Linnet Silene
Am nächsten Tag ist der letzte zum gemeinsamen trainieren.
Pünktlich um zehn fangen wir an.
Ich gehe sofort wieder zum Hindernisparcours und dieses Mal klappt es besser. Ich werde zwar noch immer ab und an getroffen, aber ich falle nicht herunter, sondern laufe einfach weiter, ohne mir etwas anmerken zu lassen. Es tut allerdings verdammt weh und nach einem Durchgang lasse ich es bleiben und versuche mich im Speerwerfen. Ich finde es nicht sonderlich schwer zu werfen, doch treffen ist eine ganz andere Sache. Auch Lyra und Luca stoßen zu mir, als die Station grade leerer ist.
Wir werfen zusammen ein paar Mal, aber dann kommt der Junge aus drei und wir gehen weiter.
Meine schmerzenden Gliedmaßen haben sich wieder soweit beruhigt, wie es geht, wenn man Speerwerfen macht, nachdem man verprügelt wurde und ich versuche mich im Klettern und schwingen.
Insgesamt läuft das ganz gut, ich bin nur fünfmal runtergefallen, bei dem versuch mich in zwei Metern Höhe an einem Gerüst mich von einer Stange zur nächsten zu schwingen, und nicht die erwarteten fünfzig Mal, bevor ich an das andere Ende komme. Zum Glück liegt darunter eine Mathe, sodass ich mir nicht wirklich wehtue.
Dann gibt es Mittagessen und ich rede mit Lyra und Llucah über Möglichkeiten in der Arena zu überleben.
Nachdem wir aufgegessen haben und das Training wieder begonnen hat gehe ich noch einmal zum Speerwerfen und versuche es, aber ich weiß, dass ich es wenn möglich vermeiden muss, diese Waffe in der Arena zu benutzen.
Danach wiederhole ich die giftigen Pflanzen, mehrere Fallen, Messerwerfen, den Hindernisparcours (diesmal mit nur einen Keulenschlag gegen mein Bein), Klettern, Bogenschießen und die anderen Stationen, an denen ich in den letzten Tagen trainiert habe, in einem Schnelldurchlauf.
Mit dem Ergebnis bin ich ganz zufrieden, auch wenn ich für das Hangeln immer noch vier Anläufe benötige.
Lyra und Llucah sind die ganze Zeit bei mir gewesen, aber als ich in der letzten viertel Stunde zu einem Stand mit Blasrohren und Giftpfeilen will, der vollständig leer ist, räuspert sich Lyra und meint, dass sie dort nicht hin will.
Ich habe längst durchschaut, dass ihre Taktik ist, ihre Stärken nicht anzupreisen, also nur zu den leereren Stationen zu gehen, deshalb verstehe ich sie nicht.
„Wieso denn nicht?", frage ich deshalb. „ Komm schon! Versuch es doch einmal!"
„Ich will die letzte Viertelstunde lieber nochmal versuchen Messer zu werfen! Wenn ich ein Messer hab kann ich damit in der Arena viel mehr anfangen!", meint Lyra.
„Also gut!", lenke ich ein.
So verbringe ich die letzte Zeit damit zusammen mit den beiden noch ein wenig zu werfen und am Ende trifft sie eine der Puppen in die Nähe des Herzens.
Zum Abendessen gibt es irgendeinen Eintopf mit einem mir unbekannten Gemüse.
Carabean fragt mich über das Training aus und ist erfreut, als ich ihr erzähle, wie gut der Hindernisparcours beim letzten Durchgang gelaufen ist.
Nach einiger Zeit, in der ich mit Carabean gequatscht habe, meldet sich Fevaric plötzlich zu Wort.
„Ach übrigens!", setzt er an. „Ich weiß jetzt, mit wem ich mich verbünden könnte!" Er scheint die gewohnte Aufmerksamkeit unserer Betreuerin zu vermissen.
„Wer ist es denn, mein Lieber?", fragt Carabean neugierig.
„Die aus 1,2 und 4!"
„WAAAS?", klappernd fällt mir die Gabel aus der Hand. Ich hätte erwartet, dass es jemand aus den ärmeren Distrikten ist – keinen Augenblick habe ich geglaubt, dass es die Karrieros sein könnten, die diesen Trottel bei sich aufnehmen würden... Gut sie sind beim Training immer nur zu fünft umhergelaufen... wahrscheinlich wollten sie lieber zu sechst sein und lassen sich nun dazu herab jemand außenstehenden aufzunehmen...
Ehrlich gesagt habe ich mich ein bisschen geschmeichelt gefühlt darüber, dass die Karrieros zu mir gekommen sind. Aber anscheinend liegt es nicht daran, dass ich gut genug für sie bin, sondern schlicht und einfach daran, dass sie jemanden suchen, der für sie die Drecksarbeit macht.
„Jaaa! Die Karrieros! Da staunst du, was?", meint Fevaric überheblich. „Dich haben sie nicht gefragt! Da sieht man mal wieder, wer hier der bessere ist!"
Wütend funkele ich ihn an. „Sie haben mich sehr wohl gefragt!", zische ich.
Fevaric zieht überrascht die Augenbrauen hoch.
„Ich habe abgelehnt! Du bist nur die zweite Wahl!", sage ich, während ich aufstehe. „Sie brauchen jemanden, der die Drecksarbeit für sie erledigt, und darauf habe ich keine Lust... viel Spaß dabei!" Ich sehe nicht mehr, wie Fevaric guckt, auch, wenn der Blick köstlich gewesen sein muss. Stattdessen laufe ich ziellos durch das Trainingscenter.
Dieser Angeber Fevaric macht mich wütend, zusätzlich bin ich unruhig, wegen dem baldigen Beginn der Hungerspiele. Heute hat das letzte reguläre Training stattgefunden, morgen würden wir das Einzeltraining vor den Spielmachern absolvieren und übermorgen würde das Interview stattfinden, am Morgen darauf geht es in die Arena.
Ich komme an eine Treppe, die ich nie zuvor gesehen habe. Neugierig, wo sie hinführt laufe ich nach oben.
Dort kommen noch weitere Treppen. Vorbei an Fluren mit verschlossenen Türen laufe ich immer weiter.
Lyra Centaury
Im Apartment treffe ich auf sie. Offensichtlich hat sie sich von dem Vorfall beim Frühstück wieder eingekriegt: "Wieso bist du denn schon hier? Warum bist du nicht trainieren?", hakt sie nach als ihr fragender Blick keine Antwort aus mir herausprügelt. "Ist doch egal, oder? Wir sollen ja so und so nicht trainieren, dann kann ich mich auch hinhauen und pennen! Ich habe Kopfschmerzen", ich bin schon schlecht gelaunt und jetzt kommt sie auch noch und reizt mich.
"Sag mal, fängst du jetzt auch damit an!? Hört doch auf meine Taktik anzuzweifeln! Und außerdem hab in keinem Wort gesagt, dass ihr nicht trainieren sollt!"
"Klang für mich aber ganz anders. Diese Taktik ist einfach nur die größte Unsinn.", belle ich zurück, doch sie entgegnet aufbrausend: "Hat Llucah dir das eingeredet? Vorhin warst du doch auch noch auf meiner Seite", man sieht ihr an wie wehleidig sie sich ans Frühstück erinnert. "Ich habe nie behauptet, dass ich auf deiner Seite war. Ich wollte nur nicht, dass Llucah ... es übertreibt. Aber er hatte eigentlich absolut recht! So werden wir gleich getötet!". Mein Satz ist kaum beendet, doch schon schießt sie wieder zurück, ihre Augen zusammengekniffen: "Warum müsst ihr euch in die Entscheidungen einmischen, die ich getroffen habe?", brüllt sie. "Weil du sie getroffen hast! Alleine! Du entscheidest einfach über unser Leben, ohne dass wir etwas darin mitzureden haben!", ich wusste es nicht, aber ich bin mir mehr wert als ich in Erwägung zog und überdenke meine Gedanken, die mir durch den Kopf gingen bevor ich ins Apartment stürzte. Ramith versucht ihre Stirn zu glätten, atmet durch um sich zu beruhigen: "Diese Strategie ist übrigens kein Unsinn! Sie wird dir noch das Leben retten! Eure Gegner dürfen doch nicht wissen mit wem sie es zu tun haben! Dann schlagt ihr zu und zeigt euer wahres Gesicht! Alles wohlüberlegt! Und dann kommst du an gekrochen und willst dich entschuldigen!", doch ich kann mich einfach nicht beruhigen: "Nun zeigst du hier dein wahres Gesicht! Leider kann ich wenn ich tot bin mich nicht mehr entschuldigen, denn diese Strategie wird mich genauso retten wie sie Yuna gerettet hat!". Schweigen. Perplex klappt ihre Fresse auf und erstarrt: "Dass du es wagst. Yuna hat mir auch vertraut. Wieso kannst du es nicht?", sie will unserem Gespräch ein Ende setzen, will das letzte Wort behalten und flüchtet in den Essbereich. Doch so leicht geht das nicht. Ich bin noch nicht fertig.
Ramith hat die ersten Hungerspiele gewonnen, Yuna die zweiten verloren.
"Du warst doch ihre Mentorin! Du hast dafür gesorgt, dass ich nie meine Schwester kennenlernen durfte! Wie jung sie war! So jung!", mein Körper bebt, als ich durch den Raum auf sie zu gehe. "Und ihr seid zu jung, um beurteilen zu können und zu wissen, was besser ist! Ihr habt keinerlei Erfahrungen! Ich bin es, die gewonnen hat! Und sie ist immerhin Zweite geworden!", schreit sie mir entgegen. "Es gibt keinen zweiten Platz! Entweder man gewinnt oder man wird abgemetzelt! Es gibt nur eine Chance, Ramith. Und leider habe ich bemerkt, dass mein Leben wertvoll genug ist, als dass ich mal irgendwas ausprobiere."
"Ich wende diese Strategie schon seit über zwanzig Jahren an -"
"Und keiner hat mehr gewonnen von uns. Llucah hat recht!", erinnere ich mich an seine Worte am Tisch. "Deine Schwester hat bis zum Ende durchgehalten - ", beginnt sie aufgebracht. "Ich weiß genau, was meine Schwester geleistet hat. Das ist aber nicht dein Verdienst. Du hast ihr nicht geholfen. Du hast sie umgebracht!"
Meine alte Wut, die Wut meine eigene Schwester nie getroffen zu haben, die Wut, dass man sie mir einfach genommen hatte, mischt sich in die gegen meine Mentorin.
Woher auf einmal dieser Zorn kommt, kann ich mir nicht erklären. Alles hier im Kapitol ist einfach zu viel. Aber genauso wenig bin ich fähig ihn zu zügeln.
"DU sagst mir, ICH hätte sie umgebracht!?", brüllt Ramith und ihre Worte hallen durch den Raum, " Ich habe sie genauso wenig gehen lassen wollen wie du! Du hast doch überhaupt KEINE Ahnung, wie es für mich war! Aber ich habe bis zum Schluss getan was ich konnte um ihr zur Seite zu stehen und ihr zu helfen.".
"Du hast NICHTS getan! GAR NICHTS! Du bist eine Mörderin und eine miese Lügnerin! Du willst doch gar nicht, dass wir wiederkommen, hab ich recht!?", ich packe den Obstkorb, der so schön dekoriert auf dem Tisch steht und schmettere ihn mit voller Kraft auf den Boden, sodass einige blaue Früchte zerplatzen und den Boden mit einzigartigen Mustern verschönern. Erst denke ich, Ramith holt aus, um mir eine zu knallen, doch dann dreht sie sich bloß um und verschwindet aus dem Zimmer.
Bei Tisch berichten wir über unseren Fortschritt, was das Training betrifft. Die Stimmung ist immer noch angespannt. Keiner öffnet den Mund um etwas zu sagen, nur um sich Essen in den Mund zu schieben. Keiner schaut sich an.
Hinterher nimmt Llucah die Dusche in Anspruch und ich nutze die Chance, mich im Gebäude umzuschauen, welche mir vorher nie gegeben war, und diesem unter Strom stehendem Klima zu entfliehen und meinem Ärger Dampf zu machen. Ich verlasse das Apartment und mache mich auf die Suche nach gar nichts. Ich bin einfach nur aufgebracht, und bestürzt, und ...Vielleicht suche ich Ablenkung vom Schmerz Ramith über meine gefallene Schwester reden zu hören.
Stetig eilen Avoxe über die Gänge. Linnet sehe ich und winke ihr zu, aber sie schaut nicht herüber. Ich versuche mir den Weg zu merken den ich schon durch dieses Labyrinth gegangen bin, doch ich habe mich bereits verlaufen. Viele Türen verbergen die Räume, die ihnen anschließen. Meine Neugier lässt mich an einigen rütteln, doch sie erweisen sich als verschlossen. Meine Erkundungstour setzt sich fort.
Die Wut ist langsam aber sicher verdampft. Ich musste einfach nur etwas die Luft rauslassen. Einen Menschen, welcher nur auf Streit aus ist und schreit was das Zeug hält, nur um des Streites Willen, kann man mich weiß Gott nicht nennen. Schuld ist unsere Situation, die mich aus meiner Haut fahren lässt; die hier und jetzt schon beginnt mich zu verändern.
Auf leisen Sohlen schleiche ich in ganz einsamen und abgelegenen Korridoren umher. Gott sei Dank weiß ich nicht, ob das überhaupt 'legal' ist, was ich hier veranstalte, denn wäre es das nicht und ich wüsste es, würde mir möglicherweise ein Problem aufgebunden sein. Andererseits würde es das Kapitol nicht interessieren, ob ich nun ihre Schilder (wenn denn nun welche existieren) unabsichtlich missachtet habe oder mit vollem Bewusstsein.
Ein Schild mit der Aufschrift "Theroux Yeoman" macht mich stutzig. Die Tür mit diesem Namen macht einen normalen Eindruck, wie jede andere Tür hier auch, aber ich möchte erfahren, wer dieser Yeoman ist.
Das Fenster, welches eine Form hat, die man nicht mit Worten unserer Sprache beschreiben kann, wurde erfunden um hindurch zu luschern, also muss ich es ja auch ordnungsgemäß anwenden. Weiße Wände und heller Fußboden auf einem langen Gang, sind alles, was ich erspähen kann. Keiner da. Wo ist denn hier die Klinke? Existiert nicht, ok. Dann ... was ist das? Ein Armaturenbrett mit einer glatten Fläche. Als ich es vorsichtig berühre, leuchtet es auf und piept laut, und ich bete inständig, dass dieses Geräusch in kein anders Ohr gelangt ist. Instinktiv muss ich noch einmal die Lage auf der andern Seite der Tür checken.
"... Keine Ahnung. Frag' sie doch selbst!", ertönt eine Stimme. Sie gehört dem Mann, der gerade eine Tür am anderen Ende des Korridors öffnet und auf dem hellen Fußboden auf mich zu schlendert. Mist! Schnell weg hier!
So leise wie ich kann renne ich um eine Ecke und bringe mich in Sicherheit. Ein dunkelhaariger Mann, mit grauen Strähnen in Begleitung von zwei Friedenswächtern tritt aus der Tür. Eine Zigarre paffend, ruft er etwas. Der Gestank macht es mir unmöglich zu atmen und ich halte die Luft an. Das ist Theroux Yeoman. Der sieht zumindest aus wie ein Theroux Yeoman. Absolut unsympathisch. Arrogant. Und Fies. Seine Falten verraten, dass er schon über die Fünfzig sein muss oder das Rauchen lässt ihn einfach nur altern. Ein Schauer läuft über meinen Rücken. An seinem graublauen Nadelstreifenanzug zeichnet sich sein rundlicher Bauch ab. Seine Stimme klingt rau, wie durch einen Raspel gedreht. Keine Ahnung ob ich vorher einen Grund hatte mich zu verstecken, aber jetzt habe ich auf alle Fälle einen. Mit seinen "Bodyguards" stolziert er in die entgegengesetzte Richtung von mir. Als sein abscheuliches Gelaber verklingt, husche ich die Flure entlang, in die Richtung in der vermeintlich mein Apartment liegen müsste, auch wenn ich keinen Drang verspüre wieder auf Ramith zu stoßen. Doch wer weiß wo sie sich hin verzogen hat.
Statt den Weg zurück wiederzufinden, lenkt eine Glastür meine Aufmerksamkeit auf sich. Hier bin ich vorher aber nicht lang gekommen. Auf Wiesen oder im Wald finde ich mich hervorragend zurecht, doch dieser Dschungel ist aus hässlichen, faden Farben, ohne jeden Hauch der Veränderung, in dem eine Orientierung schlichtweg unmöglich ist.
Vorsichtig stoße ich den einen Flügel der Tür auf und befinde mich auf einer marmornen Treppe. Das Licht lässt die versilberten Geländer blitzen. Ich muss gestehen, dass es absolut fantastisch aussieht. Vor meinen Füßen erkenne ich mein Spiegelbild. Da es mir nicht verwehrt bleiben soll, zu erfahren was sich oben verbirgt, stampfe ich voller Entdeckungsfreude die Stufen hinauf.
Es sind eine Menge Absätze, die ich zu bewältigen habe, bis sich vor mir der Nachthimmel auftut. Eine sich automatisch öffnende Tür, gewährt mir Zugang auf das Dach des Kapitols. Diese unglaublich frische Luft, im Vergleich zu der stickigen Atmosphäre in dem Apartment, sauge ich in meine Lungen ein. Die Lichter der Stadt erinnern mich stark an die Sterne, die ich von Zuhause aus immer beobachtet habe. In dem Zusammenhang auch an meine Schwester, die von den weit entfernten Gaskörpern auf mich herunter schaut, mir Mut zuspricht und stolz auf mich ist. Und schon ist meine Ablenkung dahin.
Ein paar Pflanzen verdecken mir die Sicht um die Ecke. Ich schaue mich um. Der Mond ist ein heller heute Nacht und er zieht magnetisch mein Blick auf sich. Schritt für Schritt taumele ich rückwärts, um mich zu setzten aber keinen Moment dieser gigantischen Aussicht zu verpassen.
Ein Aufschrei hinter mir. Ich fahre herum. Schock. Eine Frau mit blutigen Armen starrt mich an. Der Mond spiegelt sich auf etwas in ihrer Hand wieder. "RAMITH!!!!"
Mit einem Satz bin ich bei ihr und trete ihr gewaltsam gegen die Hand. Das Messer, welches sie umklammerte, fällt klirrend zu Boden. Mein Augenschein schweift auf ihr nasses Gesicht, ihre Augen vor Schreck weit aufgerissen. Mit zitternden Gliedern packe ich ihren Arm und reiße ihn hoch, dass wir nicht anders können als in anzustarren. "Was soll das?", in meine Stimme fließt der Rhythmus eines gewaltigen Erdbebens ein. Diese Ramith O'Mara ist nicht jene, die meine Mentorin ist, oder war.
Diese Frau vor mir ist zerbrechlich, nein, sie ist bereits gebrochen. Ich kann eins und eins zusammen zählen und erkenne genau was es zu bedeuten hat. Die langen Ärmel, das Messer, die strichartigen Wunden. Sie keucht und bricht in Tränen aus.
Das einzige was ich jetzt nicht tun darf, ist ihr Vorwürfe zu machen. Ich schließe sie ganz fest in meine Arme und halte sie an mich. Mein flatternder Magen gibt mir zu verstehen, dass ich immer noch Hass auf sie hege, doch das spielt in diesem Augenblick keine Rolle. Es ist muss mir gerade egal sein. Es wäre selbstsüchtig und verachtend, wenn ich sie jetzt im Stich lassen würde. Meine Gefühle müssen für eine Weile zurück gestellt werden.
Wir sinken Arm in Arm auf den kühlen Steinboden und sie weint unaufhörlich. Es tut mir sogar leid, was ich ihr an den Kopf geworfen habe. Natürlich tut es mir leid.
Ein einsames Salzstreuglas liegt umgekippt einen Meter von uns entfernt. Mir wird klar, was Ramith gedacht haben muss als ich vor ein paar Tagen sagte: "Jetzt streu' doch nicht auch noch Salz in die Wunde!"
Salz in Wunden brennt wie Feuer, verheilt sie jedoch so schnell, dass ein Außenstehender kaum etwas mitbekommt.
"Ich kann nicht mehr ...", schluchzt sie unter den Atembeschwerden hervor. So sehr habe ich noch nie einen Menschen verzweifeln gesehen. Nicht einmal mich selbst. Die Maskerade des Starkseins ist bei ihr gebröckelt und ihre Emotionen brauchen jemanden, an dem sie sich festhalten können. Doch was soll ich ihr sagen? Es tut mir leid? Nein, sie will kein Mitleid. Sie will Hoffnung. Sie will stark sein und sich wieder aufbauen. Um unterzugehen ist sie zu stark. Sie darf sich nicht aufgeben. Tränen kullern nicht nur aus ihren Augen. Diese Szene erinnert mich stark an die Anfang des Sommers. Wie Llucah mich davor bewahrt hat mich von der Klippe zu stürzen, mich so hielt, wie ich nun Ramith. Es macht mir Angst das zu fühlen, was Llucah fühlte, die Angst jemanden ganz besonderen verlieren zu können und es stärkt auch mich, zu glauben, dass Aufgeben der falsche Weg ist.
Wir haben Millionen Gründe nicht aufzugeben und weiter zu machen, Millionen Gründe um sich zu entscheiden hier zu bleiben. Sie ist nicht stolz darauf sich Schmerzen zugefügt zu haben, genauso wenig wie ich auf meinen Suizidgedanken.
"Jedes ... Mal hab ... ich mich wieder ... aufgebaut ... nur um ... dann wieder ... zusammen zu stürzen. Jedes Jahr ... jedes Jahr ... aufs Neue. Yuna war meine beste Freundin ... sie war meine Familie, die ich verloren hatte ... und dann verlor ich auch sie. Und dann den Nächsten ... und den Nächsten und -", ihre Stimme bricht.Ich hatte nie gewusst, dass meine Schwester und Ramith wie Geschwister waren. Dass meine Mentorin ihre Familie verloren hat, und Yuna alles war was sie noch hatte. Nie hab ich es gewusst. Nie hat es mir jemand erzählt.
Ramith ist auch meine Schwester wenn Yuna ihre Schwester war. Es tut einfach weh, sie diese Wörter sagen zu hören. Jedes Jahr musste sie mit ansehen, wie ihre eigenen Leute aus dem Distrikt ihr durch die Finger glitten und vor ihrer Nase ermordet wurden. Sie war machtlos und das peinigte sie.
"Ihr hattet Recht ... ich will nicht ... dass ihr zurück kommt ... nicht wenn es euch so ergehen wird wie mir. Der Tod ist weitaus erträglicher ... als dieses Leben. Euer Leben wird ein Scherbenhaufen sein ... euer Leben wird nie mehr das Alte. Die Tribute vor euch wollte ich nicht ... verlieren, aber euch ... gönne ich den Frieden. Ihr habt nicht verdient ... weiter gequält zu werden. Keine meiner Schwester hat so etwas je verdient."
Schwestern ... .
"Ich ... habe euren Mut immer bewundert. Ihr wolltet es schaffen ... aber ich bin nicht so stark."
"Vor der Ernte wollte ich mich umbringen ... wäre Llucah nicht dazwischen gegangen, dann ... Ich habe auch mit dem Gedanken gespielt nicht zu versuchen zu gewinnen. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt. Die kann mir keiner nehmen. Außer mir selbst."
Sie weint noch mehr. Ich auch. Ich verstehe was sie durchgemacht hat und immer noch durchleben muss, so gut, wie ich noch nie jemanden verstanden habe.
Sie hatte niemals vor, uns wieder aus der Arena herauszuholen, aus Fürsorge und sogar Zuneigung. Sie will uns ihr Leid ersparen. Und uns ersparen, ohne den Partner weiter zu leben und den späteren Tributen beim Sterben zu zuschauen. Ich glaube ihr voll und ganz, doch ich will so tapfer sein wie Yuna. Meine Hoffnung behalten.
Es verwirrt mich alles. Ich kann mir nach diesem Vorfall einfach nie wieder klar im Kopf werden, was besser ist oder was richtig ist. Wie eine Welle spült in mir abermals die Wut hoch. Aber ich weiß einfach nicht gegen was. Gegen was?
Sanft schiebe ich den schlaffen Körper von mir, wenn auch wehleidig ihn allein so kläglich zusammen gesackt auf dem kalten Boden zu lassen. Ich greife mir das Messer, begutachte es, Ramiths Blut klebt immer noch an seiner Spitze. Mit dem schwarzen Griff ist es ein gegenständliches Abbild meiner Paradenkostümierung. An meinem luftigen Oberteil wische ich das Blut ab. Einen Moment lang denke ich darüber nach, was es für eine Strafe verdient. Weit hole ich aus und schleudere das Ding vom Dach. Es könnte einen Passanten auf der Straße verletzten, deswegen wende ich mich um, um zu verschwinden, ehe mich jemand sieht. In der Tür finde ich Linnet vor, die den Weg hier hinauf anscheinend auch fand. Schlagartig passiert etwas, und ich drehe mich um und ducke mich bevor das fliegende Messer mich erwischen konnte. Mein anderes Ohr vernimmt ein grollendes Gerumpel. Das Messer ist in Linnets Richtung geflogen.
Linnet Silene
Erschrocken fahre ich zusammen, als ich sehe, dass ein Spitzes Messer, es sieht aus, wie die, die wir zum Essen benutzen, auf mich zufliegt.
Blitzschnell werfe ich mich nach hinten, um nicht getroffen zu werden, dummerweise falle ich dabei die Treppe hinunter. In Panik versuche ich mich irgendwo festzuhalten, aber meine Fingernägel kratzen nur über harte Wände.
Dann ist es vorbei.
Keuchend rappele ich mich auf, das Messer liegt zwei Stufen über mir.
Glücklicherweise ist mir nichts passiert, außer meine Fingernägel, die Blutig und abgebrochen sind.
„Oh Gott Linnet! Ist dir etwas passiert?", ertönt plötzlich eine Stimme von oben. Sie gehört Lyra, die grade die Stufen hinuntergesaust kommt.
Wütend funkele ich sie an. „SAG MAL SPINNST DU? DU HÄTTEST MICH UMBRINGEN KÖNNEN!", schreie ich. Der Schock ist nur von kurzer Dauer, jetzt kommt die Wutreaktion meines Hirns.
„Es tut mir leid Linnet! Ich wusste nicht, dass das möglich ist!"
„WAS! Dass plötzlich jemand die Treppe hoch kommt?"
„Nein, das meine ich nicht! Ich meine..."
„Warum bitteschön wirfst du mit Messern durch die Gegend!? Wir sind hier nicht beim Training!", ich schreie immer noch.
„ Nein! Ich hab das Messer nicht geworfen, also... doch irgendwie schon..."
„Also! Du hast geworfen!"
„Ich habe nicht hierher geworfen!"
„Und warum bitteschön, kam das Ding dann in meine Richtung geflogen? Hat es plötzlich Flügel bekommen oder was!?" Langsam beruhige ich mich wieder.
„Ich weiß es nicht! Aber es scheint so, als würde das Stimmen!", erklärt sie. In diesem Moment taucht eine Dunkelhaarige Frau am oberen Treppen Absatz auf.
Lyra Centaury
Ramith zieht die Ärmel ihres dunkelbraunen Spitzenpullover so tief, dass sie Ausleihern: "Es war das Kraftfeld."
Schwankend schlingt sie ihre Arme um ihren zitternden Körper und stürmt an Linnet vorbei.
Hoffentlich beherzigt sie meine Worte, wenn sie sich im Zimmer verbarrikadiert. Verdutzt öffnet Linnet ihren Mund um etwas zu erwidern, schließt ihn jedoch unmittelbar nach ich den Kopf bedeutend schüttele.
"Weißt du, was ein Kraftfeld ist?", wechsele ich das Thema umgehend, "Lass uns herausfinden, was sie meint."
Linnets schuldbewusster Blick begegnet mir, doch ich lächele sie bloß an.
Wir beugen uns über die Brüstung. Nichts fällt uns auf und wir beschließen später unsere Betreuer danach auszuquetschen. Ich nehme eine Handvoll Erde aus den Blumentöpfen und lasse sie vom Dach rieseln. Nach ein paar Sekunden bekommen wir verkohlte Krümel ins Gesicht gepustet und probieren es stattdessen mit einer Alaga, einer hellblauen Frucht, fast so groß wie meine geballte Faust, bis sie Linnet gegen die Stirn fliegt. Sie ist verrußt, doch Linnet killt sie trotz dessen zur Strafe mit einem Biss durch das Fruchtfleisch und schlürft genüsslich den flüssigen Kern aus.
Wir lassen uns eine Decke und einen ganzen Korb voll von diesem Obst bringen und lassen sie uns schmecken. Nur schwer lässt sich dieser Geschmack entziffern, aber eins lässt sich feststellen: Geschmacksexplosion. Honig, Schokolade, Vanille, Minze, Sirup, Speck, alles zusammen (Alles Sachen, die ich leider erst hier schmecken konnte, da ich mir Zuhause solch einen Luxus nicht hätte leisten können). Der Korb ist rasch geleert, wir kuscheln uns in die Decke ein und löchern den Mond bis er nur noch ein Käse ist.
„ ... Du mit Ramith angestellt? ... Gestern etwas von dir geschluchzt ... in ihrem Zimmer verschlossen."
Bruchteile von Sätzen dringen in meinen Kopf. Eine Berührung an meiner Stirn und mir wird prompt frischer.
Meine Lider blinzeln und ich wache merkwürdiger Weise in meinem Bett (Nein, falsch, es ist das Bett im Kapitol in dem ich mich ausruhen darf) auf. Der volle Mond ist das Letzte an was ich mich erinnern kann. Man hat mich netterweise herunter getragen. Tymmtomm knüllt meine Zudecke vor sich zusammen und bewirft Mirow, dessen blonde Haare danach wie ein ausgefranster Besen aussehen. Als er meinen Blick trifft, schaut er peinlich berührt weg. Oh achso, ich schlafe ja nackt.
Dolphine hockt zu meiner linken und grinst mir freudig in meine verschlafenen Augen. Doch erst diese Augen, oder eventuell das tiefgreifende Gespräch auf dem Dach des Trainingscenters, lassen mich die stramme Gesichtshaut von ihr bemerken, die scharfen Konturen und als sie sich erhebt bleiben mir auch ihre fadenscheinigen Arme und schmale Taille nicht verborgen. Und rückblickend: hab ich sie jemals etwas essen sehen?
"Schon wach?", fragt sie mich.
Ich schüttele den Kopf.
"Llucah hat dich gestern Nacht hier runter getragen. Er wusste nicht wo du bist und hat dich gesucht. Is' gerade schon aufgestanden. Und Ramith ist noch skurriler als sonst. Seit gestern ist sie in ihrem Zimmer und, naja, kommt nicht mehr raus. Weißt du was mit ihr ist?"
Mit Absicht und aus Umsicht überhöre ich die Frage und meine nur: "Bin ich etwa auf dem Dach eingeschlafen?"
Wir frühstücken, ohne Ramith, und Amiur bereitet meinen Freund und mich auf das bevorstehende Einzeltraining vor, bei dem jeder Tribut seine Stärken vor Sponsoren zeigt und auf diese Art welche erwerben könnte, an das ich vorher leider keinen einzigen Gedanken verschwendet habe. Am Abend werden die Bewertungen von den Tributen im Fernsehen ausgetragen. Von dem was ich vorführen könnte habe ich keinen Begriff und mir kommt aber auch nichts in den Sinn, was die Situation ändern könnte. Llucah und ich kleiden uns um und nehmen den Aufzug in die Halle des Trainings.
Die anderen Mitstreiter haben sich ebenfalls dort versammelt, und warten auf ihren Einsatz. Von Distrikt 1 an geht es chronologisch weiter. Und schon wird der erste herein gerufen. Es ist Broker, der,wenn ich ihm begegnen würde und Angst bekomme, mich auch noch an dem Schiss in meiner Hose schnüffeln lassen würde um mich zu demütigen.
Es darf immer nur einer zurzeit in die Halle und sein Glück versuchen die Sponsoren und Spielmacher zu beeindrucken. Ich weiß nicht ob ich von Segen sprechen würde, bekäme ich eine hohe Punktzahl, denn dann wird man von den Gegnern als gefährlich eingestuft und wird so schnell wie möglich vernichtet. Doch wenn ich so recht nachdenke, dann wäre es auch keine gute Angelegenheit eine niedrige Zahl versähen zu bekommen, auch sie macht aus einem eine Zielscheibe auf Beinen, da die Gegner wissen, wie schwach man ist. Doch ist man gar nicht so schwach, könnte sich diese Tatsache auch als Vorteil outen. Deine Jäger rechnen nicht damit, dass ein mögliches Kampftalent in dir schlummern könnte und sie wären Ratz Fatz weggeputzt. Schuldbewusst lenke ich ein, es ist eine Schande über Gleichgesinnte so herzufallen und Wort zu verlieren. 'Gleichgesinnte' ist dann doch ein wenig überhöht, aber letztendlich wollen wir doch alle dasselbe: gewinnen.
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So ich hoffe ihr hattet Spaß :D Lasst doch noch ein Review da, wir würden uns mega darüber freuen :)
Lg Lin
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Die Tribute von Panem - Das erste Jubeljubiläum
FanficDrei Tribute - drei Schicksale. In Panem beginnen die 25. Hungerspiele, das allererste Jubel-Jubiläum! Die Spiele sind grausamer, das Kapitol gnadenloser, es kann nur einer gewinnen! Und Lyra, Linnet und Shadow stecken mitten drin.