. "Solche Dinge passieren, Gott wird seine Gründe dafür haben. Und jetzt bitte ich Sie, dem Mann zu folgen, sonst tut er womöglich noch schlimmes."
Ich nickte und ging, froh, den stickigen Raum verlassen zu können. Da ich nicht glaubte, dass Adrian gerade die Gesellschaft anderer suchte, folgte ich dem Tunnel nicht zurück, sondern ging weiter in die Dunkelheit hinein. Tatsächlich fand ich ihn nach einigen Schritten in einer Nische sitzend. "Mylord?" Als er sich nicht rührte, legte ich ihm sanft eine Hand auf den Arm. "Mylord, geht es Euch gut?"
Schließlich sah er mich kummervoll an. "Ob es mir gut geht? Ich trage die Schuld an dem Tod meines Neffen!"
Ich wich erschrocken zurück. "Das stimmt nicht. Ihr tragt keine Schuld", sagte ich leise. Mir war gerade etwas klar geworden. Adrian trug tatsächlich keine Schuld, konnte er gar nicht, denn er hatte ja keine Ahnung gehabt. Ich aber schon. "Es ist meine Schuld." Bevor der Lord etwas sagen konnte, ging ich an ihm vorbei.
Nachdem ich eine zeitlang durch die teils natürlichen, teils in den Fels gehauenen Gänge gelaufen war, erreichte ich einen kleinen See. Der große Stein, auf dem ich mich niederließ, war fast in der Mitte des Sees, doch man hatte einen lückenhaften Pfad vom Ufer her aufgeschüttet. Ich tauchte eine Hand in das dunkle Wasser, das mich umgab, und zog sie schnell wieder raus. Es war eiskalt.
Ich seufzte schwer. Es war nur eine Frage der Zeit, bis man mich hier finden würde und dann... Ich hatte etwas unverzeihliches und verantwortungsloses getan. Wenn ich dem Lord oder auch nur Traian von Eleanors Schmerzen berichtet hätte, würde das Kind jetzt sicherlich noch im Bauch der Mutter ruhen, denn die Lady wäre zu einem Arzt gegangen. Möglicherweise wäre die ganze Sache dann an die Öffentlichkeit geraten, aber das wäre immer noch besser, als ein totes Kind. Und ich hatte es durch meine Willensschwäche und meine Dummheit umgebracht. Wahrscheinlich konnte ich froh sein, dass die Lady überhaupt noch lebte.
Ich begann lautlos zu weinen. Einerseits verfluchte ich mich für mein Selbstmitleid, andererseits... hätte ich gar nicht auf die Reise mitgehen sollen. Ich sollte jetzt in meiner Schneiderei in London neben Isabella sitzen. Ach Isabella! Ich würde ihr einen Brief schreiben und darin ihre Ausbildung für beendet erklären und ich würde ihr meinen Laden vermachen. Ich konnte nur hoffen, dass ich einen Brief aus dem Gefängnis schicken konnte. Würde man mich überhaupt einsperren? Gab es ein Gefängnis für Frauen? Ich schluckte. Ich trug die Schuld an einem Tod, ich war eine Mörderin. Mörder sperrte man nicht ein, für sie gab es nur noch eine Hinrichtung.
Um nicht mehr daran denken zu müssen, tachte ich beide Hände in das eisige Wasser und biss vor Schmerz die Zähne zusammen, als meine Finger in der Kälte taub wurden.
"Catherine?" Ich sprang auf. Hatten sie mich etwa schon gefunden? In dem diffusen Lciht konnte ich die Gestalt Lord Adrians ausmachen. "Catherine, was tust du da?" Als ich nicht antwortete, sprach er weiter. "Was meintest du damit, dass du die Schuld trägst? Du hast damit überhaubt nichts zu tun."
"Woher wollt Ihr das wissen?"
"Ich bin mir... Ah, Traian. Sie ist dort drüben, auf dem See." Ich seufzte. Warum war er schon wieder zurück?
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Nur reden will ich Dolche, keine brauchen.
Ficción históricaCatherine Tales führt ein kleines Schneideratelier. Das jedoch nur mit Mühe und Not, da die Leute eine junge Frau, die einen eigenen Laden besitzt, kritisch beäugen. So kommt es Catherine gerade recht, dass ein Lord an ihre Tür klopft und ihr ein in...